Java-Office-Pakete bleiben in den Regalen liegen

18.06.1998

MÜNCHEN: Das Argument der Total Cost of Ownership muß immer wieder herhalten, wenn Hardwarehersteller ihr Network-Computer-Konzept und Softwarehäuser die dazugehörigen Java-Lösungen anpreisen. Doch bisher ließ sich kaum ein Unternehmen davon anstecken. Von einer steigenden Nachfrage nach diesen Produkten kann nach wie vor nicht die Rede sein.Office-Pakete werden immer umfangreicher und bieten zunehmend Funktionen an, die für einen Großteil der Anwender nutzlos sind. Denn bei der Textverarbeitung reichen ihnen meistens die Befehle zur Absatzformatierung (links-, rechtsbündig oder Blocksatz) und zur Wortauszeichnung (fett, kursiv, unterstrichen). Doch die Hersteller liefern Programmpakete, die mehr als 20 MB der Festplatte verbrauchen, und doch nur zu einem Bruchteil genutzt werden.

Hier versprechen die sogenannte Java-Office-Suites Abhilfe an. Als Applets von nur wenigen KB Größe geladen, bieten sie all die Funktionen, die der Standardanwender wirklich benötigt. Zudem können diese Office-Anwendungen auf jeder 32-Bit-Plattform genutzt werden, sei es ein Windows 95-PC, ein Mac, eine Unix-Workstation oder ein sogenannter Network Computer (NC) - Hauptsache ist, die Endgeräte sind mit einem Java-fähigen Browser ausgestattet.

Nur wenige Spieler trauen sich auf das Java-Feld

Auf dem Markt der Java-Office-Suites tummelt sich momentan nur eine Handvoll von Anbietern: Applix, Corel, Lotus, Oracle, Star Division und Sun. Doch die Nachfrage nach dieser Server-basierten Software blieb bisher aus.

So meint etwa Bernd Wagner, Director European Business Development bei der Münchner Applix GmbH: "Momentan verkauft sich unsere Java-Office-Suite Applix Anyware noch nicht so gut wie wir es uns erhofft haben. Erste Kunden haben wir aber schon gewinnen können, beispielsweise Siemens SBS und Reuters". Doch für Wagner kommt der endgültige Durchbruch erst dann, wenn Netzwerk-Computer in zufriedenstellender Stückzahl geliefert werden können. "Vor allem der Hardwarehersteller Sun konnte seine vollmundigen Versprechungen in

Bezug auf die Lieferbarkeit von Java-Stations nicht halten", beklagt sich der Applix-Mangager gegenüber ComputerPartner. Doch für die Zukunft zeigt er sich recht zuversichtlich: "Wir denken, daß der NC-Markt in der zweiten Jahreshälfte einen kräftigen Aufschwung erfährt. Dann werden auch NCs in großen Stückzahlen verfügbar sein. Und die Vertriebsfachleute werden schon dafür Sorge tragen, daß diese Geräte auf dem Markt kommen."

Systemhäuser sind gefragt

Auf die Vertriebsstrategie seines eigenen Produkts angesprochen, gibt sich Wagner für alle Seiten offen. Er will Applix Anyware sowohl direkt als auch indirekt über Distributoren wie CHS, GTS Gral in Deutschland, Datamed in Österreich und Itris in der Schweiz vertreiben. Einen verstärkten Beratungsbedarf hält der Applix-Mann für nicht notwendig: "Unsere Distributoren und ihre VARs benötigen keine zusätzliche Schulungen, da sie bereits sehr gut mit unserem Produkt vertraut sind. Außerdem sind sie fest im Unix-Markt verankert, und verfügen deswegen über ausreichend Erfahrung im Umgang mit zentral zu verwaltenden Programmen. Die in Anyware neu hinzugekommenen Funktionen sind unseren Partnern bestens vertraut, da sie bei jedem neuen Release entsprechend informiert werden", so Wagner weiter. Um die Partnerbindung dauerhaft zu gestalten, veranstaltet Applix jedes Jahr eine weltweite "International Partner Conference". Dort werden sowohl technische als auch vertriebliche Aspekte präsentiert und ausführlich diskutiert. Außerdem gibt es auf der Applix-Web-Site unter http://www.applix.com/partners/ weitere Informationen. Hier können sich Systemhäuser um die Mitgliedschaft im "Applix Partner Clubhouse" bewerben. Dort erhalten sie dann genaue Auskünfte zu neuen Produkten und können sich gegenseitig austauschen.

Beim Thema Java gilt es jedoch zu beachten, daß wohl kaum ein Unternehmen vollständig von Desktop-PCs auf NCs umsteigen wird. Nach einer laufenden Meta Group-Studie wollen in den nächsten drei bis fünf Jahren nur 13 Prozent der 2000 größten US-Firmen ausschließlich NCs einsetzen. Die restlichen Unternehmen gehen von einem mehr oder wenigen starken PC/NC-Mix aus. Die Unterstützung dieser gemischten Hardware-Strukturen dürfte für die meisten Interessenten das entscheidende Kriterium beim Erwerb einer Java-Office-Suite zu sein. Eben diese Funktionalität reklamiert Applix für sich, hat doch das Unternehmen mit dem konventionellen Office-Paket, Applix Office, noch ein weiteres Pferd im Rennen.

Diese Software gibt es für Windows 95/NT- und diverse Unix-Plattformen. Nach Aussagen von Wagner ist dieses Office-Paket vollständig kompatibel zu seinem Java-Pendant. Denn auch der Applix-Manager hält einen kompletten Umstieg auf die Java-Plattform für unrealistisch: "Erstmals werden sicherlich nur Bereiche oder Abteilungen ganz auf NCs setzen und eine Vorreiterrolle im Unternehmen übernehmen. Personen, die nur einen eingeschränkten Befehls- und Funktionssatz benötigen, werden die ersten Nutzer von NCs und Java-Office-Paketen sein", schränkt Wagner die Java-Euphorie etwas ein.

Neue Geschäftsfelder für Internet Service Provider

Für ihn steht auch gar nicht mal so das firmeneigene Intranet mit all seinen Anwendungen im Vordergrund, sondern das offene Internet. "Hier sind die Internet Service Provider (ISP) gefragt", preist der Applix-Manager seine Idee an. "Außer Web-Hosting und E-Mail-Zustellung könnten sie doch ihren Kunden auch Applets für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationsgrafiken zur Verfügung stellen." Entscheidend ist für den Applix-Manager gar nicht die Anwendung selbst sondern die gesicherte Datenspeicherung. "Die ISPs werden den Anwender das ihrer Daten abnehmen". Im Visier hat Wagner nicht nur Geschäftskunden: "Zuerst werden kleinere Firmen ihr Dokumenten-Management outsourcen. Später, das heißt in einem Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren, kommen auch Privatanwender verstärkt in den Genuß derartiger Dienstleistungen." Dieses Angebot klingt verlockend, entfiele doch auf diese Weise die Mühe der Datenspeicherung und Vorratshaltung. Doch vorher müßten sich die Privatanwender von ihrem Jäger- und Sammler-Instinkt befreien, alles auf ihrer lokalen Festplatte zu speichern. Auch der Datenschutzaspekt ist nicht von der Hand zu weisen.

Für den Applix-Direktor offenbar kein Problem: "Schon heute vertrauen viele Unternehmen ihre geschäftskritische Daten der Firma Datev an. Und das kostbarste für die Menschen überhaupt, nämlich ihr Geld, lassen sie ja auch auf der Bank liegen".

Mit einer breitangelegten Werbekampagne hat die IBM-Tochter Lotus ihr Java-Office-Paket eSuite letztes Jahr auf den Markt gebracht. Genauso wie bei Applix ist diese Software zum eigenen Voll-Office-Produkt SmartSuite kompatibel. Aber genauso schlecht verkauft es sich auch bis zum heutigen Tage.

Wilfried Göber, Produktmanager für den Office-Bereich bei Lotus, zeigt sich dennoch zuversichtlich: "Bisher haben wir für eSuite eine Vielzahl an Testkunden weltweit gewinnen könnnen. Genaue Umsatzzahlen geben wir Ende des Jahres bekannt." Zu diesem Zeitpunkt glaubt jedenfalls der Manager den Durchbruch im NC-Markt erreicht zu haben. Ansonsten ist für Göber eSuite die ideale Lösung für Sachbearbeiter, die immer wiederkehrende Vorgänge bearbeiten müssen. In diesem Fall benötigen sie nicht die gesamte Funktionalität eines Office-Pakets, sondern lediglich eine speziell für ihre Bedürfnisse maßgeschneiderte Benutzeroberfläche. Diese kann wiederum in Form eines Applets bei Bedarf geladen werden.

Bezüglich des potentiellen Abnehmerkreises für sein Java-Office-Paket gibt sich der Lotus-Manager wesentlich realistischer als sein Gegenspieler von Applix: "Als Kunden kommen für uns vor allem große Unternehmen in Frage, vornehmlich aus der Finanzdienstleistungs-branche", so Göber weiter. Denn erst bei großer Anzahl an Clients lohnt die Anschaffung einer nicht ganz einfach zu verwaltenden Server-Software. So hat Lotus zumindest die Leverkusener Kasten Consulting GmbH als Partner bei der Installation von eSuite in Unternehmen gewinnen können.

Partenerbetreuung wird bei Lotus jedenfalls groß geschrieben. Die alljährlich stattfindende Lotusphere ist das beste Beispiel hierfür. Bei Bedarf werden die Fachleute aus den Systemhäusern individuell in neue Produkte eingeführt. Ob sich diese Mühen bald in spürbaren Umsätzen niederschlagen können, darf jedoch getrost bezweifelt werden.

Verkaufszahlen sehr mager

So gibt sich beispielsweise Helmut Hahn, Produktmanager bei der CHS Electronics Deutschland GmbH, ebenfalls noch pessimistisch. "Bisher haben wir kaum Kunden für Lotous' eSuite finden können", schildert Hahn die momentane Marktlage. Er vertritt die Ansicht, daß Großkonzerne als erste auf Java-basierte Office-Pakete zugreifen werden. "Richtig zuschlagen werden die Produkte aber erst Ende des nächsten Jahres", prophezeit der CHS-Manager.

Bei Computer 2000 waren die Verkaufszahlen von Java-Office-Paketen gar so schlecht, daß man zu einer weitergehenden Stellungnahme gegenüber ComputerPartner nicht bereit war.

In gleiche Saite schlägt auch Dieter Schneider, Key-Account-Manager beim Darmstädter Applix-Partner GTS Gral Grafik- und Netzwerklösungen GmbH. "Wir haben weniger als zehn Server-Lizenzen von Anyware verkauft", zieht der Manager die traurige Bilanz. Für ihn ist die Performance einer Java-Anwendung noch viel zu schlecht: "Oft dauert es über eine halbe Minute, bis der Applet geladen ist. Eine Windows-Anwendung dagegen ist innerhalb einer Sekunde verfügbar", schildert Schneider das Kreuz mit Java. Doch für ganz ausgeschlossen hält er das ganze doch nicht: "Ende 1999 oder 2000 wird sich der Markt für Java-Office-Pakete öffnen".

Corel verspricht viel und hält wenig

Im März hat die kanadische Grafikspezialist Corel für seine WordPerfect Suite 8 die sogenannte "jBridge"-Erweiterung angekündigt. Damit sollte jeder Java-Client im Netz auf Corels Office-Anwendung auf dem Server zugreifen können. Doch es ist still geworden um diese "Smart Client"-Lösung. Bis jetzt wurde nicht einmal eine Beta-Version herausgebracht.

In Nordamerika soll es aber im Spätsommer dieses Jahres soweit sein, über die weltweite Verfügbarkeit von "jBridge" hüllen sich die Corel-Verantwortlichen noch in Schweigen. Heute schon von Corel zu haben ist der WebSiteBuilder, eine auf der neuen Web-Sprache XML (Extensible Markup Language) basierende Java-Lösung zum Erstellen und Verwalten von Web-Seiten. Die Hamburger Star Division GmbH bietet ebenfalls eine Java-Edition ihres Office-Pakets an. "Star Office 4.0 for Java" ist zum Preis von 500 Mark verfügbar.

Zum Arbeiten unabdingbar ist natürlich die Server-Version, die es für Sun Solaris und Windows NT gibt, Kostenpunkt: zirka 1000 Mark. An der 5.0-Version wird derzeit gearbeitet. Ihre Fachhändler unterstützt die Star Division ausschließlich übers Web. Die dazugehörige URL findet man im StarOffice-Menü unter Hilfe/StarChannels.

Oracle zieht sich ganz zurück

Als erster hat sich Oracle auf das Felde der Java-Office-Anwendung gewagt. Bereits Ende 1996 kündigten die Kalifornier die Verfügbarkeit ihres "HatTrick" an, dreier Java-Applets für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationsgrafik. Das Ganze sollte dann in InterOffice aufgehen, Oracles Web-basiertem Groupware-Paket.

Doch mit dem Abschied von ihrem Netzwerk-Computer haben die Kalifornier auch die Weitereintwicklung von InterOffice aufgegeben. Sie setzen jetzt vermehrt auf bereits verfügbare Produkte wie Lotus' eSuite und hoffen, daß sich weitere Anbieter, beispielsweise die Hamburger Star Division in diesem Bereich stärker engagieren. Für Peter Wahl, den verantwortlichen Produkt-Manager bei Oracle, stehen Office-Produkte auch nicht ganz oben auf der Prioritätsskala für potentielle Java-Anwendungen. (rw)

Bernd Wagner, Director European Business Development bei der Münchner Applix GmbH: "In der zweiten Jahreshälfte geht es mit den NCs und unserem Java-Produkt richtig los. Wir haben ein Partnernetz in ganz Europa".

Ulrich Hasenkamp, Lehrstuhlinhaber am Institut für Wirtschafts-informatik der Philipps-Universität Marburg, glaubt fest an die Zukunft der Java-basierten Office-Suites: "Durch zentrale Software-Verwaltung lassen sich die Total Costs of Ownership (TCO) in Unternehmen erheblich senken".

Wilfried Göber, Produktmanager bei der Lotus Development GmbH in München: "Ende dieses Jahres geben wir unsere Umsatzzahlen zu eSuite bekannt".

Rüdiger Spies, Analyst bei der Meta Group Deutschland GmbH, München: "Die neue Technologie erschließt neue Aufgabenfelder, beispielsweise Groupware-Funktionalität".

Applix ist mit Anyware Office der Markführer im Java-Office-Bereich. Alle Berechnungen auf Spreadsheets laufen auf dem Server, der Client dient nur als Darstellungsplattform.

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