Corona beschleunigt den Strukturwandel

Jedes fünfte Handelsgeschäft schließt bis 2023



Matthias Hell ist Experte in Sachen E-Commerce und Retail sowie  Buchautor. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge in renommierten Handelsmagazinen und E-Commerce-Blogs. Zuletzt erschien seine Buchveröffentlichung "Local Heroes 2.0 – Neues von den digitalen Vorreitern im Einzelhandel".
Nach Berechnung des IFH Köln beschleunigt die Corona-Pandemie den Strukturwandel im Handel um circa sieben bis acht Jahre. Bis 2023 werden demnach bis zu einem Fünftel der stationären Läden ihre Türen schließen müssen.
Die Anzahl der stationären Geschäfte in Deutschland zeigt laut IFH-Prognose stark nach unten
Die Anzahl der stationären Geschäfte in Deutschland zeigt laut IFH-Prognose stark nach unten
Foto: IFH

Wie das Forschungsinstitut IFH Köln erklärt, hat durch die Corona-Pandemie die Geschwindigkeit, mit der Veränderungen im Handel sichtbar werden, hat drastisch zugenommen. Zum Beispiel bei den Geschäftsaufgaben: Durch Corona hat sich der Zeithorizont für Prognosen deutlich verkürzt - und zwar um circa sieben Jahre. Bis 2023 werden bis zu einem Fünftel der stationären Läden ihre Türen schließen müssen - also bis zu 80.000 Geschäfte. Für das bestehende Jahr spannt sich die Situation kurzfristig zusätzlich durch liquiditätsbedingte Engpässe, die durch den Shutdown entstehen, weiter an.

Zudem bekommt laut IFH mit Corona die Onlinedynamik noch einmal weiteren Schub. Rechneten die IFH-Expert:innen bisher mit einem Onlineanteil von bis zu 22 Prozent bis 2030, werden die "Vor-Corona-Prognosen" zum Onlineanteil am Handel insgesamt bis zu acht Jahre früher eintreten - mit weitreichenden Folgen für die Handelswelt. Die Chancen für einen strukturierten Transformationsprozess werden durch die Pandemie und die dadurch entstandenen Liquiditätsengpässe verhindert. "Für Unternehmen hat diese Entwicklung in erster Linie eine organisatorische Konsequenz: Es gilt, sich so aufzustellen, dass die Geschwindigkeit mitgegangen werden kann. Agilität und Innovationswille sind entscheidend für zukunftsorientierte Geschäftsmodelle", so Eva Stüber, Expertin für Transformation am IFH Köln.

Sonderkonjunktur in einigen Branchen

Mit dem rasant wachsenden Onlineanteil einerseits und dem durch die Coronapandemie veränderten Bedarf der Konsument:innen andererseits haben sich die Formatstrukturen im Einzelhandel deutlich verschoben. Verloren hat vor allem der stationäre Nonfood-Fachhandel - und damit die Basis der Innenstädte. Neben dem Onlinehandel zählt auch der Lebensmitteleinzelhandel zu den Gewinnern: Rund 12 Prozent konnte der LEH laut aktueller Hochrechnungen 2020 gegenüber 2019 an Umsatz zulegen. Und auch der Blick auf die Handelszweige zeigt ein Ausnahmejahr: Während der Fachhandel mit Bekleidung 2020 im Vergleich zu 2019 knapp ein Viertel an Umsatz verloren hat, konnte der Fahrradmarkt um fast 34 Prozent zulegen. Damit erreicht die Wachstumsratenamplitude zwischen den Handelszweigen für 2020 circa 60 Prozent - in "normalen" Jahren liegt diese bei circa 15 Prozent.

"Das Coronajahr 2020 spiegelt sich eindrücklich im Kaufverhalten wider. Die Bedarfe der Konsument:innen haben sich deutlich verschoben. Belletristik statt Reiseliteratur, Ausstattung für Einzel- statt Mannschaftssport und gesteigerte Ausgaben für das eigene Zuhause resultieren in einer extremen Sonderkonjunktur", erklärt dazu Werner Reinartz von der Universität Köln.

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