Job-Hopping verschärft personelle Engpässe -

24.04.1998

DÜSSELDORF: Unternehmen können ihren Mitarbeitern nicht mehr lebenslange Beschäftigung bieten; Mobilität ist selbstverständlich; nur ständige Weiterbildung erhält den Marktwert - in der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage muß fast jeder diese Kröten schlucken. Aber eben nur fast jeder: Computerfachleute sind gefragt und rar wie nie. Attraktive Angebote verführen zum Job-Hopping, dem häufigen Wechsel des Arbeitgebers. Die Wanderlust ist nicht ungefährlich.Es scheint, ich habe einen Fehler gemacht", beichtet ein Softwarespezialist. Dabei liest sich seine Vita wie die des modernen - weil mobilen - Aufsteigers: 16 Monate bei einem großen Systemhaus, wachsende Projektverantwortung, belegt durch erstklassige Zeugnisse und Referenzen, dann Wechsel zur Konkurrenz, neue Aufgaben, neue Erfolge, nach sechs Monaten wieder auf dem Sprung. Der Mann ist nachdenklich geworden: "Meinen Sie, mein Job-Hopping wird meine Chancen, eine gute Stelle zu finden, beeinträchtigen?"

Jon Reed von Allen Davis & Associates, einer in Amherst/Massachusetts ansässigen Personalberatung, die sich auf die Datenverarbeitungs-branche spezialisiert hat, fischt die Frage aus seinem Internet-Kummerkasten. Die Antwort ist "jein": Zwar liefen die Uhren in der Informationstechnik (IT) schneller als in anderen Branchen, weshalb Job-Hopper nicht von vornherein schief angesehen würden, trotzdem interessierten sich Personalchefs sehr für die Motive. Wer nur um des Geldes willen wechsle, müsse mit Schwierigkeiten rechnen. Die IT-Welt sei klein, und Söldner-Naturen hätten schnell einen Ruf, der haften bleibe. "Außerdem laufen Sie Gefahr, sich aus dem Markt herauszupokern."

Lebenslauf darf kein Wanderzirkus sein

Reed empfiehlt eine Atempause vor dem nächsten Wechsel:

"Das wichtigste ist, daß Sie sich klarmachen, was Sie wollen, und dann alles tun, um in eine neue Position zu gelangen, die sich mit Ihren Zielen deckt - eine, in der Sie es ein paar Jahre aushalten." Aber welcher Personalchef nimmt einem das ab, wenn der Lebenslauf nach Wanderzirkus aussieht? Als Grund für einen Wechsel, sagt Reed, werde beispielsweise das Fehlen von Entwicklungsmöglichkeiten beim Ex-Arbeitgeber akzeptiert.

In den USA ist Job-Hopping ein Thema, seitdem die Arbeitslosenzahl sinkt und Fachkräfte, vor allem in der Datenverarbeitung, knapp werden. Einige Unternehmen sollen bereits Treueprämien zwischen 15 und 50 Prozent eines Jahresgehalts zahlen. Auch die Grundvergütungen steigen. Die Society for Human Resource Management, die 86.000 Mitglieder hat, berichtet, daß immer mehr Personalchefs anrufen und fragen, wie sie Top-Mitarbeiter davon abhalten können, zur Konkurrenz überzulaufen.

"Hire and Fire" mit vertauschten Rollen

Hire and fire" hat eine neue Bedeutung bekommen: Nicht das Unternehmen, sondern der hochqualifizierte Software-Entwickler läßt sich herab, ein Beschäftigungsverhältnis einzugehen und zu beenden, sobald ein besseres Angebot lockt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind nur noch Berufslebensabschnittspartner - eine Definition, die von den Unternehmen durchaus gewollt ist. Denn mit dem Personalabbau, der im ganzen angelsächsischen Raum in den 80er Jahren unter dem Label Downsizing stattfand, wurde ein Loyalitätsverlust bewußt in Kauf

genommen.

"Der psychologische Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat sich verändert", beobachtet KPMG Management Consulting Großbritannien. Das Unternehmen bietet statt Existenzsicherung nunmehr Freiräume, und die werden von den Mitarbeitern vor allem genutzt, um die persönliche Kompetenz und damit den persönlichen Marktwert zu steigern. Die Überlebenden des Downsizing wissen, daß sie nur so auch die nächste Schlankheitskur überleben werden.

Selbst in Bangalore werden Programmierer knapp

Noch ist das Glück mit den amerikanischen IT-Piraten, die von ihren Beutezügen saftige Gehaltssteigerungen heimbringen. Der Versuch vieler Unternehmen, die Programmierung kostengünstig ins Ausland zu verlagern - Symbol für diese Entwicklung ist das indische Bangalore - erweist sich als Bumerang, denn auch dort steigen Gehälter und Mieten. Der Witz aber ist, daß auch Indien Mühe hat, den Bedarf an Software-Ingenieuren zu decken - die besten gehen in die USA. Deutschland hat auf den ersten Blick, der der wachsenden Arbeitslosigkeit gilt, andere Probleme als Job-Hopping. Arbeitnehmer, deren Stuhl wackelt, halten sich um so besser fest, sind notgedrungen "loyal". Auf den zweiten Blick wird klar, daß dieses Bild unvollständig ist: Seit 1994 boomt der Stellenmarkt für Führungskräfte und Akademiker gegen den allgemeinen Trend, hat sich die Zahl der Stellenangebote fast verdoppelt.

Gehälter wachsen nicht in den Himmel

Der Motor dieses Aufschwungs ist schnell gefunden. Jeder dritte hochkarätige Job, der derzeit ausgeschrieben wird, ist entweder bei einem Computerhersteller, einem Softwarehaus, einem Telekommunikationsriesen oder in der DV-Abteilung anderer Unternehmen angesiedelt. Die Zahlen sprechen für sich: Die niederländische Programme-Schmiede Baan will die Mitarbeiterzahl am Standort Hannover in den nächsten zwei Jahren von 600 auf über 2.000 erhöhen, SAP sucht noch einmal 2.000 Mitarbeiter, Viag Intercom 1.000, Hewlett-Packard 700, Oracle Deutschland 500 und so weiter.

Zunehmende Automatisierung in allen Wirtschaftszweigen, Umstellung auf den Euro und Jahrtausendwende sind Aufgaben, die nur mit zusätzlichem IT-Know-how lösbar scheinen. Doch der Markt ist leergefegt, beobachtet Beate Schubert-Lüthans von der Hamburger Personalberatung SCS. Manche Stellenangebote tauchen über Monate wiederholt in den Zeitungen auf, ohne daß sich der Wunschkandidat blicken läßt. Besonders gefragt sind Fachleute für Netzwerktechnik und SAP-Standardsoftware. "Bleibt die Suche erfolglos, werden auch Mitarbeiter aus anderen Unternehmen abgeworben", sagt Schubert-Lüthans. Hier ein Loch gestopft, da ein neues aufgerissen - das Job-Karussell dreht sich schneller, amerikanische Verhältnisse in Deutschland.

Mehr Geld und mehr Verantwortung sprechen für einen Wechsel. Schubert-Lüthans warnt jedoch vor zu großen Erwartungen: "Auch in der DV-Branche wachsen die Gehälter nicht in den Himmel. Das gleiche gilt für die Aufstiegschancen, weil in diesen Unternehmen die Hierarchien besonders flach sind und es entsprechend wenig Führungspositionen gibt."

Was kostet ein Mitarbeiter, der geht?

Hohe Personalfluktuation schadet in vielerlei Hinsicht: Know-how fließt ab - womöglich zur Konkurrenz -, Projekte verzögern sich, Kunden klagen, daß sie immer neue Ansprechpartner vorgesetzt bekommen. Die Rekrutierung und Einarbeitung von Ersatz ist kostspielig: Experten der Beratungsgesellschaft Hay Group veranschlagen hierfür 50 bis 60 Prozent der Summe, die der ausgeschiedene Mitarbeiter im Jahr verdient hat. Personelle Kontinuität ist demnach ein wertvolles Gut, mit dem einige Softwarehäuser sogar für ihre Produkte und Dienstleistungen werben.

Um qualifizierte Mitarbeiter langfristig zu binden, können Fachabteilung und Personalwesen gemeinsam Förder- und Anreizprogramme entwickeln. Ihr Ziel: Das eigene Unternehmen muß als Arbeitgeber so attraktiv werden, daß sich ein Wechsel nicht lohnt. Dennoch ist es wichtig, für den Fall, daß eine der Schlüsselfiguren des IT-Bereichs geht, vorzusorgen. Fachwissen, Arbeitsabläufe und Kundeninformationen gehören nicht bloß in wenige Köpfe, sondern in den Datenbestand einer Abteilung für Information und Dokumentation.

Manche Systemhäuser machen aus der Personalnot in der eigenen Zunft eine Tugend, indem sie ihre Werkzeuge für die Software-Entwicklung als Mittel gegen fluktuationsbedingten Know-how-Schwund verkaufen. So bietet die Salzburger TakeFive Software GmbH ein Programmpaket an, mit dessen Hilfe sich DV-Projekte besonders sicher und flexibel - und unabhängig von der personellen Kontinuität im Projektteam - durchführen lassen sollen.

Kollegen und Mitarbeiter mißtrauen Job-Hoppern

Obwohl die meisten Unternehmen selbst am Personalkarussell drehen, indem sie Mitarbeiter von der Konkurrenz abwerben, heißen sie Job-Hopping nicht unbedingt gut. "Die Glaubwürdigkeit des Bewerbers leidet", sagt der Düsseldorfer Karriereberater Bernd An-dersch. "Es stellt sich kein Vertrauen ein." Die Frage, wie lange der Neue an Bord bleibt, beschäftigt Kollegen und Mitarbeiter: Die einen argwöhnen, gehalts- und karrieretechnisch von einem Außenseiter überholt worden zu sein, die anderen engagieren sich nur mit halber Kraft für den wechsellustigen Chef.

So geraten Job-Hopper in Absturzgefahr: Wenn Angebot und Nachfrage am Stellenmarkt gleichziehen, was auch in Zukunftsbranchen irgendwann eintritt, wird man ihnen ihre bewegte Vergangenheit vorwerfen. Wehe dem, der bis dahin seine Starallüren nicht abgelegt hat. Denn der schnelle Wechsel ist dann passé.

*Christoph Stehr, der Beitrag erschien erstmals im Handelsblatt vom 3. April 1998.

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