Kammerjäger: Widerstand gegen Zwangsmitgliedschaft nimmt zu

14.08.2003
Der Unmut der deutschen Unternehmer über die Pflichtmitgliedschaft in Kammern und Verbänden wächst. Doch die juristischen Möglichkeiten der Gegner sind ausgeschöpft. Die politischen hingegen noch nicht, sagt jedenfalls ein junger SPD-Politiker aus Hamburg. Er will die Zwangsmitgliedschaft bis 2005 abschaffen und fordert die Firmeninhaber auf, mehr Druck auszuüben.

Johannes Kahrs, Mitglied der SPD und des Bundestages, hat nach eigener Aussage neuerdings eine große Fangemeinde. "Ich habe etwa 14.000 Zuschriften bekommen, und es werden täglich mehr", freut sich der Hamburger Politiker, dessen Popularität sich bis dato eher in Grenzen hielt. Doch nun legt sich der Abgeordnete mit den ganz Großen an: Er fordert die Abschaffung von Zwangsmitgliedschaften in Kammern und Verbänden: "Sie können aus der Kirche, aus der Partei, aus der Gewerkschaft und sogar aus Ihrer Ehe austreten - nur bei der Kammer haben Sie keine Wahl."

Er fordert eine Reform, die die Mitgliedschaft auf eine freiwillige Basis stellt, will mit seiner Fraktion notfalls einen entsprechenden Antrag im Parlament einbringen. Darin soll die Regierung verbindlich aufgefordert werden, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, das den Kammerzwang zum 1. Januar 2005 außer Kraft setzt. Da es sich bei dem entsprechenden Gesetz nur um eine so genannte "vorläufige Regelung" handle, reiche eine einfache Mehrheit im Bundestag aus, um die festgefahrene Struktur aufzubrechen, sagt Kahrs.

Die Regelung ist bald ein halbes Jahrhundert alt

Die Motivation für seinen Vorstoß brachte er von Besuchen seiner örtlichen Handelskammer mit: "Jedesmal musste ich mir dort anhören, wie unfähig Politiker sind. Die deutschen Unternehmer bräuchten mehr freien Wettbewerb, müssten von unnötigen bürokratischen Fesseln befreit werden, hieß es. Irgendwann wurde mir bewusst: Ich muss mich hier von jemandem abwatschen lassen, dessen 280 Mitarbeiter von 115.000 Mitgliedern zwangsfinanziert werden." Up to date ist die Pflichtmitgliedschaft tatsächlich nicht: Das Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern trat am 18. Dezember 1956 in Kraft. Seitdem muss jeder Betrieb, der Gewerbesteuer zahlt, zwangsweise Mitglied in einer der 82 deutschen Institutionen sein und Beiträge entrichten. Andere Berufsgruppen, wie selbstständige Rechtsanwälte und Ärzte, sind in Berufsverbänden organisiert. Auch hier kommt eine Kündigung der Mitgliedschaft einer Jobaufgabe gleich.

Die Empörung darüber ist so alt wie die Kammern und Verbände selbst, doch bislang scheiterten alle Versuche, die Pflichtmitgliedschaft abzuschaffen. Zuletzt bestätigte das Bundesverfassungsgericht im Januar 2002, dass "die Vereinsfreiheit nicht vor einer gesetzlich angeordneten Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft schützt."

Juristisch sind die Möglichkeiten damit ausgeschöpft, erklärt Benno Grunewald. Der Bremer Rechtsanwalt hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Unternehmer im Kampf gegen die Pflichtbeiträge vertreten und versteht den Frust seiner Mandanten: "Die meisten haben das Gefühl, niemals einen Gegenwert für ihre Beiträge erhalten zu haben." Vor allem ITler hätten von großer Hilflosigkeit ihrer angeblichen Vertreter berichtet: "Manch einer war froh, wenn sein Sachbearbeiter mit dem Begriff EDV überhaupt etwas anfangen konnte."

Rechtliche Basis für Klagen ist ausgeschöpft

Das bestätigt auch der Berufsverband der Selbstständigen in der Informatik (BVSI). "Weder die Weiterbildungsmaßnahmen noch sonstige Angebote der Handelskammer sind auf die Bedürfnisse von IT-Beratern zugeschnitten", sagt Vorstandsmitglied Dirk Bisping. "Die hohen Mitgliedsbeiträge stehen im Missverhältnis zu den - nicht erbrachten - Leistungen der Kammer." Man habe den Eindruck, insbesondere die IHK sei heutzutage weniger denn je eine Interessenvertretung ihrer Mitglieder, sondern entwickle sich immer mehr zu einem Unternehmen mit "eigenen wirtschaftlichen Interessen", so Bisping.

Dieter Hoffmann, Geschäftsführer der Hoffmann Network Consulting KG, spricht aus, was die meisten seiner Kollegen denken: "Mein Eindruck ist, dass sich in diesen Körperschaften des öffentlichen Rechts ein ,Beamtentum? verselbstständigt und längst vergessen hat, dass es eigentlich Dienstleister für seine zahlenden Mitglieder sein sollte. Man hat genug damit zu tun, sich selbst zu verwalten, schönzureden, in repräsentativen Bauwerken zu residieren und ansonsten halt pünktlich Feierabend zu machen."

Tatsächlich gehen Schätzungen davon aus, dass die Kammern 60 Prozent ihres Haushalts allein für Löhne und Gehälter der eigenen Mitarbeiter brauchen. "Für die Belange der Mitglieder bleibt da unterm Strich nicht viel übrig", so das Fazit. Auch deswegen hält der Rechtsanwalt Grunewald das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für durchaus politisch motiviert: "Über eine freiwillige Mitgliedschaft würden sich die meisten Kammern wohl nicht mehr finanzieren können - oder sie müssten 80 Prozent ihres Volumens abspecken."

Er freut sich auf die Folgen der aktuellen politischen Debatte, die aus Freiberuflern "echte" Gewerbetreibende machen will. Hier wurde nämlich auch angedacht, die Betroffenen von einer Zwangsmitgliedschaft in den Verbänden zu befreien: "Das gibt dann wieder eine Grundregel und 28 Ausnahmen, und das endet im Chaos", meint der Jurist. Schließlich sei der Weg von Berufsverbänden zur IHK nicht weit. "Wenn man die unterschiedlich behandeln sollte, wird in Deutschland ein Sturm der Entrüstung losbrechen."

Das wäre ganz im Sinne des SPD-Politikers Kahrs, dessen Initiative "kein politisches Sommertheater" ist, wie er versichert. Wenn IHK & Co. den Wettbewerb für gesund halten, dann sollen sie doch mit gutem Beispiel vorangehen, meint er: "Die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen sind Pflichtmitglied in der IHK und freiwillig in Verbänden, von denen sie sich besser vertreten fühlen. Da wird oft doppelt und dreifach gezahlt. Wenn wir also die Zwangsmitgliedschaft abschaffen, dann entlasten wir die Unternehmen in der Praxis", sagt Kahrs. "Und das Beste daran ist, dass kein Steuerzahler deswegen auch nur einen Euro mehr bezahlen muss."

Politiker mit Botschaften unter Druck setzen

Der Hinweis, dass FDP und CSU sich bislang vehement gegen die Änderung gewehrt haben, darf natürlich nicht fehlen. Kahrs fordert die Unternehmer auf, Briefe, Faxe und E-Mails an ihre Bundestagsabgeordneten zu schreiben und sie zum Handeln aufzufordern: "Je höher der Druck, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wirklich etwas bewegt wird."

Keine schlechte Idee, zumal sich der junge Politiker - trotz "positiver Gespräche" - auch seiner SPD-Genossen nicht hundertprozentig sicher zu sein scheint: "Wir werden sehen, inwieweit meine Fraktion bereit ist, sich mit Gott und der Welt anzulegen." (mf)

www.kahrs.de

www.dr.grunewald.de

www.bvsi.de

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf Seite 8.

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