Karriere auch ohne Studium möglich

14.06.1996
MÜNCHEN: Ein Hochschulabschluß ist für die Karriere in der IT-Branche nützlich, aber auch noch lange kein Freifahrtschein. Stefan Rohr* erläutert, daß auch ein Seiteneinstieg mit Aufstiegschancen für Autodidakten und Praktiker jederzeit möglich ist.Pferdeschlächter, Steinmetze und Mathematiker, allesamt als IT-Spezialisten tätig, das war - ironisch überspitzt - das Bild der Qualifikationen in der Datenverarbeitung noch vor 20 Jahren. Für viele Könner und Autodidakten war die IT deshalb die Chance des Jahrhunderts, in einen attraktiven, lukrativen und sozial schnell anerkannten Job, auch ohne Studium oder Hochschulzugangsberechtigung, zu gelangen. Und viele machten so bemerkenswerte Karrieren.

MÜNCHEN: Ein Hochschulabschluß ist für die Karriere in der IT-Branche nützlich, aber auch noch lange kein Freifahrtschein. Stefan Rohr* erläutert, daß auch ein Seiteneinstieg mit Aufstiegschancen für Autodidakten und Praktiker jederzeit möglich ist.Pferdeschlächter, Steinmetze und Mathematiker, allesamt als IT-Spezialisten tätig, das war - ironisch überspitzt - das Bild der Qualifikationen in der Datenverarbeitung noch vor 20 Jahren. Für viele Könner und Autodidakten war die IT deshalb die Chance des Jahrhunderts, in einen attraktiven, lukrativen und sozial schnell anerkannten Job, auch ohne Studium oder Hochschulzugangsberechtigung, zu gelangen. Und viele machten so bemerkenswerte Karrieren.

Berufsbilder, die zunächst keinerlei "klassische" Qualifikationswege voraussetzen, gibt es allerdings gerade in Deutschland nur noch sehr wenige. Das Bildungssystem, die gesellschaftlichen Denkweisen und Werte knüpfen unmittelbar an so ziemlich alle Berufsstände Einstiegsvoraussetzungen, Schulabschlüsse, Diplome und Zertifikate. Autodidakten haben im allgemeinen in unserem Land nur noch eine untergeordnete Karrierechance, in manchen der sogenannten Traditionsunternehmen sogar gar keine.

Viele Wege führen nach Rom

Aber auch hier stellt die IT-Welt wieder einmal - oder sollen wir sagen: immer noch - eine wohltuende Ausnahme dar. Zwar hat sich das Bild auch hier den allgemeinen Gebräuchlichkeiten notwendigerweise anpassen müssen, doch von Starrheit und Arroganz kann auf keinen Fall gesprochen werden. Für die IT-Berufe haben sich inzwischen sicherlich klassische Qualifikationswege entwickelt.

Nicht zuletzt dadurch, daß die Informatik sowie deren Ableger der Wirtschaftsinformatik aufgrund der zeitweise sehr hohen Nachfrage ausgebuchte Studiengänge verzeichnen konnten und der Ausbildungsberuf zum IT-Kaufmann (und dessen Ableger) ein breites Feld an IT-Einstiegsberufen mittlerweile ermöglicht.

Zudem haben auch die Betriebswirtschaftslehrstühle seit nunmehr einiger Zeit erkannt, daß eine Fachrichtung IT nicht nur zusätzliche Professorenstellen schafft, sondern tatsächlich auch in der Wirtschaft eine tiefgehende Existenzberechtigung hat. Dennoch ist heute ein Berufseinstieg in die IT-Welt immer noch mit so gut wie jeder Vorbildungsvariante möglich, was die neuesten Auswertungen des Deutschen Instituts für Arbeitsmarktanalysen und -Statistik Hamburg (DIFAS) belegen.

Wirtschaft- oder Informatikstudium bleibt gute Voraussetzung

Sehr deutlich führten in den ersten vier Monaten dieses Jahres in den Stellenausschreibungen die Wirtschaftswissenschaften (BWL/VWL) und die Wirtschaftsinformatik sowie Informatik die Hitliste der Qualifikationsanforderungen an. Mit fast 44 Prozent bilden diese Hochschul- und Fachhochschulabschlüsse das Gros der gefragtesten akademischen Vorbildungswege, und zwar über sämtliche IT-Berufe hinweg.

Die DIFAS-Auswertungen zeigen jedoch auch deutlich, daß im Bereich der Führungskräfte diese Studiengänge mit fast 70 Prozent überproportional nachgefragt sind, was die allgemeinen Markttrends schon früher belegt haben (vgl. ComputerPartner Nr. 8/96, Seite 62). Dieser Trend spiegelt sich dann auch bei den Fachführungskräften (Projektleiter/Projektmanager) ebenso deutlich wider. Fast 60 Prozent der entsprechenden Stellenausschreibungen von Januar bis April 1996 erforderten hierfür Abschlüsse aus Wirtschaftswissenschaften und Informatik.

Im IT-Vertrieb hingegen dominieren diese Qualifikationen allerdings nicht mehr und landen mit 24,3 Prozent nur noch auf dem zweiten Platz, verdrängt durch Ingenieure, die im Vertrieb mehr als jeden vierten Job einnehmen sollen. Bei dieser schon beinahe als übermächtigen Anforderung an akademische Qualifikationswege zu bezeichnenden IT-Stellenmarktsituation erstaunt es doch sehr, daß immer noch Ausbildungsberufe einen nicht zu unterschneidenden Anteil aufweisen können. DIFAS analysierte in den ersten vier Jahresmonaten noch bei acht Prozent aller IT-Stellenausscheibungen eine Nachfrage nach einer kaufmännischen Ausbildung.

Viel gravierender allerdings ist die Erkenntnis, daß fast 38 Prozent der ausschreibenden Unternehmen in diesem Zeitraum dann weder auf Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Ingenieurtechnologien oder Kaufleute reflektieren wollten und so ziemlich jedwede Qualifikation, ob nun mit Diplom oder Abschluß oder völlig ohne Ausbildungsvoraussetzung, für eine Einstellung akzeptierten.

Diese Erkenntnis aus der Beobachtung des Stellenmarktes ist deswegen so interessant, da sie mehr als prägnant belegt, daß es in der IT immer noch möglich ist, einen wertigen und hochspezialisierten Job auch ohne bestimmte Standard-Qualifikationen zu ergattern. Hier zählt dann doch immer noch sehr auffallend das Beherrschen IT-technischer Werkzeuge und Methoden.

Auswahlprozeß wird immer härter

Deshalb sollte man sich nicht täuschen lassen, daß - im Gegensatz zu 1970 - häufiger und präziser bestimmte akademische oder kaufmännische Vorbildungen für bestimmte IT-Berufe und -Funktionen in deutschen Unternehmen vorausgesetzt werden. Wer dieses nicht vorweisen kann, dennoch über tiefgehende und praxiserprobte IT-Erfahrungen verfügt, hat sicherlich zum Teil genauso gute Chancen. Dieses wird dann auch noch einige Jahre so bestehen bleiben.

Die Tendenz allerdings - und das sollten sich gerade Einsteiger und IT-Berufsinteressenten vor Augen führen - attestiert den Fachhochschul- und Hochschulabsolventen immer bessere Chancen. Der Flaschenhals wird somit für Autodidakten, Seiteneinsteiger oder Minderqualifizierte in den kommenden Jahren schon immer enger, der Auswahlprozeß immer härter und die Chancenvergabe immer gezielter.

Die DIFAS-Analysen zeigen aber auch deutlich, daß Spezial-Know-how, wie zum Beispiel SAP-Erfahrungen oder die Kenntnisse "offener Systeme" zur Zeit noch einen echten und nahezu ebenbürtigen Parallelweg in der IT darstellt. In der Anwendungsentwicklung wurden in den Monaten Januar bis April 1996 bei über 42 Prozent aller IT-Jobs SAP-R/2-Kenntnisse vorausgesetzt. Hinsichtlich der R/3-Standards waren es sogar über 48 Prozent. Innerhalb der Systeme (Systemmanagement, Systemprogrammierung, Systemverwaltung) haben die offenen Systeme ihren Vormarsch nicht nur fortgesetzt, sondern zudem an Boden gewonnen.

Zwar wird noch jeder vierte Systemspezialisten-Job explizit in der Großrechnerwelt vergeben, mehr als jeder sechste wird allerdings schon in der UNIX-Welt gesucht. Im IT-Vertrieb und -Support ist die UNIX-Technologie nicht nur bereits auf der Überholspur, sondern mit dem Spitzenreiter (in diesem Falle die Mittlere Datentechnik) bis auf eine Nasenspitze fast auf gleicher Höhe (siehe Grafik).

Eine interessante Frage aber ist, wie ein Einstieg zur Erlangung von Know-how ohne Erfahrungen oder Abschlüsse zunächst überhaupt erreicht werden kann. Sicherlich ist dieses eine der zentralen Fragen. Patentrezepte und Faustformeln gibt es hierfür nicht. Allenfalls der weise Ratschlag, jedwede Chance zu nutzen, sich möglichst eigeninitiativ zu qualifizieren und gegebenenfalls vor dem eigenen Karrierestreben zunächst auch eine längere Zeit eine Position zu akzeptieren, in der die Erfahrungs- und Kenntnissammlung gewährleistet werden.

*Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Karlsruhe

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