Kaum neue Produkte

26.11.1998

LAS VEGAS, NEVADA: Die Veranstalter der Cebit können sich erleichtert zurücklehnen. Als weltweites IT-Messeereignis hat die Comdex in Las Vegas nach Meinung vieler kräftig Federn gelassen.Die ohnehin arg PC-lastige Schau hatte in diesem Herbst technologisch nicht viel Neues zu bieten. Die Gegner der Wintel-Fraktion vernahmen es nicht ohne Schadenfreude. Sie rückten in Las Vegas in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Bei den Vertretern der PC-Branche scheint sich Ratlosigkeit breitzumachen. Technologisch zumindest sind auf absehbare Zeit keine großen Sprünge mehr zu erwarten. Der Universal serial bus (USB) ist Standard, und ein paar MB Ram oder einige MHz Taktfrequenz mehr oder weniger - das versetzt niemanden mehr in Euphorie. Auch bei den Notebooks sind Preise und Marktdurchdringung inzwischen spannender als technische Finessen. Bester Beleg für diese gedankliche Leere: Die diesjährigen Ansprachen (neudeutsch "Keynotes") der Wintel-Protagonisten. Microsoft-Boß Bill Gates, vielleicht auch durch das Kartell-Verfahren geplättet, überraschte die Zuhörerschaft mit der absolut visionären Forderung, Computer müßten in Zukunft nicht nur immer leistungsfähiger, sondern auch bedienerfreundlicher werden. Und Intel-Vormann Craig Barrett ersparte sich konkrete Aussagen zur langfristigen Strategie auf durchaus elegante Weise: Er lud zur Talkshow mit prominenten Branchenkennern und TV-Moderator Bill Maher, einer US-Version von Harald Schmidt. Sein wichtigster und durchaus ernstgemeinter Beitrag in der Runde: Die US-Regierung solle sich überhaupt aus allem raushalten, zum Beispiel das bestehende Postsystem abschaffen und durch E-mail ersetzen. Wer keinen eigenen Rechner kaufen will oder kann, könne sich seine elektronische Post ja dann in der örtlichen Bücherei abholen. Die neueste Strategie zur Absatzsteigerung?

In besserer Form zeigte sich Oracle-Chef Larry Ellison. "Eines Tages werden alle unsere Anwendungen und Daten auf großen Computern - genannt Mega-Servern - liegen", zitierte Ellison verschmitzt seinen Erzrivalen Gates. Und weiter: "Da stimmen wir zu. Wir sind im Mega-Server-Business." Unfug sei es, wenn Microsoft in jede Arztpraxis und jede Imbißbude einen kleinen NT-Server stellen wolle. Besser seien wenige große Server, die auch kleinen Kunden per Browser-Zugriff beispielsweise Buchhaltungs-Services anbieten könnten.

Thin clients finden viel aufmerksamkeit

"Zentralisierte Infrastrukturen sind billiger und leistungsfähiger. Wir bohren ja auch nicht einen eigenen Brunnen oder bauen ein kleines Kraftwerk im Garten, wenn wir Wasser und Strom brauchen", polemisierte Ellison in der Geste eines TV-Predigers. Neu ist dieses Konzept aus dem Munde des Datenbank-Herstellers sicher nicht - Stichwort "Total cost of ownership". Tatsächlich gehörten die vielfältigen Thin clients zu den Technologien, die in Las Vegas mit die meiste Aufmerksamkeit fanden. "Okay, der NC (Network computer) in seiner ursprünglich geplanten Form ist sicher tot. Der kam ja von einer Gruppe von Leuten, die in erster Linie Microsoft stoppen wollen. Zu denen gehören wir nicht. Und der reine Java-client war ja auch nur eine von vielen Thin-client-Ideen", erklärt beipielsweise Robert G. Gilbertson, CEO des Terminal-Herstellers NCD Inc., der auf der Comdex obendrein die Übernahme der Thin-client-Division von Tektronix bekanntgab.

Die erfolgreichste dieser vielen Varianten ist nach Meinung der Messebeobachter das Windows-based terminal, das durch den Vormarsch von Windows CE weiteren Auftrieb erhält. Nicht zuletzt dadurch beginnen sich die Grenzen zwischen Terminals, PDAs, Handhelds und anderen "non-PCs" zu verwischen. Für viele sind das - ausgestattet mit der entsprechenden Software - alles Thin clients. Larry Ellison und Bill Gates präsentierten auch zwei Produkte, die je nach Weltanschauung zu hitzigen Vergleichen einluden: Oracle 8i und Microsoft SQL Server 7.0. "Jeder, der mir bei einem Benchmark beweist, daß Oracle 8i weniger als 100mal schneller läuft als SQL 7.0, kriegt von mir eine Million Dollar in bar", versprach Ellison bei seiner Keynote zur Gaudi des Plenums. Und überhaupt komme die Datenbanksoftware ja ganz ohne fremdes Betriebssystem aus. "Das spart schon mal 32 Millionen Zeilen Code", feixte der Oracle-Gründer in Anspielung auf Windows NT 5.0. Letzteres konnte auf dem Microsoft-Stand erstmals unter dem neuen Namen Windows 2000 in Augenschein genommen werden, ebenso wie das neue Office 2000.

Lieblingskind Linux

Das Lieblingskind der Comdex-Besucher war indes Linux. Eine Vielzahl kleiner Softwareschmieden hat sich mit studentischem Eifer auf das alternative Unix gestürzt. Unter den Branchengrößen gehört Oracle zu denen, die ihre Produkte auf Linux portieren. Damit hat sich das Betriebs-system endgültig etabliert.

Hardwareseitig waren die Flachbildschirme der große Renner. Die Palette an Modellen und Herstellern steht dem Röhrensegment in nichts mehr nach. Leuchtende Augen an den Ständen gab es vor allem wegen der Preise. Nicht mehr als 799 Dollar kosten inzwischen die billigsten Flatscreens.

Spannend dürfte die Computermesse in der mit milder Herbstsonne verwöhnten Wüstenstadt für die amerikanischen Fachhändler gewesen sein. Die aktuellen Verschiebungen im PC-Vertrieb der großen Hersteller bekommen sie meist einige Monate früher zu spüren als ihre europäischen Kollegen. So wurde auf den Ständen der US-Distributoren bereits ein erstes Resumee der bisherigen Erfahrungen mit dem "Channel assembly" - sprich Build-to-order - gezogen, und das nicht eben enthusiastisch. Jim Manton, Präsident von Pinacor Inc. geht sogar so weit, BTO bislang als kompletten Reinfall zu verdammen.

"Die Vision war richtig. Sie lautete: Èschnell, richtig, billig, einfach', aber es ist alles andere als das", schimpft er. Nur ein oder zwei Hersteller hätten ihre Hausaufgaben gemacht und ihre Abläufe entsprechend angepaßt. Alle anderen würden die Kanal-Assemblierung überkontrollieren, weil sie Angst um ihre Marken hätten. Die Folge: Zwar kriegt der Kunde genau, was er will, jedoch nicht schneller und billiger.

Andere Distributoren urteilen nicht ganz so vernichtend, doch einig sind sich die US-Großhändler, daß die Hersteller mit dem Verfahren Kosten in den Kanal verlagert haben. Den Preisvorteil von Direktanbietern ê la Dell fürchtet in den USA inzwischen keiner mehr. Dell konfiguriert selber, bei BTO tut's der Kanal, die Kosten bleiben gleich. Als nächstes wünschen sich die amerikanischen Distributoren, die Systeme selber flexibel mit Prozessoren bestücken zu können. Hier zögern die Hersteller noch. Interessant auch: Entgegen dem deutschen Trend setzen die US-Distributoren verstärkt auf eigene Assemblierung von No-name-PC. 40 Prozent aller in den USA verkauften PC sind inzwischen keine Markenware. Laut Ingram Micro wird damit eine ganz andere, weniger anspruchsvolle Kundschaft bedient als bei Markenware.

Ein Messepräsent besonderer Art hat den Händlern indes Compaq-Vormann Eckhard Pfeiffer mitgebracht. "Wir verkaufen direkt. Aber wir richten uns danach, was die Kunden wünschen. Wir wollen ihnen geben, was sie wollen, wann sie es wollen und wo sie es wollen", ließ er in seiner Keynote die Katze aus dem Sack. Damit genieße der Käufer die niedrigen Preise und die Schnelligkeit des Direktverkaufs sowie die Sicherheit des Händler-Supports, "in welcher Kombination auch immer". (ld)

Viel Lärm um wenig Neues auf der Herbst-Comdex: Große Neuerungen sind in der PC-Branche nicht in Sicht.

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