Anhängige Musterverfahren - Vorläufigkeitskatalog

Kein Einspruch erforderlich



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Das Finanzamt hat die Liste vorläufiger Steuerfestsetzungen im Hinblick auf anhängige Musterverfahren erneut ergänzt. Arnd Lackner stellt sie vor.

Über die Rechtmäßigkeit von Steuern wird mehr denn je gestritten. Bis zur endgültigen rechtskräftigen Entscheidung durch die Finanzgerichte vergehen oft Jahre. Die daraus resultierenden Unsicherheiten für betroffene Steuerpflichtige zwingen oftmals zu kostenintensiven Rechtsbehelfs- und Klageverfahren.

Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann die Steuer vom Finanzamt nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig festgesetzt werden. Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung der Steuer aufheben oder ändern, auch wenn der Steuerpflichtige gegen die Steuerfestsetzung keinen Einspruch eingelegt hat.

Wenn die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie diese Festsetzung aufheben oder ändern, auch wenn der Steuerpflichtige gegen die Steuerfestsetzung kein Rechtsmittel eingelegt hat.
Wenn die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie diese Festsetzung aufheben oder ändern, auch wenn der Steuerpflichtige gegen die Steuerfestsetzung kein Rechtsmittel eingelegt hat.
Foto: styleuneed - Fotolia.com

Im Hinblick auf die Vielzahl anhängiger Musterverfahren über die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung macht die Finanzverwaltung von dieser verfahrensrechtlichen Regelung immer wieder Gebrauch. Mit Schreiben vom 20. Februar 2015, IV A 3 - S 0338/07/10010-04 hat das Bundesministerium der Finanzen auch Anfang diesen Jahres den Vorläufigkeitskatalog mit Blick in Bezug auf die in diversen anhängigen Musterverfahren angegriffene Rechtmäßigkeit steuerlicher Regelungen gemäß § 165 Abs.1 AO und die insoweit bestehenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonformen Auslegung steuerlicher Normen wie folgt ergänzt:

  • Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer und der darauf entfallenden Nebenleistungen als Betriebsausgaben, § 4 Absatz 5b EStG,

  • Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben für die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2014 (§ 4 Absatz 9, § 9 Absatz 6, § 12 Nr. 5 EStG),

  • Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Absatz 3, 4, 4a EStG) - für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2009 - und für Veranlagungszeiträume ab 2010, § 10 Absatz 3, 4, 4a, Absatz 1 Nr. 3a EStG;

  • Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005;

  • Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005;

  • Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Absatz 6 Sätze 1 und 2 EStG

  • Höhe des Grundfreibetrags ( § 32 a Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 EStG)

  • Berücksichtigung von Beiträgen zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit im Rahmen eines negativen Progressionsvorbehalts ( § 32 b EStG);

  • Abzug einer zumutbaren Belastung (§ 33 Absatz 3 EStG) bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit oder Pflege als außergewöhnliche Belastung.

Bezüglich dieser Fragen ergehen die entsprechenden Einkommensteuerbescheide ab sofort mit dem jeweiligen Vorläufigkeitsvermerk, d.h. die steuerliche Festsetzung muss bezüglich dieser Fragen nicht mittels Einspruch durch den Steuerpflichtigen angegriffen werden. Auf Antrag ist zudem Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

Fazit

Das BMF-Schreiben vom 20. Februar 2015 wird im Bundessteuerblatt veröffentlicht und ist damit allgemeinverbindlich. Dass damit Einspruchsverfahren mit Blick auf den Vorläufigkeitskatalog entbehrlich sind, spart Zeit und Kosten. Auffällig ist, dass das Bundesministerium der Finanzen in einer Randnotiz des Schreibens vom 20. Februar 2015 noch erwähnt, dass "im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1995 vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorzunehmen" sind. Wie die Finanzverwaltung diese verfahrensrechtlichen Möglichkeiten nutzen wird, bleibt abzuwarten. Vorsorglich sollte gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 immer Einspruch eingelegt werden, es sei denn, die Steuerfestsetzung erfolgt insoweit ausdrücklich vorläufig.

Arnd Lackner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Arnd Lackner sowie Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V. (www.mittelstands-anwaelte.de).

Weitere Informationen und Kontakt:

Arnd Lackner, c/o WAGNER Rechtsanwälte, Großherzog-Friedrich-Str. 40, 66111 Saarbrücken, Tel.: 0681-95828-0, E-Mail: wagner@webvocat.de, Internet: www.webvocat.de

Zur Startseite