Kein Grund zur Torschlusspanik beim E-Commerce

07.01.1999

MÜNCHEN: Die von den Herstellern bezahlten Unternehmensberater und Marktforscher übertrumpfen einander mit ihren Visionen vom gelobten Land des E-Commerce. Gemein ist den Szenarien meist eines: Der traditionelle Fachhandel kommt nicht gut weg. Doch auch der muß nicht automatisch auf der Verliererseite des Internet-Handels stehen.Der Diskussion des Modethema E-Commerce kann man eines nicht nachsagen: Gelassenheit. Vor allem die Consulter, die an dem Zukunftsmarkt verdienen wollen, sind eifrig bemüht, bei ihrer Klientel Torschlußpanik zu erzeugen: Was und wie sie es machen, die Unternehmen seien zu langsam und konservativ - vor allem natürlich die deutschen. Das E-Business machen dann die anderen - vor allem natürlich die Amerikaner.

Überhaupt Präsent zu sein, ist wichtig

Tatsächlich steckt zur Zeit nicht mal ein Viertel der 1.000 werbeaktivsten deutschen Unternehmen mehr als 250.000 Mark pro Jahr in ihr Online-Budget. Kein Grund also für den traditionellen Fachhandel, die virtuelle weiße Fahne zu hissen. Ignorieren sollte er das Thema dennoch nicht, denn im Marketing-Pulverdampf der E-Commerce-Strategen verbergen sich einige für ihn unangenehme Wahrheiten. Eines ist klar: Das Schielen auch der IT-Hersteller auf den direkten Kontakt zum Kunden per Internet wird nicht zum Tod des stationären Fachhandels führen. "Die Kunden kaufen doch bei Computern verschiedene Produkte, Marken und Hersteller. Da sind sie beim Händler besser aufgehoben, als wenn sie drei, vier Hersteller abklappern müssen", ist sich beispielsweise Gerd Köllmann sicher. Er betreibt seit einem halben Jahr vom bayrischen Emmering aus einen Online-Computershop und gehört damit zu den schätzungsweise rund 60 Prozent der deutschen IT-Händler, die heute im Internet vertreten sind. "Rechnen tut sich das momentan nicht", gesteht Köllmann, der das eigentliche Geld mit AS/400-Services verdient. Aber auch viel-zitierte Vorzeige-Onliner wie der Buchhändler Amazon.com stecken ja noch in den Miesen. 95 Prozent aller Online-Shops werden in den nächsten ein bis anderthalb Jahren Verluste einfahren, sekundiert das Marktforschungsinstitut Giga.

Überhaupt im Internet präsent zu sein hält Köllmann aber trotzdem für unverzichtbar - gerade für IT-Händler. Nur wie? Reichen ein paar HTML-Seiten Selbstdarstellung, oder muß es gleich ein richtiger Webshop mit Anbindung an die Warenwirtschaft und den neuesten Web-Design-Spielereien sein?

Keine halben Sachen macht Torsten Brenner. Der Berliner Student hat im Oktober 1996 zusammen mit einem Kommilitonen die Brenner & Sievritts Informationssysteme GmbH gegründet - ursprünglich als Dienstleister für multimediale Präsentationen und Internet-Auftritte. Schnell jedoch entwickelte sich der Handel mit Hard- und Software zum wichtigsten Geschäftsfeld. Seit Anfang 1998 hat der Internet-Laden seine Pforten geöffnet, und das Geschäft läuft gut: "Wir bieten 16.000 Produkte aus der Distribution an. Unsere Kunden sitzen überall, auch im Ausland. Viele kommen aus Kleinstädten, wo das Angebot schlecht ist und die Wege weit wären", erklärt Brenner und freut sich besonders darüber, daß immer mehr Firmen bei ihm ordern. Er mag die Hoffnungen nicht zu hoch schrauben, aber die Entwicklung sei sehr positiv. Stattliche 2.500 Besucher pro Tag verzeichnet der Jungunternehmer auf seiner Homepage. 80 Prozent des Umsatzes von einer Million Mark machen Brenner und Sievritts im Internet.

Exotisches läuft besser als Mainstream

Mit entscheidend für diesen Erfolg ist die professionelle Umsetzung von "BSI online". Die Shop-Software von Open Market, so Brenner, "generiert automatisch für jede Seite eine eigene HTML". Gut für die Resonanz in Suchmaschinen. Inzwischen stößt die Lösung an ihre Kapazitätsgrenzen. Intershop soll in Kürze das weitere Wachstum begleiten. Den Kunden stehen sämtliche Zahlungsweisen von der SSL-verschlüsselten Kreditkarte über Nachnahme bis zur Vorauskasse zur Verfügung. Hotlines in Fest- und Mobilnetz sorgen für die telefonische Beratung. Für die ansprechende Optik sorgt demnächst eine Multimedia-Agentur. Die WWW-Konkurrenz der Hersteller macht Brenner nicht bange: "Das ist nicht zu verhindern. Das Internet ist aber so groß, da ist Platz für alle, wenn der Auftritt gut ist. Ich muß online eine große Bandbreite an Produkten anbieten. Wenn ich nur fünf Mainstream-Sachen habe, entscheidet allein der Preis. Exotisches läuft besser."

Ohne es zu wissen folgen die beiden Berliner dem Rat von Arnold Hermanns, Professor für Marketing an der Universität der Bundeswehr in München: "Anbieter im Internet müssen weiter gehen als bis zum Angebot von Standardleistungen. Den Kunden muß ein Mehrwert geboten werden, der optimale Kaufbedingungen ermöglicht. Für den Fachhandel liegt die Chance in der spezifischen Kompetenz von Beratung, Service und Sortimentsbildung, die auch über das Internet als Erfolgsfaktor genutzt werden können."

Für denjenigen, der beim Marktplatz Internet erfolgreich mitmischen möchte, heißt das vor allem genaue Planung. "Der gesamte Einstieg ins Internet sollte umfassend vorbereitet und geplant werden. Dazu gehört eine Analyse der Wettbewerber, die Festlegung von Zielen ("Was wollen wir erreichen?"), und auch der Strategien für deren Umsetzung", plädiert Hermanns. Trial and Error ist der schlechteste Weg. "Professionalität ist auch im Internet der Schlüssel zum Erfolg, deshalb sollten selbstgestrickte Lösungen vermieden werden, damit nicht Imageverluste die Folge sind. Insbesondere für den Einstieg in den E-Commerce gilt das Motto "ganz oder gar nicht".

Ein Online-Shop ist nichts für nebenher

Halbherzige Lösungen haben eher negative Auswirkungen", so der Akademiker. Diesen hehren Anspruch zu verwirklichen kostet natürlich Zeit und Geld. Köllmann zahlt für seinen eher einfachen On-line-Shop jeden Monat 100 Mark Provider-Kosten. Hinzu kommen monatlich 80 Mark für die SSL-Verschlüsselung und 150 Mark für die SET-Kreditkartenzahlung. Brenner, der mehr als achtmal so viele virtuelle Besucher zählt, hat einen eigenen Server bei seinem ISP. Der kostet ihn 2.500 Mark pro Monat. Shopping-Software von der Stange ist je nach Leistungsumfang schon für deutlich unter 10.000 Mark zu haben (siehe Kasten "Mehr zum Thema"). Weit stärker schlagen die Marketing-Kosten ins Kontor. Der Eintrag in Suchmaschinen kostet vor allem Zeit, sofern er nicht von Dienstlei-stern übernommen wird (siehe ComputerPartner 13/98, Seite 66). Ebenso Gentlemen Agreements wie der Bannertausch mit anderen Sites. Richtig teuer ist dagegen zunehmend die Aufnahme auf Web-Portalen. Sie werden nach Ansicht einiger Auguren ohnehin in den nächsten Jahren den Online-Malls den Rang als Einkaufszentren ablaufen. Noch muß sich eine Preisstruktur erst herausbilden. Während Yahoo zum Beispiel Shopping-Links noch kostenlos listet, langt "shopping.t-online.de" richtig hin: "Ich zahle pro Monat 600 Mark im Monat für einen Text-Link. Mit Logo würde es 3.000 Mark kosten, und nach dem Preis für ein Banner habe ich gar nicht mehr gefragt", berichtet Köllmann.

Seriöses Image bekannter Portale

Der Vorteil eines Listings bei einem bekannten Portal ist nicht nur der Werbeeffekt, sondern auch das seriöse Image, das durch Namen wie Yahoo, T-Online, oder Microsoft verliehen wird. Denn gerade Internet-Neulinge, so sagen Studien, schrecken vor einem Einkauf

bei unbekannten Shop-Betreibern zurück.

Klar ist: Ein Online-Shop ist nicht etwas, das man so nebenher mitlaufen lassen kann. Der Einstieg in den E-Commerce ist vielmehr eine grundlegende strategische Entscheidung, die eine entsprechende Inve-stitionsbereitschaft und einen langen Atem erfordert. US-Studien rechnen vor, daß es 100 Dollar Werbeausgaben kostet, bis ein Websurfer zum Klick auf ein Werbebanner und dann auch zum Kauf gebracht ist. Wer sich dann noch klarmacht, daß auf Jahre hinaus der Business-to-Business-Handel mehr als 90 Prozent des E-Commerce-Umsatzes ausmachen wird und auch optimistische Experten den Durchbruch im Consumer-Markt nicht vor 2003 sehen, der muß schon einigen Enthusiasmus für die neuen Vertriebswege mitbringen.

Auch die Hersteller sind nicht schlauer

Wem das zu sehr nach Geldvernichtung riecht oder mit seinem konventionellen Ladengeschäft und regionalen Kundenkreis eigentlich recht zufrieden ist, muß sich deshalb noch nicht zum alten Eisen rechnen. Ein kostengünstiger, aber eigener Internet-Auftritt steht diesen Händlern dennoch gut zu Gesicht: Die eigenen Produkte und Dienstleistungen ins rechte WWW-Licht stellen, ständig aktualisieren, ein regelmäßiges E-Mail-Newsletter, und den Kunden eine 24-Stunden-Kontaktmöglichkeit bieten - das bringt in jedem Fall mehr Kundenbindung als ein mißglückter Online-Shop, auch ohne aufwendige, elektronische Integration von Auftragsabwicklung und Versandlogistik. Wenig durchdachte Schnellschüsse nach Art des Frank-&Walter-Shop-Konzepts www.edv-fachhandel.de führen nur zu Frustrationen (siehe ComputerPartner 4/99, Seite 54). Dabei sieht Professor Hermanns Händlerkooperationen durchaus in der Rolle, E-Commerce-Plattformen "als Autoritäten im Bereich "Computer & Service"" zu positionieren.

Vor allem Produkte andrehen

Das wird den Herstellern auf absehbare Zeit nicht gelingen. Von ihnen wird der Kunde auch im Internet zuallererst annehmen, ihm ihre Produkte andrehen zu wollen. Nicht zuletzt deshalb ist die Stellung des beratenden Fachhandels in Deutschland nach wie vor vergleichsweise stark. So hüten sich die Hersteller bisher, auf ihren Webseiten Preisangaben zu machen. Sie fürchten den Zorn ihrer Vertriebspartner. Werden sie für den Verbraucher dennoch konkret, verraten sie nur den empfohlenen Verkaufspreis. "Und da weiß der Kunde doch, daß der zu hoch ist", beruhigt sich auch Oliver Hönnig, Online-Händler bei Roos-Marketing im rheinischen Elsdorf.

Claims sind noch nicht abgesteckt

Die Claims im elektronischen Marktplatz sind zwischen Handel und Herstellern noch nicht abgesteckt. Zwar wird mancher bereits heftig vom Goldfieber geschüttelt, auf eine ergiebige Ader ist noch keiner gestoßen. Es fehlen nach wie vor überzeugende Konzepte, die die angeblich so überdurchschnittlich gebildeten und ausgabefreudigen Online-Shopper massenhaft weg von den Ladenzeilen hin in den Cyberspace locken. Halbherzige oder einfallslose Internet-Angebote, warnt Thomas Spar von der Hamburger Multimedia-Agentur Popnet, "werden zukünftig nur noch von seelenloser Agentensoftware besucht. Und für die gibt es in den meisten Fällen nur ein einziges Auswahlkriterium: den billigsten Preis". (ld)

Marketing-Professor Arnold Hermanns: Beratung, Service und Sortimentsbildung sind die Internet-Chancen des Fachhandels.

Online-Händler Gerd Köllmann mußte Lehrgeld zahlen: "Am Anfang kamen viele Spinner, ich hatte für 10.000 Mark nicht bezahlte Ware."

Torsten Brenner begann vor anderthalb Jahren mit einem Studienfreund den Internet-Handel. Heute machen die beiden Berliner siebenstelligen Umsatz.

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