Kommentar

20.05.1999

Mancher wird sicher sagen, Jürgen Rakow sei größenwahnsinnig geworden. Andere werden sagen, Rakow wolle sich selbst ein Denkmal setzen. Und es wird auch die Skeptiker geben, die schon heute wissen, daß das alles gar nicht funktionieren kann. Derartige Einlassungen sind völlig normal. Und mit diesen Unkenrufen muß Rakow leben.Eines aber müssen die Kritiker zugeben: Rakow ist ein Unternehmer im ursprünglichen Wortsinn. Mit dem Mut, ein Risiko einzugehen. Und daß der Wiederaufbau von Vobis ein Risiko darstellt und auch scheitern kann, dessen ist sich Rakow bewußt. Aber was ist die Alternative? Die Hände in den Schoß legen und auf bessere Zeiten hoffen? Sicher nicht! Rakow hat sich entschieden, das Heft selbst in die Hand zu nehmen und die Zukunft des einstmals größten PC-Händlers Europas maßgeblich zu bestimmen. Dafür gebühren ihm Respekt und Anerkennung.

Und eins ist Rakow sicher nicht: ein Hasardeur. Dazu kennt der gebürtige Berliner das Geschäft zu gut. Nicht nur ist er seit fast 20 Jahren in der IT-Branche tätig. Als Franchise-Nehmer von 33 Vobis-Läden und als langjähriger Vorsitzender des Vobis-Franchise-Beirates der Vobis AG ist er auch mit den Strukturen und den Problemfeldern bestens vertraut. Zudem haben sich Rakow und sein Partner Jürgen Bochmann in letzter Zeit mit Experten verstärkt, um ein professionelles Management in der zweiten und dritten Ebene aufzubauen, das die Entscheidungen des frischgebackenen Vorstandes in die Tat umsetzt. Wie gut dies gelingt, wird mitentscheidend sein für Erfolg oder Mißerfolg der gesamten Operation.

Erleichtert über das Ende der Verkaufs-Hängepartie dürften neben den Vobis-Mitarbeitern die Franchise-Nehmer sein. Denn sie hatten unter den unklaren Verhältnissen der letzten Monate in besonderer Weise gelitten. Rakow will ihnen wieder eine Perspektive bieten und setzt auf ihre "Unternehmerenergie". Allerdings: Auch die Standorte der Franchise-Partner sollen in bezug auf ihre Zukunftsfähigkeit sorgfältig analysiert werden.

Völlig klar ist, daß nicht alles beim alten bleiben kann. Zwar sollen die drei Grundbausteine - Superstores, eigene Filialen und Franchise-Läden - beibehalten werden, doch Standortoptimierungen und Sanierungen (inklusive Schließungen und Verlagerungen von Standorten) sind unumgänglich.

Eine neue Rolle wird Rakow sicher auch in der Fachhandelskooperation Comteam spielen, deren Aufsichtsratsvorsitzender er seit 1993 ist und an deren Entwicklung er maßgeblichen Anteil hat. Denn mit der Neupositionierung von Vobis als IT-Lieferant der Kundensegmente "Nachzügler, Experten, Selbständige und Freiberufler" (Rakow) stellt er das Unternehmen in direkte Konkurrenz zu den meisten Comteam-Mitgliedsfirmen. Viele Händler und eben auch einige Comteam-Mitglieder hätten es sicher lieber gesehen, wenn Vobis den Bach runter gegangen wäre. Rakow ist aber zuversichtlich, daß sich zwischen den Comteam-Mitgliedern und Vobis auch Synergien zu beiderseitigem Nutzen herstellen lassen.

Wie auch immer: Daß nun ein deutscher Unternehmer - und nicht wie in vielen vergleichbaren Fällen - ein ausländischer Großkonzern den deutschen PC-Händler Vobis anführt, ist zu begrüßen. Daß Rakow die Revitalisierung von Vobis als "reizvolle Aufgabe" bezeichnet, versteht nur derjenige richtig, der ihn kennt. Denn "reizvoll" heißt übersetzt nichts anderes als "Man muß schon kräftig in die Hände spucken, um den Karren wieder zum Laufen zu bringen".

Damian Sicking

dsicking@computerpartner.de

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