Kommentar

05.06.1999

"Außergewöhnlich" nennt die Commerzbank ihre Online-Banking-Initiative. Damit hat sie, was Deutschland betrifft, recht. Eine Bank als PC-Vermarkter - das ist hierzulande in der Tat neu. Zwar wissen Großflächen-Discounter wie Aldi erfolgreich in PC-Gefilden zu wildern, doch ansonsten schienen die Claims der PC-Vermarktung klar abgesteckt zu sein. IT-Hersteller, Distributoren, Fachhändler und Retailer machten das PC-Geschäft unter sich aus.Zwar konnte so manches hellhörige Ohr vernehmen, daß weltweit unter dem Schlagwort "Ideenökonomie" Modelle diskutiert werden, wie Unternehmen die Grenzen ihrer Branchen überwinden, und auch, daß in Zukunft intelligente Marketingkonzepte über den Unternehmenserfolg entscheiden werden. Daran, diese umzusetzen, machten sich zum Beispiel Ölkonzerne in Skandinavien. An der restlosen Ausschöpfung ihrer traditionellen Wertschöpfung Ölförderung und -vermarktung angelangt, etablierten sie sogenannte "Convenience-Shops". In diesen gibt es alles, was zum täglichen Bedarf gehört. Nur nicht Benzin.

Auch konnte man erfahren, daß in den USA fast jeder Marketingvortrag von Vorstellungen darüber geprägt ist, wie intelligente Dienstleisterkonzepte aussehen müßten. Wer glaubt, die Vordenker kümmerten sich um traditionelle, brancheneigene Grenzen, von Produktions- und Vertriebszwängen vorgegeben, irrt sich. Von "Schuster bleib bei Deinen Leisten" findet sich in diesen Überlegungen nichts mehr. Es geht um die totale Neuorientierung von Unternehmen.

Daß die Commerzbank nun eine dieser Überlegungen aufgegriffen hat und mit der Vermarktung ihres Online-PCs den Schritt wagt, der für weitere Unternehmen wie das langersehnte Fanal zum Aufbruch in die neue Ideen-Ökonomie wirken könnte, erscheint mir naheliegend. Denn die Frage stellt sich tatsächlich, warum eine Bank keinen PC vermarkten könne, wenn sie nur die richtigen Partner findet. Ob eine Versicherung nicht Autos, zusammen mit günstigen Reiseangeboten, anbieten könne, bleibt unbeantwortet, bis eine darangeht. Und umgekehrt ist offen, ob nicht ein PC-Fachhändler ein Online-Dienstleistungspaket vermarkten könne, das den Kunden auf direktem Weg zum offerierten Versicherungsmakler, Online-Portal oder Handelspartner führen würde.

Daß damit die Handelsgrenzen niedergerissen und in der Folge die Handelskanäle erodieren werden, ist offensichtlich. Ebenso, daß die Commerzbank mit ihrer PC-Offerte schlagartig eine Diskussion in Deutschland bekanntmacht, die andernorts bereits in aller Munde ist: Wie sieht die Zukunft der Unternehmen aus?

Zur Beruhigung sei versichert, daß diese Zukunft hier nicht so schnell die gewohnten Handelsbeziehungen verändern wird. Diese werden denjenigen, denen die ehrwürdigen Grenzziehungen der Geschäftsmodelle noch unentbehrlich sind, noch geraume Zeit zur Verfügung stehen. Doch daß sie darauf allein bauen, erscheint zunehmend fragwürdig. Denn auch für den Fachhändler wird gelten, daß er zwar fachmännisch agiert, doch eben damit, womit er dem Kunden am besten dient. Noch hunderte Male wird diskutiert werden, wie der Weg ausgestaltet wird. Doch daß der neue Weg schon existiert, zeigt die Commerzbank. Selbst wenn sie im ersten Anlauf scheitern sollte.

Wolfgang Leierseder

wleierseder@computerpartner.de

Zur Startseite