Kommentar

29.04.1999

Edward Kennedy war ein kluger Mann: "In der Politik ist es wie in der Mathematik: Alles, was nicht ganz richtig ist, ist falsch", sprach er seinerzeit zum amerikanischen Volke. Soviel Weisheit würde man sich auch der deutschen Bundesregierung wünschen. Denn die Scheinselbständigenregelung mag im Ansatz zwar recht positiv sein, ist aber - vor allem auf die IT-Branche bezogen - eben nicht ganz richtig.Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Die Initiative von Bundesarbeitsminister und Ex-Gewerkschaftsboß Walter Riester, die Scheinselbständigkeit einzudämmen, war - vor allem aus Sicht der Rentenkassen - gut, aus Sicht der Wirtschaft aber gut gemeint. Doch geht die Rechnung von Riester wirklich auf? Vor allem in bezug auf die IT-Branche sind da erhebliche Zweifel angebracht. Hier werden Spezialisten ohnehin händeringend gesucht und mit großzügigen Gehältern in die Festanstellung gelockt. Fachleute haben in der vom Personalmangel gebeutelten Branche beste Karrierechancen, Existenzgründer gute Voraussetzungen für einen gelungenen Start. Nun outet der Gesetzgeber aber letztere ebenfalls als Scheinselbständige: Sie arbeiten oft, weil projektbezogen, über Monate hinweg nur für einen Arbeitgeber, verrichten für Arbeitnehmer typische Tätigkeiten und können meist keine sozialversicherungspflichtigen Angestellten vorweisen. Viele von ihnen sind "Alleinunternehmer" und wollen es auch bleiben.

Vielleicht mag Riester geglaubt haben, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: Sollen sich doch diese vielen "Scheinselbständigen" endlich anstellen lassen. Das füllt erstens die Sozialkassen und löst zweitens das ewige Problem mit dem Fachkräftemangel. Das funktioniert aber nicht. Denn viele dieser Spezialisten werden von den Unternehmen tatsächlich nur für ein bestimmtes Projekt benötigt. Die meisten können sich die Festanstellung dieser Kräfte gar nicht leisten. Die Folge des Riesterschen Vorstoßes könnte sein: Sie verzichten lieber auf das Projekt, und der Fachmann sitzt untätig herum. Kein Wunder, daß sich viele (Schein-)Selbständige vorsichtshalber schon heute nach Alternativen umsehen. Schlimmstenfalls landet die Fachkraft in der sozialen Hängematte. So kurbelt man die deutsche Wirtschaft nicht an, Herr Riester!

Doch der dicke Schleier des Gemeinwohls liegt noch immer über dieser Gesetzgebung und nimmt den Oberhäuptern bisweilen wohl die Sicht auf die wirtschaftliche Realität des Kleinunternehmers. Auf das einzelne Individuum - und mag es sich dabei auch um die vielgepriesene Hoffnung der deutschen Wirtschaft handeln - kann eben keine Rücksicht genommen werden. Einziger Hoffnungsschimmer: die Zusage, eine Expertenkommission werde die Einwände der einzelnen Branchen demnächst auf ihre Richtigkeit prüfen.

Dem Betroffenen bleibt dabei wieder einmal nur die Rolle des Zuschauers, fast wie in der - ähnlich kostspieligen - Titanic-Verfilmung: Man ahnt die Katastrophe, sieht das Unvermeidliche kommen, vertraut trotz besseren Wissens dem Kapitän, und wenn es zu spät ist, bleiben die unteren Klassen an Bord. Oder um es mit den Worten von Henri Tissot zu sagen: "In der Politik ist unterlassene Hilfeleistung ein alltägliches Delikt."

Marzena Fiok

mfiok@computerpartner.de

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