Kommentar: Digitalfotografie - Revolution oder Sturm im Wasserglas?

28.05.1998

Auch zahlreiche erfahrene Branchenkenner glaubten an einen verspäteten Aprilscherz, als die Nachricht über eine revolutionäre technische Entwicklung der kalifornischen Firma Imagek durchsickerte(siehe Aufmacher auf Seite 1). Angeblich haben es die amerikanischen Ingenieure geschafft, die Technik einer digitalen Kamera in einer Filmrolle unterzubringen. Der Clou bei der Sache: Diese Filme sollen in konventionelle Fotoapparate passen. Für den Anschluß an den PC ist angeblich ebenfalls gesorgt, so daß auch nachträglich Bildbearbeitung möglich sein soll. Sollte es diese Erfindung bis zur Marktreife bringen (schon für diesen Sommer sind die ersten Produkte angekündigt), dann sehen die Hersteller digitaler Kameras verdammt alt aus. Die millionenschweren Entwicklungskosten für eigene Digitalkameras könnten sich im nachhinein als rausgeschmissenes Geld erweisen.

Die offiziellen Reaktionen der Digitalkamera-Hersteller und anderer Experten auf diese Nachricht aus den USA sind, wie kann es anders sein, skeptisch. Canon etwa grübelt darüber nach, ob es sich nicht vielleicht doch um eine Ente handelt, Kodak will von einer möglichen Bedrohung für die eigenen Systeme nichts wissen.

Die abwartende Haltung ist verständlich. Denn es wäre nicht das erste Mal, daß sich eine neue, als "revolutionär" apostrophierte Technik als Rohrkrepierer erweist. So sorgte etwa Anfang der

90er Jahre der schwedische Erfinder Ove Larson mit einem neuen Übertragungsverfahren für Telefaxgeräte, Kopierer und Drucker für aufgeregtes Flügelschlagen in der Branche. Zusammen mit seinen Kooperationspartnern Ito Communications und der Deutschen Telekom wollte Larson Produkte in den Markt bringen, die eine neue Zeitrechnung in diesem Marktsegment einläuten sollten.

Auf dem Papier klang das sogenannte "Tonerjet-Verfahren" super. Die Produktionskosten der Geräte, die ohne Licht und Trommel auskommen, sollten um 40 Prozent niedriger liegen als die herkömmlicher Lasersysteme. Zudem würden die Druckkosten pro Seite nur ein Drittel der Lasertechnik betragen. Der Energieverbrauch sollte um die Hälfte niedriger sein. Außerdem sollten die Wartungsintervalle größer sein (alle 30.000 Seiten) und der Platzbedarf auf den Schreibtischen niedriger.

Wenn sich diese Technik durchsetzt, so die damalige Einschätzung von Branchenkennern, dann droht den bekannten Verfahren wie Laser und Tinte der technische K. o. Kein Wunder, daß den Kopierer-, Fax- und Druckerherstellern die Düse eins zu tausend ging, als sie von dieser Innovation erfuhren. Diesen Argumenten hatten sie nichts entgegenzusetzen, und sie sahen schon ihre Felle davonschwimmen.

Doch die groß angekündigte Revolution entpuppte sich im nachhinein als Sturm im Wasserglas. Ursprünglich wollte Vertriebspartner Deutsche Telekom die Geräte bereits Ende 1993 auf den Markt bringen. Doch dann tauchten Probleme bei der Umsetzung des Prototypen in ein Serienprodukt auf. Nach weiteren Nachbesserungen, Tüfteleien und dem Verbraten von zusätzlichen zig Millionen Entwicklungskosten sollten dann 1996, also drei Jahre nach dem ursprünglich angekündigten Auslieferungstermin, die ersten 20.000 Tonerjet-Geräte auf den

Markt kommen. Doch auch daraus wurde nichts.

Bis heute ist die Geschichte des Tonerjet-Verfahrens für alle Beteiligten ein Millionengrab geblieben. Ein vermarktungsfähiges Produkt ist nicht in Sicht. Weiterhin faxen, drucken und kopieren die Anwender auf den Geräten mit herkömmlicher Übertragungstechnik.

Insofern sind wir sehr gespannt, ob die angekündigte Revolution im Bereich der digitalen Fotografie nicht doch nur auf dem Papier stattfindet.

Damian Sicking

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