Kommentar: Guten Morgen, Netscape!

20.02.1998

Im Mai 1997 berichtete das "Manager Magazin" von akutem Platzmangel in der Netscape-Zentrale in Mountain View. Die Mitarbeiter hätten ihre Schreibtische auf die Gänge geräumt, weil die Firma aufgrund des riesigen Erfolges so rasant gewachsen sei. Nett von den Mitarbeitern - mußten die Manager des Unternehmens sich wenigstens keine Gedanken über einen Umzug machen. Anscheinend hat sich die Führungsebene des Software-Unternehmens jedoch auch über einige andere Dinge den Kopf nicht zerbrochen. Zum Beispiel über die Zukunft. Oder um die immer wacher werdende Konkurrenz. Warum auch? Der Weg führte vom Start senkrecht nach oben. Alles jubelte dem Börsenüberflieger zu. Dumm allerdings, wenn der Weg nach dem Start nicht wenigstens in die waagerechte Gerade übergeht, sondern in einer hübschen Rechtskurve wieder nach unten führt.Die Browser-Rechnung ist nicht aufgegangen. Denn der "Navigator" bereitete dem Branchenriesen Bill Gates mehr Kopfzerbrechen als geplant. Der Browser-Krieg brach aus. Und der "Internet Explorer" von Microsoft wurde mit jeder Version ausgefeilter und kostenloser. Aber erst bei Version 4 haben die Manager in Silicon Valley Reaktionen gezeigt. Zu spät. Netscape hat sich zu lange auf seinen Browser verlassen und der ist nun kriegsinvalide - er bringt keinen Cent mehr ein. Doch womit soll Netscape von nun an sein Geld verdienen? Klar, Großkunden müssen her, Internet-/Intranet-lösungen und E-Commerce. Nur leider ist dieser Umschwung reichlich spät gekommen.

Mal ehrlich, Netscape hat verschlafen. Auch so mancher Partner wacht jetzt auf und stellt fest, daß er sich erst an die neue Gangart von Netscape anpassen muß. Da werden Distributoren zu "Authorized Support Providern (NASP)", "Afilliate Partner" zu Distributoren, Distributoren zu Systemintegratoren, einige zu allem, und ein paar andere fallen komplett aus dem Vertriebskonzept heraus. Wäre kein Wunder, wenn so mancher Partner bei diesem Vertriebswust aus dem Tritt geraten und eine andere Richtung einschlagen würde. Vergleichbare Produkte sind ja nicht schwer zu finden. Man mag von Microsoft und seinen Produkten halten, was man will, einen Vorteil haben sie auf jeden Fall: Sie sind immer da, wenn man nichts besseres findet. Und das stellt auch gerade der eine oder andere Partner von Netscape fest. Ob die Authorized Support Partners, Affiliate Partners, Partners, Systemintegratoren, Händler und nicht zuletzt die Endkunden dem ehemaligen Börsenliebling die neue Strategie abkaufen, bleibt abzuwarten.

Intranet- und Internet-Lösungen haben schon bewiesen, daß sie Geld bringen. Netscapes neuestes Steckenpferd E-Commerce jedoch hat noch keine Cashcow-Qualitäten gezeig,t und eine weitere Pleite kann sich der Senkrechtstarter nicht mehr leisten.

Wie auch immer, die Mitarbeiter in der Zentrale durften ihre Schreibtische sicher bereits wieder in ihre Büros zurücktragen: Denn Platz hat Netscape nach der Entlassungswelle ja wieder genug in seiner Zentrale.

Gabriele Nehls

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