Kommentar: Schreckgespenst Dell flößt HP keine Angst ein

22.05.1998

Das Lesen der Quartalsberichte von Marktforschern gleicht seit zwei Jahren bei IT-Managern einem Ritual: Zuerst trennen sie die Quartalszahlen nach Direkt- und Indirektanbietern auf. Dann vergleichen sie die Zahlenkolonnen nach Umsatz- und Stückzahlplus und -minus (gemessen an dem Vorjahr). Schließlich sortieren sie alle Informationen, die sie in Sachen Indirekt- contra Direktverkauf parat haben, um für das gleich anstehende Meeting "Sollten wir nicht auch direkt verkaufen?" gewappnet zu sein.Jeder IT-Hersteller liebäugelt mit der Dell-Methode. Denn der PC-Direktanbieter führt mit immer neuen Rekordzahlen den Verfechtern des indirekten Vetriebs vor, daß ausschließlich endkundenorientiertes Marketing zusammen mit "Build to order"-Logistik und deligiertem Support zu Marktanteilen und Gewinn führt. Daß Dell von der gediegenen "Financial Times" zur gerade eine Handvoll PC-Anbieter zählenden "neuen Elite der PC-Anbieter" gerechnet wird, die nicht ein Opfer der vermuteten Herstellerkonzentration werde, versteht sich.

Kein Wunder, daß Dells Erfolgsmodell bei Marketiers von Anbietern, die über Partner und den Fachhandel verkaufen, regelmäßig für Verlegenheit sorgt. Und für Beweisnot, die Zukunft des indirekten Vertriebs betreffend.

Bekanntlich macht dieser bei allen Beteiligten - Hersteller, Distributor, Händler und Endkunde - viel Ärger.

Partner zum Beispiel. Sie mäkeln an Vertriebsmodellen herum und sind trotz langwieriger Zertifizierung sofort bereit, dem jeweiligen Hersteller die Freundschaft aufzukündigen, um bei einem anderen anzudocken. Partner, so lautet die in Mißstimmung oder abendlicher Runde immer wieder geäußerte Herstellermeinung, sind lästig.

Weshalb bei vielen Herstellern die im "Direkt contra Indirekt?"-Meeting regelmäßig aufgeworfene Frage lautet: Warum kopieren wir nicht Dells Modell?

Eine Antwort ist: Weil die Dell-Kopie nicht notwendig ist, um zu Marktanteilen und Gewinn zu kommen. Wie ein Blick auf die Ergebnisse von Hewlett-Packard, dem Drittplazierten im deutschen Geschäftskundenmarkt und Verfechter des indirekten Vertriebs, zeigt. HP konnte gegenüber Q1/97 um fast 70 Prozent mehr PCs verkaufen. Wobei HP doppelt so viel PCs wie Dell in den Business-Bereich brachte. Ein weiteres Argument für den indirekten Vertrieb ist, daß HP am indirekten Vertrieb festhalten will. Obwohl die Böblinger den Nutzen des Internet für alle Bereiche der Dienstleistung - von "Build to order"-Auftragsannahme bis hin zu Online-Support - kennen und einsetzen werden. Was nämlich HP am indirekten Vertrieb festhalten läßt, ist die langjährige Erfahrung mit ihm. Anders als bei so manchen Herstellern, die zwar den indirekten Vertrieb propagieren, doch bei jedem Quartalsergebnis laut darüber nachdenken, ob sie es nicht doch wieder zugunsten einer neuen Vertriebsform beerdigen sollen, ist die Haltung von HP eindeutig. Sie überzeugt System- und Softwarehäuser und VARs.

Es lohnt sich, sich zertifizieren zu lassen oder Umsatzhöhen und Rabattierungsklauseln festzulegen. HP zeigt: Der indirekte Kanal ist für klare Vertriebsstrategien zu haben. Trotz des unvermeidlichen Mäkelns und trotz des Schielens auf die schnelle Mark.

Es lohnte sich also für IT-Marketiers, die Lektüre der neuesten Quartalszahlen entgegen der sonstigen Gewohnheit vom Kopf auf die Partnerfüße zu stellen.

Wolfgang Leierseder

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