Konfuse Produktpolitik

07.01.1999

MÜNCHEN: Das viertgrößte Softwareunternehmen der Welt, Adobe Systems Inc., schickt sich an, das Internet zu erobern. Erstaunlich spät richtet das erfolgreiche Unternehmen für Publishing-Programme eine strategische Internet-Abteilung ein.Genau vor einem Jahr ging ein Ruck durch das Haus Adobe. Wachgerüttelt durch die Asienkrise und durch die unangenehme Situation, den amerikanischen Analysten Verluste präsentieren zu müssen, begann der Softwaregigant, seine Strukturen zu überdenken. 25 Millionen Dollar Umsatz waren dem Unternehmen im dritten Quartal allein in Japan zwischen den Fingern zerronnen. Mit einem Ergebnis von 225 Millionen Dollar lag man unter der Vorjahresmarke von 230 Millionen Dollar und Lichtjahre hinter der Wachstumsvorgabe von 15 Prozent, die Adobe-Chef John Warnock für 1998 ausgegeben hatte.

Freilich: Unter der Asienkrise litten viele große amerikanische Unternehmen. Für Warnock machte sich allerdings die mangelnde Flexibilität im Unternehmen besonders schmerzlich bemerkbar. "Wir konnten unsere Kosten nicht in gleichem Maße reduzieren, wie die Umsätze in Asien zurückgingen", erklärte Warnock im August 1998. Die Reaktion: Innerhalb eines Monats reduzierte der Adobe-Chef die weltweite Belegschaft um zehn Prozent. Gleichzeitig startete Warnock durch: Das Internet in all seinen Facetten erklärte er zum künftigen strategischen Kern des Unternehmens. Das sollte fortan für die Grafikprogramme gleichsam gelten, wie im Publishing-Sektor. Eine Schlüsselrolle soll dabei dem hauseigenen PDF-Format zukommen.

Internet konfus

Ausgerechnet der Internet-Bereich war das Thema, bei dem Adobe bis dato keine allzu gute Figur machen konnte. Dabei waren die Voraussetzungen gut: Mit "Illustrator" und "Photoshop" brachte man zwei wichtige Werkzeuge in den neuen Markt mit, und fast alle Internet-Auftritte kommen bei der Produktion mit mindestens einem dieser beiden Werkzeuge in Kontakt. Die Pflege der Werkzeuge ließ Internet-Entwickler aber zu einem guten Teil im Regen stehen, so daß stets ein erhebliches Budget in alternative Kanäle, etwa zu Macromedia oder zu kleinen New-comern wie Ulead abfloß. Auch der Aufkauf der Web-Entwicklungssoftware "Pagemill" und "Sitemill" brachte da keine nennenswerte Änderung. Noch 1996 wurde "Pagemill" als eines der innovativsten Werkzeuge gelobt, 1999 rangiert das Tool unter ferner liefen. Folgerichtig ordnet Warnock das Werkzeug in die Consumer-Schiene ein, aus der sich Adobe gezielt weg bewegen will. Dem fällt vermutlich auch die leidlich erfolgreiche Low-End-Bildbearbeitung "Photo Deluxe" zum Opfer. Dafür darf Adobe jetzt eine HTML-Lösung für Profis verkaufen: "Golive" ist eines der führenden Publishing-Systeme für große, redaktionell betreute Sites.

Immerhin, PDF hat den Weg in die Herzen der Internet-Gemeinde gefunden. Das Format hat sich als Standard für dokumentenechte Vordrucke und Publikationen im Web etabliert. Inzwischen kann man mit jedem Publikationswerkzeug PDFs erstellen, die Software, die zum Betrachten nötig ist, verschenkt Adobe im Web. Wenn es nach Warnock geht, kommt in diesem Jahr noch ein weiterer Internet-Standard aus dem Hause Adobe: PGML, die Precision Graphic Markup Language wurde gemeinsam mit Netscape, IBM und Sun entwickelt und soll dazu dienen, die Einbindung grafischer Elemente in Internet-Seiten zu verbessern. So sollen Grafiken in der Lage sein, ohne Plug-ins auf Mausklicks reagieren zu können, etwa, um ein Detail zu vergrößern oder eine Erklärung zu einem Bildausschnitt zu zeigen.

Nachzügler Grafikprogramme

Sehr spät, nämlich erst Ende letzten Jahres, brachte Adobe Programme für Internet-Grafik auf den Markt. Die Einführung von "Imageready" und "Imagestyler" mißlang allerdings gründlich. Beide Produkte kamen kurz nacheinander auf den Markt und vermasselten sich gegenseitig die Show.

Kaum ein halbes Jahr später liefert Adobe den "Imagestyler" zu Testzwecken schon nicht mehr aus. Er werde grundlegend überarbeitet, heißt es in München. Auch "Imageready" muß sich bereits der ersten Schönheitskur unterziehen.

Noch im Juli will Adobe ein neues "Photoshop"-Upgrade in Amerika zeigen. Kern der Neuerungen - wer hätte das gedacht - verbesserte Funktionen für Web-Designer. Gleichzeitig setzt die Company eine abgespeckte "Photoshop"-Variante für den Consumer-Markt auf die Schiene. Für den gleichen Markt ist auch "Activeshare" konzipiert. Die Technologie soll Endanwendern helfen, digitale Photos zu verwalten und zu bearbeiten.

Direktvertrieb wächst

Zurück zum Geschäft. Warnocks Alarm letzten Sommer zeigte Wirkung. Im Oktober gab der Adobe-Chef die Vorschau auf ein glänzendes Ergebnis für das vierte Quartal bekannt, welches sogar über den Erwartungen der Börse liegen sollte. Die Aktie reagierte prompt und kletterte noch am selben Tag um knapp zehn Prozent. Zeitgleich tätigte Adobe neue Entlassungen. Noch einmal wurden zehn Prozent der Belegschaft ausgedünnt. Diesmal traf es vor allem die Europa-Fraktion in Schottland. Dennoch reichte der Kurswechsel nicht, um die Jahresbilanz gerade zu rücken. Mit einem Umsatz von 895 Millionen Dollar blieb man zwei Prozent unter dem Vorjahreswert, der Gewinn fiel sogar um 44 Prozent.

Trotz personeller Ausdünnung gelang es Adobe in diesem Jahr wieder auf den Wachstumspfad zurückzukehren. Die soeben veröffentlichten Ergebnisse des zweiten Quartals liegen um 8,1 Prozent über dem Vorjahr (1998: 272,3, 1999: 245,9 Millionen Dollar). "Schuld" an dieser positiven Entwicklung ist neben "Golive" das neue Release von "Acrobat", Adobes PDF-Software. Trotz der günstigen Ergebnisse setzt Warnock die Entlassungsstrategie fort. Weitere 250 Entlassungen wurden bereits angekündigt.

Der Aktienkurs wird auch von einem ganz neuen Produkt beflügelt. Lange hatten die Analysten sich verwundert gezeigt über den mangelnden entwicklerischen Output bei Adobe. Mit 200 Millionen Dollar geht immerhin ein Fünftel des Jahresumsatzes für Forschung drauf. Jetzt kommt allerdings wieder Leben in die Bude. "Indesign" heißt das Zauberwort und dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein professionelles Layout-Werkzeug für höchste Ansprüche, oder, wie die Amerikaner es etwas drastischer formulieren: der "Quark-Xpress-Killer". Die Profis von der Grafiker-Zeitschrift Page beurteilen das Werkzeug sehr wohlwollend, zumal sich Quark in den letzten zwei Jahren auch nicht gerade mit entwicklerischen Lorbeeren geschmückt hat.

Das neue Tool wird im Sommer in den Regalen des deutschen Fachhandels zu finden sein. Spannend wird sein, wie sich das Erscheinen von "Indesign" auf die Verkäufe von "Pagemaker" auswirkt. Zwar mühen sich die Vermarkter, die unterschiedlichen Einsatzbereiche der Tools hoch zu halten, doch scheint "Pagemaker" zwischen den Stühlen zu sitzen. "Framemaker", ein Adobe-Zukauf von 1995, ist das bessere Werkzeug für große Dokumente, etwa Handbücher. "Indesign" wird im kreativen Segment beheimatet sein und zu einem ähnlichen Preis wie "Pagemaker" auf dem Markt erscheinen. Große Agenturen könnten ihr Heil in der Kombination "Framemaker" plus "Indesign" suchen und "Pagemaker" verschmähen.

Egal wie, "Indesign" wird nicht nur in den Regalen des Handels auftauchen. Adobe setzt in naher Zukunft voll auf den Direktvertrieb via Internet. Erfolge auf der amerikanischen Web-Site motivieren zusätzlich und der Web-Verkauf bietet in Europa Perspektiven zur Umsatzsteigerung bei gleichzeitig geringerem Personalbestand. Warnock nahm kein Blatt vor den Mund: "Noch in diesem Jahr werden wir eine sehr aggressive E-Business-Initiative bekannt geben." (fp)

Innerhalb eines Jahres hat Adobe-Chef Warnock fast ein Fünftel der Mitarbeiter abgebaut und einen Großteil des Managements ausgetauscht.

Lange mußten Web-Designer auf dieses Photoshop-Upgrade warten. Die Frage: Wer kauft jetzt noch Imageready?

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