Kreditversicherer ziehen sich zurück - Distis übernehmen Risiken für Handel

05.06.2003
Die Kreditversicherer minimieren über höhere Prämien und rigorose Streichungen der Kreditlinien bei Risikokandidaten ihr Engagement in der IT-Branche. Jetzt springen die Distributoren in die Bresche und übernehmen das Risiko: Sie vergeben hauseigene Limits für ihre SMB-Händler und Neukunden aus diesem Marktsegment.

Seit Mitte des vergangenen Jahr schrillen in der Distributionsszene die Alarmglocken. Die Kreditversicherer Hermes, Gerling & Co. signalisierten eine zunehmend schärfere Gangart gegenüber der IT-Branche (siehe ComputerPartner 6/03, Seite 44).

Als Instrumente der so genannten Risikominimierung dienen den Versicherungsunternehmen dabei Prämienerhöhungen und weniger Toleranz bei der Vergabe der Kreditlinien, ohne die ein Überleben im Markt fast unmöglich wird. Jüngste Beispiele dafür sind der Düsseldorfer Komponentendistributor Sky Electronics und Selling Point. Wobei das Streichen der Kreditlinien meistens der letzte Tropfen ist, der dann das Fass endgültig zum Überlaufen bringt. Konjunkturschwäche, Umsatzeinbruch und hausgemachte Probleme gehen in den meisten Fällen dem Todesstoß durch die Versicherer voraus.

"Die Macht der Kreditversicherer ist in Deutschland sehr groß: Werden die Kreditlinien gestrichen, drehen auch die Banken den Geldhahn zu, und das Unternehmen steht innerhalb kürzester Zeit vor dem Aus", beschreibt Gerhard Schulz, Sprecher der Geschäftsführung bei Ingram Micro, die brisante Situation im Markt. "Zugespitzt hat sich die Lage auch durch den rasanten Anstieg der Firmeninsolvenzen, die in diesem Jahr nochmal um 15 bis 18 Prozent ansteigen werden. Und das gilt auch für die IT-Branche", ergänzt Mark-Björn König, Director Credit Services bei Tech Data Deutschland. Wobei Insider darauf hinweisen, dass die Kreditversicherer selbst "bis Mitte 2002 einiges verpennt haben, und dann folgte das böse Erwachen in Form von immer mehr desaströsen Bilanzen".

Da die Kreditversicherer immer weniger Risiken für das eigene Unternehmen eingehen, muss die IT-Branche eigene Wege finden, ihren Absatz abzusichern und zu finanzieren. Diese Aufgabe fällt seit dem vergangenen Jahr der Distribution - als Mittler zwischen Hersteller und Handel - zu. Denn die Hersteller reißen sich nicht darum, die Risiken für den eigenen Umsatz mit den Partnern zu tragen.

Der Job wurde also an die Distribution delegiert - und die findet das gar nicht schlecht: Denn die Broadliner stimmen darin überein, dass sie eigentlich die besseren Voraussetzungen für Credit-Management (Vergabe von hauseigenen Kreditlinien) und Ratings (Einschätzung ihrer Partner) haben als die gesichtslosen Versicherer. Außerdem kommt das Argument einer Mehrwertleistung für Lieferanten und Handel ins Spiel.

"Mit den normalen Kreditlinien der Versicherer kommt keiner mehr aus. Der Vorteil aus dieser Entwicklung: Wir werden damit für die Hersteller immer wichtiger", betont Michael Urban, Chef der Actebis-Gruppe. "Die Kreditversicherer haben sich immer - auch aufgrund ihrer internen Strukturen - mit der Einschätzung kleinerer Unternehmen schwer getan: mit der Flut an Information, ihrer Aufbereitung und der entsprechenden Nutzung", meint Tech-Data-Manager König. Der Wettbewerb sieht das ähnlich: "Unsere Kennzahlen, bestehend aus harten und weichen Fakten, führen zu einer eigenen Einschätzung, die dem Kunden besser gerecht wird. Denn unsere Mitarbeiter haben den permanenten Kontakt mit den Händlern", pflichtet Ingram-Micro-Geschäftsführer Schulz bei.

Also spart man sich - zumindest bei den SMB-Kunden - die Prämien und trägt das Risiko selbst. Die Kreditversicherer bleiben außen vor. Die drei großen Spieler der Distributionsszene - Actebis/Peacock, Ingram Micro und Tech Data - bauen eigene Abteilungen auf, die sich nur mit so genanntem Credit-Management (Vergabe von Kreditlinien) sowie der Einschätzung von SMB-Händlern (Rating) befassen: Im Schnitt sind rund 30 Mitarbeiter bei den Broadlinern damit beschäftigt, kleine und mittlere Fachhändler sowie Systemhäuser auf folgende Fakten hin zu überprüfen und danach hauseigene Limits zu vergeben:

- Zahlungsverhalten,

- Historie: Entwicklung des Unternehmens,

- Bonitätsprüfung über Auskunftsdateien,

- Offen legen der Bilanzen ist gerade bei Neukunden erwünscht, aber kein Muss (abhängig von der Höhe der benötigten Kreditlinie),

- Rücksprache mit/und Einschätzung der Vertriebsmitarbeiter, die den direkten Kundenkontakt haben.

Die drei genannten Broadliner definieren das Segment der SMB-Händler allerdings verschieden: Actebis/Peacock versichert alle Kunden mit einem Umsatz bei der Actebis-Gruppe, der kleiner als 30.000 Euro ist, selbst. Ingram Micro legt seiner Definition das gesamte Einkaufspotenzial in der Distribution zu Grunde: Unter einem Distributionsumsatz von 350.000 Euro wird der Händler als SMB-Kunde in Dornach eingestuft. Tech Data legt seiner Einordnung einen Außenumsatz zwischen 0,1 und 4 Millionen Euro zugrunde: Wobei der Partner davon 40 Prozent mit der Distribution und den verbleibenden Anteil mit SMB-Endkunden umsetzen sollte.

Für die so definierten Kunden tragen die Broadliner jetzt das Risiko selbst. Im Klartext: Geht einer der belieferten Händler Pleite, zahlt der Distributor die Zeche aus der eigenen Kasse und kann den Verlust nicht mehr bei seinem Kreditversicherer einfordern. Für dieses Risiko erwarten die Distis ein gewisses Entgegenkommen: mehr Offenheit von Seiten der Händler in Sachen der Bilanzen.

Distis erwarten mehr Offenheit von Partnern

Und hier zeigt die SMB-Klientel laut Distribution zu wenig Einsehen: "Die Händler müssen offener werden - und uns vor allem rechtzeitig über anstehende Projekte oder benötigte Erweiterung ihrer Zahlungsziele informieren", fordert Actebis-Chef Urban. "Wir sind darauf angewiesen, dass der Kunde seine Schlüsseldaten zur Verfügung stellt. Und das ist in Deutschland immer noch schwierig, dem Händler zu vermitteln: Anders als zum Beispiel in den USA oder anderen europäischen Ländern wie UK, wo die Partnerschaft zwischen Distributor und Händler wirklich gelebt wird", stimmt Tech-Data-Manager König zu.

Familiärer, aber nicht weniger ernsthaft, geht es dagegen bei Distributoren zu, die fast ausschließlich mit SMB-Händlern zusammenarbeiten wie zum Beispiel COS oder Wortmann. Beide Distributoren bieten ihren Händlern bereits umfassende Unterstützung bei der Absatzfinanzierung - auch ohne Kreditversicherer.

"Wir setzen auf eine individuelle Bewertung der einzelnen Partner. Die Risikoeinschätzung nehmen wir vor und vergeben dann das entsprechende Limit", erklärt Jochen Strack, Finanzvorstand der COS AG in Linden. Seit Mitte 2002 verfahre man mit allen Händlern so, die keinen Vertrag mit einem Kreditversicherer vorweisen könnten beziehungsweise deren Kreditversicherungslimit für das tatsächliche Umsatzvolumen nicht ausreicht. Allerdings habe man dafür auch monatelange Aufbauarbeit geleistet, um ein funktionstüchtiges Debitorenmanagement auf die Beine zu stellen. Ähnlich wie die Broadliner sieht der Finanzchef "das funktionierende Debitorenmanagement und die hauseigene Limitvergabe als klaren Mehrwert gegenüber Lieferanten und Händlern".

Unorthodoxer läuft das Verfahren dagegen bei der Wortmann AG ab: Hier prüft der Chef noch selbst und entscheidet dann über die Kreditlinie des jeweiligen Kunden. "Natürlich machen wir nicht für jeden Kunden alles. Auch bei uns entscheiden Erfahrungswerte wie Zahlungsverhalten, Historie und Bonität über das Limit des Händlers. Letztendlich entscheiden die Daten des Partners darüber, wie viel Verantwortung wir für den jeweiligen Kunden übernehmen", erklärt Firmenchef Siegbert Wortmann.

Ob die Distributoren - aus der Broadline-Szene oder aus der nächst größeren Disti-Liga - finanzielle Risiken für ihre Partner übernehmen, entscheiden nicht nur die knallharten Fakten, die der Händler vorlegt, sondern auch der Hintergrund des jeweiligen Distributors. Denn ohne ein gesundes finanzielles Rückgrat kann sich kein Disti für seine Kunden aus dem Fenster lehnen. "Die Distribution wird künftig mehr Verantwortung übernehmen müssen. Und hier wird sich ganz klar die Spreu vom Weizen trennen: Wer Credit-Management nicht als Kernkompetenz der Distribution anerkennt, wird nicht überleben", bringt es Ingram-Manager Schulz auf den Punkt. (ch)

Lesen Sie zu diesem Thema auch unseren Kommentar auf Seite 8.

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