Kündigungsschutz

06.04.1998

MÜNCHEN: Sei es nun Compaq, Apple oder IBM - große Hersteller sind allgemein bekannt dafür, daß sie sich ohne jede Sentimentalitäten von ihren Distributoren und autorisierten Händlern trennen, wenn es ihnen ihre aktuelle Vertriebsstrategie sinnvoll erscheinen läßt. Doch hinter den Kulissen zeigt sich, daß das gar nicht so einfach ist - wenn der jeweilige Vertriebspartner die geltenden deutschen, aber auch die EU-Präzedenzfälle kennt.Beim Thema "Kündigung von Lieferantenverträgen" platzt vielen Distributoren - aber auch Händlern - die Hutschnur. "Vor allem Compaq ist doch bekannt dafür, daß sie sich ratzfatz von einem Disti trennen, wenn es dem nicht gutgeht", echauffiert sich beispielsweise der Geschäftsführer eines süddeutschen Großhandelsunternehmens auf die Frage, was er denn von der Trennung des Herstellers von Netzwerkdistributor Azlan halte. "Aber", so fügt er hinzu, "man hat als Vertragspartner durchaus Mittel und Wege, sich zu wehren."

Besonders gut stehen die Chancen, wenn die Geschäftsbeziehung länger als zwei, am besten bereits seit drei Jahren besteht. Denn dann, so die Erfahrung größerer Handelsunternehmen, gelten beispielsweise die häufig in den Vertriebsverträgen festgelegten Kündigungsfristen von 30 oder 60 Tagen zum Quartal (oder Jahresende) nicht mehr. "Dann nämlich", so reibt sich ein Profi die Hände, "kann man vor Gericht eine Kündigungsfrist von ein bis zwei Jahren erwirken - unter Berufung auf eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1963. Das gilt besonders, wenn die Geschäftsbeziehung Ähnlichkeit mit einer Werksvertretungspflicht hat."

Auch Fabian von Kuenheim, Vorstandsvorsitzender der Magirus Datentechnik, kennt diese Regelung. "Sie stammt noch aus der Zeit, als die EU entschied, daß Autohändler zwei Jahre vor der Kündigung des Liefervertrages vom Hersteller gewarnt werden müssen. Die Maastrichter Verträge legen fest, daß es da für keinen Industriezweig Ausnahmen gibt - deshalb kann die IT-Industrie genauso davon profitieren." Entsprechende Urteile sind laut Aussagen mehrerer IT-Distributoren in Deutschland kürzlich bereits für die Unterhaltungselektronik-Branche ergangen.

Schadenersatzanspruch besteht oft häufiger als gedacht

Das Zauberwort, das Vertriebspartner hoffen und Lieferanten erzittern läßt, heißt Schadenersatzanspruch. Den hat man als geprellter oder unrechtmäßig gekündigter Partner eines Herstellers oft schneller, als die meisten annehmen. Besteht in oben geschildertem Fall der Lieferant auf einer schnellen Auflösung des Vertrages, auch wenn dem Händler eine Frist von einem oder zwei Jahren per Gericht zugesprochen wurde, kann man auf Schadenersatz klagen.

Besonders rosig sieht es für Distributoren oder Händler aus, die Verträge mit einem Hersteller gleich für mehrere EU-Länder abgeschlossen haben: "Es ist höchst unwahrscheinlich, daß man in allen Fällen abschlägig von den entsprechenden Gerichten beschieden wird", so der Rechtsexperte eines Distributors. "Innerhalb der Europäischen Union schützen bestimmte Richtlinien Händler vor Lieferanten, und diese Richtlinien werden - und wurden zum Teil schon - als Gesetze in Blei gegossen."

Hat man als Vertriebspartner über mehr als zwei Jahre ein gutes Geschäft mit einem Hersteller gemacht, seine Rechnungen weitestgehend pünktlich bezahlt und soll dann auf die eine oder andere Weise ohne eigenes Verschulden aus dem Vertrag gekündigt werden, könnte ein cleverer Distributor/Händler sogar erreichen, daß ihm der Hersteller fünf Jahre lang die geschätzte, zu erwartende Rohmarge aus dem entgangenen Geschäft bezahlt. "Soviel Geld verdient man nie wieder", frotzelt denn auch der Geschäftsführer eines Distributionsunternehmens, der gerade inmitten eines solchen schwebenden Verfahrens steckt. Er wendet aber ein, daß bislang alle entsprechenden Klagen im Computergeschäft in einem Vergleich endeten.

Eine weitere Bestimmung im Handelsgesetz kann ebenfalls die Kassen des Partners klingeln lassen: Wenn im Distributionsvertrag nicht ausdrücklich anders vereinbart, ist der Lieferant zur Rücknahme des Lagers verpflichtet - und zwar zum ursprünglichen Verkaufspreis.

Fehlerhafte Lagerhaltung einmal ausgeschlossen, kann das dem Vertreiber besonders dann einiges an Geldern bringen, wenn er auch noch "ältere" Systeme des Lieferanten hortet.

Auch Händler können Schadensersatzansprüche anmelden

Ergo: Während Distributoren - vor allem, wenn sie international innerhalb Europas agieren - alle möglichen Rechtsmittel ausschöpfen können, bleibt der national agierende Fachhändler an die deutsche Rechtsprechung gebunden. Doch auch hier wissen Profikläger den einen oder anderen Tip, um zu ihrem Recht zu kommen:

1. Sowohl für Distributoren als auch für Händler interessant: War die Vertriebsvereinbarung mit einem Lieferanten mit einer hohen Investition für den Vertriebspartner verbunden, kann sich der Lieferant nur schwer aus der Affäre ziehen, wenn er den Partner loswerden will. Hier kann ein gutvorbereiteter Kläger Schadenersatzansprüche vor Gericht einklagen.

2. Ein einzelner Händler, dessen Hauptdistributor aus einem Lieferantenvertrag herausgekündigt wurde, kann diesen Hersteller auf Schadenersatz verklagen, wenn er keinen neuen Lieferanten findet.

3. Oder: "Wenn ein Hersteller den Kunden eines Händlers direkt angeht, gilt das als ,Geschäftsentzug'". Und damit ist die rechtliche Grundlagen für eine Schadenersatzforderung gegeben."

Insgesamt sind laut deutschem Recht beide Seiten eines Lieferantenvertrages verpflichtet, den Schaden zu minimieren - auch und besonders bei einseitiger Kündigung. Das heißt: Der Lieferant muß den Vertriebspartner beispielsweise beim Lagerabverkauf unterstützen, auch wenn das Verhältnis der beiden Vertragspartner getrübt ist. Er darf auch nicht die Lieferung einstellen oder die Auflösung des Vertrages ankündigen, solange die Kündigung noch nicht wirksam ist. Denn sonst kann der Partner wiederum Anspruch auf Schadenersatz

geltend machen (du)

Magirus-Chef Fabian von Kuenheim kennt sich gut aus im nationalen und internationalen Recht des Händlers.

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