Stagnation in PC-Spielen

Künstliche Intelligenz oder künstliche Dummheit?

05.05.2008
Von Heiko Klinge

Wo bleiben Emotionen?

Bei der Gegnerintelligenz mag das Story-Argument der Entwickler noch ziehen, bei den sterilen oder unglaubwürdigen Spielwelten vieler Titel versagt es jedoch. Die Auftraggeber in Hellgate wirken ähnlich lebendig wie Litfass-Säulen, The Witcher-Hausbewohner stört es nicht die Bohne, wenn der eingedrungene Held sämtliche Schränke und Truhen plündert. Die Tristesse im virtuellen Leben ist ein Lieblingsthema für Frank Gwosdz und Serein Pfeiffer. Die beiden entwickeln mit ihrer Firma Artificial seit 2005 KI-Software für Spielestudios. Frank Gwosdz: "Viele Entwickler kümmern sich bei der KI nur um das, was fürs Spielprinzip essentiell ist. Aber wenn man sich zum Beispiel die Herr-der-Ringe-Bücher von Tolkien durchliest, dann geht's darin eben nicht nur um das Essentielle der Handlung. Die Bücher schildern ein ganzes Universum. Erst dadurch kann man ein Gefühl von Lebendigkeit hervorrufen."

Lebendige Spielwelten machen die Arbeit der KI-Programmierer freilich um ein Vielfaches komplizierter. Schließlich müssen Sie dann nicht nur das Verhalten von Gegnern und Einheiten definieren, sondern auch das von unzähligen Tieren und Nicht- Spieler-Charakteren - am besten noch abhängig vom Wetter und von den Tageszeiten. Wie schnell das zur Mammutaufgabe werden kann, erläutert Thomas Stein am Beispiel des Gegnerverhaltens von Anno 1701: "Wir mussten zunächst eine lange Liste von Bedingungen erstellen, die eintreffen können. Aus denen ergaben sich jeweils bestimmte Aktionen. Diese Aktionen mussten wiederum für jeden Gegner einzeln konfigurierbar sein und außerdem das Verhältnis zum Spieler sowie das Verhältnis der KI-Spieler untereinander berücksichtigen."

Ein weiteres Problem dieser so genannten "Environmental AI": Je glaubwürdiger und realistischer die Spielwelt, desto auffälliger und störender die Unstimmigkeiten. Unsere Experten zeigen sich etwa allesamt tief beeindruckt von den belebten Städten in Assassin's Creed. Viele Spieler der mittlerweile erschienenen Xbox-360-Version kritisieren jedoch das offensichtlich unlogische Verhalten der Passanten, die einen Mörder offenbar selbst dann nicht erkennen, wenn er mit erhobenem Schwert neben ihnen steht.

Schlechte Planung = schlechte KI

Gut, aber dass lebensnahe KI einen enormen Aufwand bedeutet, wissen die Entwickler doch schon in der Planungsphase? Scheinbar nicht, meint zumindest Dr. Andreas Gerber. Der 33-jährige Diplominformatiker hat am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) promoviert und gemeinsam mit Studienkollegen die Firma Xaitment gegründet, die genau wie Artificial KI-Lösungen für Spielefirmen programmiert. Seine Erfahrungswerte aus der Praxis: "Bei den meisten Entwicklern werden nur 12 bis 24 Mann-Monate für die KI-Programmierung eingeplant. Es müsste aber mindestens das Fünffache sein." (Anm. d. Red.: ein Mann-Monat = ein Angestellter arbeitet einen Monat). Viel zu knapp sei entsprechend auch das Entwicklungs-Budget.

Und tatsächlich: Laut Thomas Stein investierte Related Designs 36 Mann-Monate in die KI-Entwicklung von Anno 1701, Blue-Byte-Programmierer Dirk Steenpass schätzt den Aufwand für Die Siedler: Aufstieg eines Königreichs auf 40 Mann-Monate. Diese Entwicklungszeiten liegen zwar etwas über den Angaben von Dr. Gerber, stützen aber dennoch seine Aussage, wenn man bedenkt, dass beide Titel eine sehr aufwändige "Environmental AI" besitzen und zudem mit einem Millionen-Etat entwickelt wurden. Zum Vergleich: Bei Xaitment arbeiten knapp 30 Leute seit zwei Jahren und mit einem Budget von 1,5 Millionen ausschließlich an der Entwicklung einer KI-Engine.

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