"Kunsterfindungen" und technologischer Fortschritt

11.12.2003
Zum Beitrag "Erfindergeist belohnen" in ComputerPartner 40/03, Steite 8, erreichte uns folgende Zuschrift:

Mit Interesse habe ich Ihr Plädoyer für Softwarepatente gelesen. Besonders spannend fand ich nämlich Ihre Argumentation, dass Software - im Gegensatz zu Literatur und Musik - Technologiesprünge kennt.

Spannend fand ich das vor allem auch deshalb, weil Sie damit ein sehr deutliches Argument gegen Ihr eigenes Anliegen abliefern. Denn Technologiesprünge dieser Art kommen sehr wohl in der Kunst vor. Zwölftonmusik, erlebte Rede, Shakespearesonette, abstrakte Malerei - sogar die von Ihnen angesprochenen Romane wurden erst im 17. Jahrhundert erfunden. Die Beispiele für "Kunsterfindungen" sind kaum zu zählen; einen Einblick gibt Ihnen aber jede gute Einführung in die Kunstgeschichte oder in die Literaturwissenschaft.

Nachdem solche Technologiesprünge in der Kunst also offensichtlich nicht gerade selten sind, würde mich interessieren, ob sich die Musik des 20. Jahrhunderts ähnlich dynamisch entwickelt hätte, wenn zum Beispiel an Schönberg Lizenzgebühren zu zahlen gewesen wären.

Markus Nickl, Geschäftsführer der Doctima GmbH, Erlangen

Anmerkung der Redaktion

Mein Plädoyer für Softwarepatente war nur sehr gemäßigt; ich habe Beispiele genannt, die meiner Ansicht nach als patentierungswürdig erscheinen: etwa eine neue Methode des Programmierens von Parallelanwendungen für Multiprozessorrechner oder ein in Software "gegossenes" Quanten-Computing. So etwas wäre in meinen Augen ein tatsächlicher Technologiesprung. Denn heute wird Software lediglich funktionell erweitert und verfeinert, dies sagt auch Charles Simonyi, ehemaliger Chef-Softwarearchitekt bei Microsoft und "Erfinder" von Word und Excel: "Bei Software konzentrieren wir uns heute auf inkrementelle Veränderungen in Prozessen." So etwas halte ich für nicht patentierbar.

Zwölftonmusik wurde ja auch nicht von Schönberg persönlich erfunden, sondern entwickelte sich aus unterschiedlichen Grundströmungen der Wiener Schule: Neben Schönberg beanspruchen auch noch Hauer und Steinbauer die Urheberschaft für sich. Und die Ursprünge reichen bis in die Zeit der gregorianischen Choräle zurück; auch in Indien gab es weit vor dem 19. Jahrhundert ähnliche Bestrebungen. Insoweit halte ich die Zwölftonmusik nicht für patentierungswürdig. Gleiches gilt meiner Meinung nach für die abstrakte Malerei und den Roman. Beide sind keine echten Erfindungen, sondern lediglich Weiterentwicklungen von bestehenden Stilrichtungen. Deswegen sind Softwarepatente meiner Meinung nach nur dann gerechtfertigt, wenn sie tatsächlich eine komplette Neuentwicklung dokumentieren.

Dr. Ronald Wiltscheck

rwiltscheck @computerpartner.de

Zur Startseite