Lässt ein kleiner Chip die Welt stillstehen?

03.11.1999

MÜNCHEN: Experten warnen schon seit Jahren vor dem großen Computerkollaps zum Millenniumwechsel. Inzwischen sind es nur noch rund 7.000 Stunden bis zum Jahr 2000. Was ist das überhaupt und woran liegt es?Das Jahr-2000-Problem begann schon in den 60er und 70er Jahren, als Speicherplatz knapp und damit auch sehr teuer war. Programmierer mußten mit jedem Bit geizen. Daher wurde in fast allen Anwendungen das Datum nicht vier- sondern nur zweistellig angegeben. Das sparte Ressourcen. Die Angabe "75" stand dann für 1975 und die Angabe "00" für 1900. Nach dem 31.12.1999 springen die Uhren - natürlich auch in allen Computern - weltweit auf den 1.1.2000 um. Da aber nur die letzten beiden Ziffern gewertet werden, erkennt der Rechner intern das Datum 1900.

Woher weiss der PC, welches Datum aktuell ist?

Jeder PC hat zwei Uhrenfunktionen - die eingebaute Real-Time-Clock, kurz RTC genannt, und eine im Bios (Basic Input Output System). Das Bios ist ein Programm, das die grundlegenden Ein- und Ausgaberoutinen auf dem PC managt. Die RTC ist ein kleiner Chip, der batteriegepuffert ständig weiterläuft, egal ob der PC ein- oder ausgeschaltet ist.

Beim Booten wird zunächst das Bios gestartet. Dessen Uhrenfunktion fragt die RTC nach der aktuellen Zeit und dem Datum. Nach dem ersten Auslesen laufen beide Uhren unabhängig voneinander. Auch in manchen Betriebssystemen befindet sich noch eine Uhrenroutine. Die wird alle 0,055 Sekunden aufgerufen und zählt lediglich die Uhrzeit weiter. Während des Rechnerbetriebes laufen also gleichzeitig und unabhängig bis zu drei Uhren im PC.

Welche Zeit ist die Richtige?

Bei den meisten RTCs fehlen immer noch die ersten beiden Stellen. Nur wenige Bausteine geben das Datum vierstellig aus. Problematisch sind nun in erster Linie Programme, RTC zugreifen. Diese können beim Jahrtausendwechsel dann mit dem falschen Datum versorgt werden. Die Bios-Uhr dagegen ist in neueren Computern immer angepaßt. Sie liefert immer die richtige Zeit. Ob die Rechner in Ihren Regalen Jahr-2000-fähig sind, läßt sich leicht überprüfen. Dafür gibt es kostenlos im Internet kleine Dos-Programme. Beispielsweise findet man unter den Adressen "www.trinitech.nu" und unter "www.nsl.com" solche Analysetools. Diese Programme sind nur etwa 20 bis 30 Kilobyte groß und somit in Sekunden geladen. Der Test selbst dauert nur wenige Minuten, das Ergebnis läßt sich anschließend ausdrucken. Das Programm überprüft die RTC und die Bios-Uhr. Dabei wird aber nicht nur der Jahrtausendwechsel getestet, sondern auch relevante weitere Daten. Zum Beispiel ist das Jahr 2000 ein Schaltjahr. Dieser Punkt sollte ebenfalls überprüft werden. Beheben kann aber kein Programm den Fehler.

Dsa kann alles passieren

Sehr viele PCs sind nicht fähig, die interne Uhr über das Jahr 2000 hinweg korrekt einzustellen. Solange der PC nur als Schreibcomputer oder zum Spielen genutzt wird, kann sich das nicht negativ auswirken. Aber schon mit dem Online-Banking kann es zu Problemen kommen, wenn das Datum nicht korrekt ausgegeben wird.

Nicht nur eine der internen Uhren kann für Verwirrung sorgen, selbst Anwendungsprogramme können über das Datum stolpern. Excel 5 rechnet beispielsweise richtig bis zum Jahr 2019, wenn man für die Jahreszahl beim Datum nur zwei Stellen eingibt. Aus "1.1.20" springt Excel in die Vergangenheit und macht daraus den 1.1.1920. Excel 97 rechnet bis zum Jahr 2030 richtig.

Was das nächste Jahrtausend bringen kann

Nicht nur Großrechner in Geldinstituten und Versicherungen sind abhängig vom aktuellen Datum. Auch Steuerungscomputer, wie sie zum Beispiel millionenfach in Autos, Flugzeugen, Aufzügen und so weiter eingebaut sind, haben eine kleine interne Uhr. Diese Uhr meldet nicht nur die genaue Zeit, sondern auch das Datum an den internen Computer. Beim Sprung von 1999 auf das Jahr 2000 wird der interne Computer feststellen, daß das entsprechende Gerät seit 100 Jahren nicht mehr gewartet worden ist. Damit nun keine Fehlfunktion auftritt, schaltet der Minirechner das Gerät, den Fahrstuhl oder das Auto einfach ab. Von solchen Pannen kann jedes Gerät betroffen sein, in dem ein Uhrenchip sitzt, egal ob es sich um ein Faxgerät, ein Auto oder ein Flugzeug handelt.

Solche Steuerungscomputer befinden sich aber auch in Kraftwerken und in allen militärischen Anlagen. Das amerikanische Verteidigungsministerien hat Rußland inzwischen einen Informationsaustausch angeboten, um "Zwischenfälle" zu vermeiden, berichtete die "Federal Computer Week". Denn sonst könnten am 1.1.2000 die Kühlsysteme russischer Kernkraftwerke ausfallen und gleichzeitig die ersten Interkontinentalraketen starten, weil die Software glaubt, daß seit 100 Jahren die Verbindung zum Zentralcomputer unterbrochen ist. Sie glauben, daß ist zu weit hergeholt? Das ist aber keineswegs so abwegig, daß man das nicht schleunigst überprüfen sollte.

Rechtliche Grundlagen

Wenn auch das Ausmaß von Computerstörungen, die auf den Y2K-Bug zurückzuführen sind, erst dann bekannt werden wird, wenn es zu spät ist - eines ist klar: Ob nur vereinzelt oder im großen Umfang, es wird jedenfalls zu Störungen kommen. Ist dann beispielsweise. ein Kaufhaus nicht mehr in der Lage, seine Kassen zu benutzen, so liegen die Haftungsfragen sofort auf der Hand. Ab dem 1.1.2000 werden sich mit Sicherheit landauf, landab Gerichte mit Jahr-2000-bedingten Regreßforderungen zu befassen haben.

Die Rechte des Käufers

Wer heute Software kauft, darf erwarten, daß sie 2000-fest ist. Software, die diese Anforderung nicht erfüllt, ist fehlerhaft im Sinne des Paragraphen 459, Absatz 1, BGB. Der Käufer hat daher das Recht, die Software gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzugeben (Wandlung). Gegen Schäden aus einer Benutzung der Software ist der Käufer hierdurch allerdings nicht umfassend gesichert. Gewährleistungsansprüche verjähren gemäß Paragraph 477 BGB innerhalb von sechs Monaten nach der Lieferung und somit deutlich vor dem 1.1.2000. Kaufrechtliche Schadensersatzansprüche, das heißt Ansprüche, die beispielsweise auf den Ersatz von Umsatzverlusten aufgrund von Softwarefehlern gerichtet sind, bestehen zudem nur, wenn der Verkäufer entweder den Käufer über die 2000-Kompatibilität arglistig getäuscht oder dem Käufer die Kompatibilität bindend zugesichert hat (Paragraph 463 BGB).

Um sich als Käufer ausreichend zu sichern, empfiehlt es sich, in Kaufverträge ausdrücklich eine Zusicherung über die 2000-Festigkeit der Software aufzunehmen. Es empfiehlt sich des weiteren, sich vom Verkäufer eine ausdrücklich Jahr-2000-Garantie geben zu lassen, deren Laufzeit über den 31.12.1999 hinausreicht, um gegen die ansonsten drohende Verjährung Vorsorge zu schaffen.

Keine Zusagen "ins blaue hinein"

Aus Verkäufersicht besteht an ausdrücklichen Zusicherungen und Garantien in Hinblick auf das Jahr 2000 naturgemäß kein Interesse, da derartige Zusagen das Haftungsrisiko ganz erheblich erhöhen. Wer Software verkauft, wird zudem darauf achten müssen, daß Aussagen über die 2000-Kompatibilität nicht "ins Blaue hinein" abgeben werden, da ansonsten eine Schadensersatzhaftung wegen arglistiger Täuschung droht. Zu guter Letzt ist der Verkäufer von Software gut beraten, seine Kunden auf das Jahr-2000-Problem hinzuweisen, wenn ihm diese Probleme im nachhinein bekannt werden. Haftungsrechtliche Informationspflichten können nämlich auch noch nach der Abwicklung eines Kaufvertrages entstehen, und zwar immer dann, wenn der Verkäufer im nachhinein von gravierenden und potentiell gefahrreichen Mängeln der verkauften Produkte erfährt. (jh)

Das Testprogramm hat den Rechner eindeutig als nicht Jahr-2000-fähig erkannt, weil die RTC das Datum falsch wiedergibt.

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