Langjährige Mitarbeiter lassen sich nicht mehr leicht auf die Strasse setzen

10.01.1998

MÜNCHEN: Eigentlich herrscht ja eher Knappheit an gut ausgebildeten Fachleuten in der IT-Branche. Wenn es aber doch mal zum Fall der Fälle kommen sollte, das heißt, eine Kündigung wird ausgesprochen, gelten neuerdings andere Regeln als noch vor kurzer Zeit. Jürgen Nath* zeigt sie auf.Durch das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz 1996 wurde der sogenannte Schwellenwert, das heißt die Mindestgröße, ab der das Kündigungsschutzgesetz einsetzt, quasi verdoppelt und damit eine Vielzahl von Betrieben aus dem gesetzlichen Kündigungsschutz herausgenommen.

Gleichzeitig befaßte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, ob die Herausnahme von Kleinbetrieben aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht möglicherweise verfassungswidrig sei. In seinen Beschlüssen vom 27. Januar 1998 hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, daß die Herausnahme sogenannter Kleinbetriebe aus der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes im Einklang mit der Verfassung steht. Dennoch ist durch diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Rechtssicherheit eingetreten, da zum einen der Betriebsbegriff des Kündigungsschutzgesetzes neu, das heißt verfassungskonform definiert wurde und zum anderen angedeutet wurde, daß auch an Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes verfassungskonforme Maßstäbe anzulegen seien.

Zwei Voraussetzungen für die Anwendung

Was dies im einzelnen bedeutet, soll im folgenden näher erläutert werden:

Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes hat lediglich zwei Voraussetzungen:

1. Das Arbeitsverhältnis dauert zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung länger als sechs Monate.

2. Der Arbeitgeber beschäftigt in seinem Betrieb eine bestimmte Mindestzahl von Arbeitnehmern. Das alte Kündigungsgesetz setzte die Betriebsgröße auf mindestens sechs Arbeitnehmer fest, wobei Auszubildende und geringfügig Beschäftigte nicht berücksichtigt wurden. Unter geringfügig Beschäftigte waren Arbeitnehmer zu verstehen, die wöchentlich in der Regel nicht mehr als zehn und monatlich nicht mehr als 45 Stunden gearbeitet haben. Durch das arbeitsrechtliche Beschäftigungsfördergesetz 1996 wurde dieser sogenannte Schwellenwert für Betriebsgrößen auf mehr als zehn Mitarbeiter angehoben. Des weiteren wurde ein Berechnungsschlüssel für Teilzeitkräfte eingeführt. Auszubildende werden weiterhin nicht berücksichtigt.

Liegen beide Voraussetzungen vor, muß der Arbeitgeber, will er das Arbeitsverhältnis rechtswirksam durch Kündigung beenden, über Kündigungsgründe verfügen, die entweder in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder aber durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. In der Praxis bedeutet dies, daß der Arbeitnehmer, um die Unwirksamkeit seiner Kündigung geltend zu machen, nichts anderes zu tun hat, als innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage zu erheben. Danach ist es die Aufgabe des Arbeitgebers, jede Kündigung unter den oben genannten Vorgaben des § 1 KSchG zu begründen und darüber hinaus - soweit die Kündigungsgründe vom Arbeitnehmer bestritten werden - diese zu beweisen.

Grosse Unsicherheit bei Kündigungen

Dies führt dazu, daß in Anbetracht der zwischenzeitlich ergangenen, schier uferlosen und schwer nachvollziehbaren beziehungsweise überschaubaren Rechtsprechung jeder Kündigung ein gewisses Maß an Unsicherheit anhaftet. Dies kann - vergegenwärtigt man sich die durchschnittliche Dauer von Kündigungsschutzprozessen - dazu führen, daß sich erst nach einem Jahr oder noch später herausstellt, daß die Kündigung eines Arbeitnehmers unwirksam war und dem betreffenden Arbeitnehmer möglicherweise die gesamte in der Zwischenzeit aufgelaufene Vergütung nachzubezahlen ist. Aus diesem Grunde werden regelmäßig Vereinbarungen getroffen, durch die die Arbeitsverhältnisse gegen Zahlung von Abfindungen beendet werden.

Von diesem teilweise enormen finanziellen Risiko sind lediglich sogenannte Kleinbetriebe herausgenommen, die sich bis zum arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 ihrer Größe nach auf Betriebe unter sechs Mitarbeiter und seither auf Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeiter definieren.

Entsprechend der Neufassung des

- 23 KSchG sind seit dem 1. Oktober 1996 unter Kleinbetrieben also Betriebe zu verstehen, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen. Eine weitere Änderung hat sich bei der Bemessung der Mitarbeiterzahl dadurch ergeben, daß mittlerweile auch sogenannte geringfügig Beschäftigte, also Arbeitnehmer mit regelmäßiger, nicht mehr als zehn Stunden wöchentlicher beziehungsweise 45 Stunden monatlicher Arbeitszeit mit dem Faktor 0,25 gerechnet werden. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit nicht mehr als 20 Wochenstunden sind allerdings nur noch mit dem Faktor 0,5 und bei nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich nur noch mit dem Faktor 0,75 zu berücksichtigen. Nach den Vorschriften des alten Kündigungsschutzgesetzes wurden zwar die geringfügig Beschäftigten überhaupt nicht zur Bestimmung der Betriebsgröße herangezogen, alle anderen Teilzeitbeschäftigten jedoch als volle Mitarbeiter bewertet. Dies bedeutet, daß eine Halbtagskraft voll als eine der sechs erforderlichen Mitarbeiter zählte, während dies nach dem Kündigungsschutzgesetz nurmehr zu 0,5 Prozent der Fall ist.

Übergangsfrist läuft im nächsten Jahr ab

Durch die Heraufsetzung des Schwellenwertes ist danach eine beträchtliche Anzahl von Betrieben, für die ursprünglich das Kündigungsschutzgesetz galt, aus dessen Anwendungsbereich herausgenommen worden. Wenn auch Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschäftigungsförderungsschutzgesetzes 1996 bereits Kündigungsschutz nach dem alten Kündigungsschutzgesetz hatten, diesen Schutz noch für eine gewisse Übergangszeit beibehalten, so läuft diese Übergangsfrist am 30. September 1999 ab, so daß ab diesem Zeitpunkt der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz einheitlich nur noch in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern gelten wird.

Unabhängig von der Frage, ob das Kündigungsschutzgesetz erst ab einer Betriebsgröße von mindestens sechs oder beziehungsweise zehn Mitarbeitern anzuwenden ist, hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage zu beschäftigen, ob die Herausnahme von Kleinbetrieben aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht möglicherweise generell verfassungswidrig sei. Es geht dabei um die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt ist, Arbeitnehmer in einem solch zentralen Punkt, wie dem Kündigungsschutz, ungleich zu behandeln, nur weil sie einmal in einem Betrieb von weniger als sechs und zum anderen in einem Betrieb von mehr als fünf Mitarbeitern beschäftigt sind. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich noch mit dem Anwendungsbereich des alten Kündigungsschutzgesetzes zu befassen. Immerhin führt diese sachliche Ungleichbehandlung dazu, daß beispielsweise ältere Mitarbeiter, die 20 oder gar 30 Jahre in einem Kleinbetrieb beschäftigt waren, im Falle einer Kündigung ohne jeden Kündigungsschutz dastehen. Der Arbeitgeber hat lediglich die Kündigungsfristen einzuhalten, ansonsten entstehen für ihn aus dem Kündigungsschutzgesetz keinerlei weitere Verpflichtungen. Dies führt letztlich dazu, daß von Kleinbetrieben regelmäßig keine Abfindung bezahlt werden mußten, da die Rechtslage eindeutig schien. Hiervon kann nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Januar 1998 nicht mehr ohne weiteres ausgegangen werden. Zwar

hat das Bundesverfassungsgericht

die Herausnahme der sogenannten Kleinbetriebe aus dem Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich für zulässig erachtet. Dies dürfte - obwohl sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf das alte Kündigungsschutzgesetz bezog - auch für Kleinbetriebe mit weniger als elf Mitarbeitern gelten. Jedoch ist nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts der Betriebsbegriff des Kündigungsschutzgesetzes "verfassungskonform" auszulegen. Darüber hinaus seien auch an Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes "verfassungskonforme" Maßstäbe anzulegen.

Kleinbetriebe haben Sonderstellung

Bei der verfassungsgemäßen Auslegung des Betriebsbegriffs ist darauf abzustellen, daß nur derjenige Arbeitnehmer, der aufgrund der geringen Größe seines Betriebes mit seinen Mitarbeitern eng zusammenarbeitet und nur über eine geringe Finanzausstattung beziehungsweise eine geringe Verwaltungskapazität verfügt, von den Beschränkungen des Kündigungsschutzgesetzes befreit sein soll. Danach sind kleinere Betriebe, die lediglich Teile größerer Unternehmen darstellen, konsequenterweise von dieser Befreiung ausgenommen. Das Kündigungsschutzgesetz wird daher künftig auch auf Kleinbetriebe anzuwenden sein, die einem Unternehmen zugeordnet werden können, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt. Das Gleiche dürfte für Arbeitgeber gelten, die mehrere Kleinbetriebe führen, in denen insgesamt mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt sind. Damit wird es künftig keinen Sinn mehr machen, Unternehmen in mehrere Kleinbetriebe aufzuspalten, um Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes zu vermeiden. Wie konzernverbundene Kleinbetriebe künftig kündigungsschutzrechtlich zu behandeln sind, ist derzeit ungeklärt. Nimmt man allerdings die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungskonformen Auslegung der Kleinbetriebsklausel ernst, besteht kein sachlicher Grund, rechtlich selbständige, aber konzernrechtlich verbundene Kleinbetriebe vom Kündigungsschutzgesetz zu befreien.

Sosziale Rücksichtnahme ist gefordert

Schließlich weist das Bundesverfassungsgericht in den genannten Entscheidungen darauf hin, daß der Arbeitgeber auch außerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nicht ohne jeden Grund kündigen dürfe. Dabei wird zunächst darauf verwiesen, daß der Kündigung keine verwerflichen oder diskriminierenden Beweggründe zugrunde liegen dürfen. Dies war bereits bisher der Fall, spielt aber in der Praxis mangels Beweisbarkeit kaum eine Rolle. Das Bundesverfassungsgericht scheint jedoch hier weiterzugehen, in dem es verlangt, daß vom Arbeitgeber grundsätzlich ein bestimmtes Maß an sozialer Rücksichtnahme walten zu lassen ist. Dieses sei zwar nicht an der sozialen Auswahl im Sinne der ññ 1,3 KSchG zu messen, das heißt nicht streng an die Betriebszugehörigkeit, dem Lebensalter und an den Unterhaltsverpflichtungen festzumachen, es muß jedoch erkennbar sein, daß soziale Belange berücksichtigt worden sind. Was dies im Einzelfall zu bedeuten hat, werden künftig die Arbeitsgerichte zu klären haben.

Insbesondere darf bei einer Kündigung auch ein durch langjährige Zusammenarbeit verdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben. Danach wird künftig ein Arbeitgeber auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes begründen müssen, warum ein langjährig Beschäftigter seinen Arbeitsplatz verlieren soll, obwohl weniger lang beschäftigte Mitarbeiter nicht gekündigt werden.

Kündigung jetzt in jedem Fall schwerer

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß aufgrund des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes 1996 das Kündigungsschutzgesetz nur noch auf solche Betriebe anzuwenden ist, die über mehr als zehn Mitarbeiter verfügen und diese gesetzliche Regelung auch verfassungsgemäß sein dürfte. Andererseits wird allerdings durch das Bundesverfassungsgericht der Begriff des Kleinbetriebes erheblich enger gefaßt und damit der Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes erweitert. Darüber hinaus dürfte künftig an die Begründung einer Kündigung auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erheblich höhere Anforderungen zu stellen sein, als es bislang der Fall war.

*Der Autor des Beitrages, Jürgen Nath, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in München.

Zur Startseite