Macht verlangt Masse an Umsatz,Masse an Ertrag und Masse an Ideen

03.09.2000
Alleine agierende Unternehmen werden es in Zukunft nicht leicht haben. Die Alternativen lauten: Kooperationen eingehen oder den Markt verlassen. Ulrich Eggert* beschreibt die verschiedenen Möglichkeiten von Handel und Industrie, strategische Allianzen einzugehen.

Dem Handel stehen harte Zeiten bevor. Mittel- und langfristige Zeitreihenuntersuchungen zeigen, dass seit einigen Jahren eine umfassende Verschiebung der globalen Nachfrage der Endverbraucher stattfindet: Die Anteile der Ausgaben für Waren gehen immer weiter zurück. Im Verhältnis zum Gesamteinkommen werden immer weniger Konsumgüter nachgefragt, und immer mehr Geld fließt vorwiegend in die Dienstleistungsbereiche und den Gesamtbereich Wohnen. Die Konkurrenzsituation der Ausgabengruppen untereinander verschärft sich dramatisch. Ein weiteres Phänomen der Nachfrageverschiebung ist die Polarisierung der Märkte. Der Anteil der qualitativ hochwertigen und der niedrigpreisigen Produkte an der Gesamtnachfrage im Handel steigt stetig. Das mittlere Segment bricht weg. So wachsen zum Beispiel die Handelsmarken anteilsmäßig, aber auch die hochwertigen Marken. Marken ohne Profil verschwinden allmählich vom Markt.

Was bleibt vom"klassischen Handel"?

Gewinner im deutschen Handel werden die Discounter und Filialis-ten mittlerer Größe sein, Convenience-Anbieter sowie Extremspezialisten und Spezialversender. Mittel- und langfristig gehört auch der Multimediahandel dazu mit Fachspezialisten, Discountern und Großdistributoren. Es werden jede Menge neue Mitbewerber auftreten, zum Beispiel herstellende Händler, ausländische Filialisten, Autohäuser, die zu Betriebsstellen fremder Branchen umfunktioniert werden, Verbraucherclubs, Kombinationen Handel und Handwerk und/oder Dienstleistung, neue Filialsysteme. Ein völlig systemfreier, ungebundener Handel ist 2010 am Markt praktisch nicht mehr aktiv. Filialisten sind die absoluten Gewinner: Alle Filialformen zusammen erreichen über 70 Prozent Marktanteil. Fachmärkte gehen zunehmend im Discount auf; Discount selbst gewinnt enorm an Boden. Der Online-Vertrieb erreicht insgesamt einen Anteil von zirka sechs Prozent, vielleicht mehr. Franchise gewinnt als Organisationsform enorme Marktanteile: EKVs propagieren diese Vertriebsmethode. Convenience gewinnt, wird aber auch von Ketten und Großbetrieben adaptiert.

Nichts bleibt, wie es heute ist

Die Eindeutigkeit der Strategien und der Handels- und Vertriebsformate geht verloren:

-Zwischen den Wirtschaftssektoren, denn Handel und Gastronomie, Unterhaltung und Dienstleis-tung vermischen sich.

-Zwischen den Sortimenten. Die Bedarfs- statt Bezugsorientierung dominiert, und die Bedürfnisse der Menschen richten sich nicht nach alten Schemata.

-Durch Globalisierung und Internationalisierung spielen geographische Grenzen keine Rolle mehr.

-Im Absatzkanal vermischen sich die Hersteller- und Handelsfunktionen.

-Einst festgefügte organisatorische Abläufe weichen auf.

-Die kontinuierliche, schnelle Nachbelieferung lässt die Grenzen der Zeit fallen.

-Innerhalb Europas hebt der Euro die Zahlungsgrenzen auf.

-Der Standort verliert seine Bedeutung. E-Commerce bringt das Ende des Regionaldenkens.

-Zwischen den Medien, denn Telefon, Fernsehen, Computer et cetera wachsen zu einem Gerät zusammen.

-Offene Informationssysteme, wie zum Beispiel Internet, bringen Informationsmöglichkeiten ohne Grenzen.

Das Ausschlaggebende ist, dass sich die Vertriebsmodelle von heute und morgen wesentlich unterscheiden. Call-Center, Service-Provider, Data-Base-Zentralen und Internet spielen eine entscheidende Rolle im gesamten Netz. Jeder möchte Geschäfte mit dem anderen machen, der Konsument kann sich überall informieren, überall kaufen, mit jedem Kontakte aufnehmen. Die Eindeutigkeit der Strategien und Formate geht verloren. Industrie und Großhandel, Speditionen oder Fernsehsender üben Einzelhandelsfunktionen aus, der Einzelhandel wird zum Produzenten. Die Funktionen bleiben zwar die gleichen, aber die Träger der Funktionen sind andere als heute. Die Aufgaben werden neu verteilt, darin liegen Chance wie Risiko zugleich.

Jeder wird mit jedem handeln können. Multimedia bringt Millionen neue Mitbewerber, denn Filialgründungen sind nicht mehr "nötig". Es bleibt im Prinzip nur noch das Logistikproblem. Hunderttausende neue Versender werden dadurch entstehen, dass in 10 bis 15 Jahren vielleicht jeder stationäre Händler auch zugleich im Internet als Verkaufshaus vertreten ist. Die Key-Player kommen nicht unbedingt alle aus dem Handel, vielleicht maximal die Hälfte der Anbieter. Der Rest rekrutiert sich aus völlig anderen Unternehmen .

Die Non-Retail-Systeme werden alle Grenzen verwischen. Auf den klassischen Einzelhandel werden in den nächsten Jahren Angriffswellen zurollen von Unternehmen, die aus wirtschaftlichen Zwängen heraus neue Erträge erzielen müssen, wie Post und Bahn, von Unternehmen, die die Logistik besser als der Einzelhandel beherrschen oder von kreativen Unternehmen.

Das Zeitalter der strategischen Allianzen bricht an

Einzel- und Großhandel sowie alle im Vertrieb engagierten Unternehmen befinden sich seit Jahren unter zunehmendem Wettbewerbsdruck. Ein brutaler Darwinismus kommt auf uns zu. Nur die tüch-tigsten, stärksten Unternehmen werden überleben, Investitionen in die Effizienz erleichtern es, Kosten und damit Preise zu senken. Gesunkene Preise ermöglichen wachsende Umsätze, damit steigende Roherträge und zunehmende Effizienz. Benchmarking-Prozesse liefern Vergleichswerte und Vorbilder, um im Produktivitätsrad ständig neue Anschlüsse zu finden. Doch: Die Märkte stagnieren oder schrumpfen sogar. Parallel dazu sind die Marketing-Kosten durch ständige Differenzierung gestiegen. Es droht die Verlustsituation. Um die Kostenexplosion zu stoppen, sind gemeinsame Anstrengungen von Industrie und Handel beziehungsweise Handel und Handel vonnöten, was nichts anderes heißt, als dass durch Kooperation neue Formen der Effizienzsteigerung gewonnen werden, um dem Wettbewerbsdruck standhalten zu können.

Vom Einzelunternehmen zur Systembildung

Der heutige Wirtschafts-Darwinismus sorgt dafür, dass nur mächtige Unternehmen überleben. Macht verlangt Masse: Masse an Umsatz, an Ertrag, an Ideen, an Management-Fähigkeit. Da viele Einzelunternehmen diese Masse nicht aufbringen, heißt die Konsequenz: strategische Allianzen. Sie können einfache Kooperationen sein oder auch Konzentration, Partnerschaften oder loses Beziehungsmanagement. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, miteinander zu kooperieren, wie Abbildung 1 zeigt. Die komplex-integrative Form der Kooperation fasst die Varianten zu einem hochaggregierten System zusammen.

Es lässt sich eine Stufigkeit in den verschiedenen Formen, strategische Allianzen zu bilden, erkennen, wie Abbildung 2 zeigt. Die drei Stufen unterscheiden sich letztlich dadurch, wie stark die Entscheidungszentralen der systembildenden Einheiten miteinander verschmelzen. Die Leitidee dieser Systembildung ist die Zusammenführung der Kräfte mehrerer Unternehmen durch Prozessoptimierung auf vertraglicher Basis. Dabei kann ein- oder mehrstufig vorgegangen werden. Zur Systembildung gehören mehrere Komponenten: Die individualisierte Leitidee, eine klare Führungskonzeption, ein alltägliche Probleme regelndes Vertragsraster, Warenwirtschaftssysteme und Logistikkonzepte per EDV und Electronic Data Interchange sowie ein starkes Marken- und Werbekonzept, um die verschiedenen Elemente zusammenzuhalten. Wie bei der einfachen Kooperation können die Stoßrichtungen der Systembildung sowohl horizontal als auch vertikal oder lateral verlaufen.

Die verschiedenen Systemarten veranschaulicht Abbildung 3 auf Seite 41. Die heute noch üblichste und häufigste Form ist der Einkaufsverband als klassische Kooperationsform (1), die durch Vertikalisierung und andere Erweiterungen zum hybriden Einkaufsverband (7) werden kann. Naheliegender ist jedoch zunächst die vertragliche Orientierung einer solchen Verbundgruppe durch Franchise (2) et cetera. Durch Fusionen (3) wird die Integration als dritte Stufe erreicht. Auf der anderen Seite kann die klassische Kooperation in eine Vertikalisierung (4) übergehen und zur Netzbildung (5) beziehungsweise zur Markenbildung führen, die letztlich auch in eine Dachmarkenstrategie (6) münden kann. Der Direktvertrieb (9) ist die Systembildung der Industrie mit dem Endverbraucher, der Strukturvertrieb (10) zwischen Banken und Endverbraucher. Die Holding-Strategie (8) ist die Zusammenfassung und Bildung mehrerer verschiedener Strategien.

Die Zukunft des Handels und des Vertriebs wird durch den Wettkampf der Systemgruppen geprägt. Handel und Industrie sind gleichermaßen betroffen, weil sich die Grenzen zwischen den Wirtschaftsstufen auflösen. Ob die Unternehmen wollen oder nicht, sie werden in diese Richtung gedrängt, denn Systembildung kann über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Rückkehr zur Händlergesellschaft

Durch Rationalisierung geht die Produktion der Industrienationen laufend zurück und wird ergänzt durch Importe aus Drittländern. Es kommt national wie international zur Bildung von ausgeprägten Sys-temköpfen. Die Systeme können sowohl horizontal, lateral als auch vertikal organisiert sein. Im Falle der Vertikalisierung des Handels gibt es zwei denkbare Richtungen: In Richtung des Kunden als vorwärtsgerichtete Vertikalisierung und die viel bedeutendere rückwärtsgerichtete: Vertikalisierung in Richtung Industrie. Es kommt zu einer neuen Symbiose von Kooperation und Konzentration zwischen Industrie und Handel, indem der Handel durch sein Informationsmonopol an den Check-out-Kassen in Marketing-Aktivitäten der Industrie eingreift (Produktentwicklung/-differenzierung, Steuerung der Produktion, Marketing).

Die globalen Kennzeichen des vertikalisierten Handels im Unterschied zu den bisherigen Handelsunternehmen sind:

1.Umfangreiches eigenes Filialnetz (mittelfristig fördert die Vertikalisierung den Markenabsatz)

2.Eigendefinition der Sortimente und Produkte (Produkte, die sonst niemand führt)

3.Eigenentwickelte Produkte/Auftragsentwicklung (wie 2.)

4.Integration von Vertragslieferanten für die Ware durch Verträge (permanente Nachschubgarantie)

5.EDI/ECR; kurzfristiger Nachbezug abverkaufter Ware (Quick-Response-Systeme)

6.Permanente Sortimentserneuerung (um auch den geringsten Trends folgen zu können)

7.Markenbildung mit exzessiver Werbung (der Handel selbst wird zur Marke)

Die Konsequenz der Vertikalisierung ist, dass Handelsmarken die Markenartikel der Industrie zurückdrängen. Die Handelsmarken starten durch. Im Jahr 2010 werden sie einen Marktanteil von 30 bis 35 Prozent erreicht haben. Und interessanterweise (Ergebnis einer englischen Untersuchung) werden in den höchsten Einkommensklassen auch die höchsten Anteile am Budget für Handelsmarken ausgegeben.

Die Industrie strebt seit längerem die Rückgewinnung der Macht an beziehungsweise die Wiederherstellung des Gleichgewichts. Der Direktvertrieb der Industrie an Endverbraucher und FOCs wirken jedoch ebenso kontra-produktiv wie die Vertikalisierung des Handels. Als neueste Variante ist ECR (Efficient Consumer Response) ein Versuch des Brückenschlags. Aber erst durch eine Systemintegration beider Seiten kann das Problem gelöst werden. Netzgeführte Marken bringen die Aufhebung der Trennung und eine neue Dimension der Kooperation.

Die logische Weiterentwicklung der Vertikalisierung des Handels ist die Entstehung virtueller Unternehmen, das heißt, es werden Netze von Unternehmen gebildet, die sich für einen konkreten Bedarfsfall (zum Beispiel Kundenauftrag) zu einer - virtuellen - Einheit zusammenfügen. Das Netzwerk löst das anstehende Problem, und die Unternehmen gehen danach wieder ins Netz zurück. Der Zweck dieser Netzbildung liegt darin, dass jedes Unternehmen nur solche Aufgaben im Netz übernimmt, die es am besten beherrscht, was nichts anderes als eine Konzentration auf die Kernkompetenz des jeweiligen Partners bedeutet. Kos-ten- und Risikominimierung sind Ursache und Ziel zugleich.

Vor allem sind es zwei Felder, in denen Netzwerke gebildet werden: Marktprozesse, um die es hier geht (Beschaffung und Absatz) und Wertschöpfungsprozesse (Produktion beziehungsweise Forschung und Entwicklung).

"Stützkorsett" des Netzes ist die Marke

Die Vertikalisierung des Handels verbindet die Produktion direkt mit dem Verkauf. Der Handel steuert die Produktion, ohne selbst zu produzieren, und die Herstellermarke verliert aus Wertschöpfungssicht an Bedeutung. Der vertikalisierte Handel kauft nicht ein, er lässt nach Auftrag produzieren. In letzter Konsequenz führt das dazu, dass sich der Handel selbst zur Marke erhebt und von der Indus-trie Ware abruft, wie sie von dieser Marke gerade verkauft wurde. Die netzgeführte Marke geht noch einen Schritt weiter: Sie produziert nicht, sie hört auch auf zu handeln, aber dennoch beherrscht sie Produktion und Verkauf. Allein die Marke ist die Aufgabe des Unternehmens. Damit bildet die netzgeführte Marke einen völlig neuen Unternehmenstyp. Sie investiert in Ideen, aber nicht in Sachgüter. Sie ist weder Hersteller noch Handel, aber sie hat alles in der Hand, ohne es selbst zu tun.

Die netzgeführte Marke ist ein virtuelles Unternehmen, das weitgehend durch Verträge mit externen Partnern gesteuert wird. Die Vertragsmechanismen sind äußerst rigide bei der Beherrschung der Wertschöpfungskette.

Know-how-Verbund mit Marke als Klammer

Die Kennzeichen einer netzgeführten Marke sind:

-Steuerung durch einen Systemkopf. In einer Zentrale wird entschieden, was zu geschehen hat.

-Wenig Investment in Sachgüter, alle Investitionen in die Marke. Marketing und Kreativität sind das Hauptinvestment, Sachgüter stellen andere zur Verfügung.

-Aufbau eines umfangreichen Vertragsnetzes. Die "klassische" Arbeit von Produktion und Vertrieb wird von Partnern verrichtet, die per Vertrag an die Zentrale gebunden sind.

-Einsatz von Lizenznehmern/Franchise-Partnern. Die Markenvergabe an Dritte gegen Lizenz erhöht die Einnahmen; im Vertrieb wird häufig mit Franchise-Partnern gearbeitet.

-Risikoverteilung. Alle Partner arbeiten am Erfolg der Marke; die Zentrale kann weniger investieren und damit das Risiko verteilen.

Abbildung 4 zeigt, wie der Systemkopf als Spinne im Netz sitzt und das gesamte Gebilde steuert.

Von der netzgeführten Marke zur Dachmarke

Jede gute Marke hat das Potenzial zur Markenerweiterung. Die nächste Stufe ist so die Dachmarke, die Markenfamilie. Das Kernunternehmen hat eine Markenidee, bestehend aus Kernprodukten und einer Produktfamilie, die sich eng an die Kernprodukte anlehnen. Kernprodukte und Produktfamilie können selbst oder im Verbund produziert werden. Das Kernunternehmen vergibt Lizenzen an Partner, die Satellitenproduktideen haben, die wiederum selbst zu einer kleinen Produktfamilie aufgebaut werden können. Diese Produkte müsse nicht nur klassische Konsumgüter, sondern können auch Event-Felder sein. (Beispiele für Markenfamilien: Adidas: vom Sportschuh zur Freizeit. Camel: von der Zigarette zum Lifestyle-Angebot. Wolff: vom Rasenmäher zur Gartenpflege.)

Stufen zum Aufbau einer netzgeführten Marke

Netzgeführte Marken entstehen selten im "wirtschaftlichen Urknall". Red Bull ist letztlich eine Neugründung, aber das ist die Ausnahme. In der Regel wandeln sich Unternehmen oder Teile von Unternehmen in netzgeführte Marken um. Um die dabei auftretenden Probleme zu minimieren, sind die in Abbildung 5 aufgelisteten Schritte zu beachten.

Zusammenfassend lässt sich - ein wenig sarkastisch zwar - der "kategorische Imperativ" der netzgeführten Marke auf den Punkt bringen: Lass andere, die es besser können, die Arbeit für dich erledigen. Aber vereinbare vorher ein Lastschrifteinzugsverfahren.

Franchising: Komponente der netzgeführten Marke

Wir leben heute im Zeitalter des Systemwettbewerbs, das heißt des Wettbewerbs von Systemgruppen. Immer noch werden Pionierunternehmen gebraucht, aber der Pioniersystemkopf als Leiter einer Gruppe wird mehr Erfolg haben als einzelne Pionierunternehmer. Deshalb sind neue, intensivere Kooperationsformen als bisher notwendig. Zentral gesteuerte Organi- sationen ermöglichen eine schnellere Entscheidung der wichtigsten Prozesse im Markt. Das Wesentliche ist jedoch, dass trotz aller Systemvorgaben die einzelnen Partner im Franchise-System ihre Selbständigkeit als kooperationsfähige Unternehmer behalten. Das wird in Zukunft ein entscheidender Weg sein, um mittelständische Strukturen zu erhalten.

Sonderformen des Systemvertriebs

Multimedia-Plattformen können als reine Werbe- oder PR-Plattformen fungieren oder als direkt auf den Verkauf ausgerichtete Systeme. Wie jede andere Kooperationsform lassen sie sich horizontal, vertikal oder lateral-komplex aufbauen. Ebenso wichtig ist jedoch die Unterscheidung der Plattformen hinsichtlich der Dominanz von Unternehmen oder Unternehmensgruppen. In homogenen Plattformen verbinden sich Unternehmen gleicher Art, gleichen Charakters und in etwa gleicher Größe miteinander.

Bei heterogenen Plattformen prägen einzelne Unternehmen den Gesamtauftritt beziehungsweise dienen als Magnet. Dominierte beziehungsweise fokussierte Plattformen, eine stark ausgeprägte heterogene Variante, haben meist einen Systemkopf als Ideenträger, der den Aufbau entwickelt und in der Regel finanziert. Systemträger sind meist Einkaufsvereinigungen des Handels oder Industrielieferanten beziehungsweise Großhändler.

Portalplattformen bewegen sich in eine noch größere Dimension hinein, denn der dominierende Partner bringt Millionen-Investitionen in das System und versucht, durch Namen und enorme Werbung das System im Markt erfolgreich zu halten. Der Kern auch dieser Plattformen ist meist die eigene Homepage der kooperierenden Unternehmen. Durch Bannerwerbung auf den Portalen beziehungsweise durch Links in den Systemen wird auf die Homepage der kooperierenden Unternehmen direkt verwiesen, zusätzlich sind jedoch in der Plattform selbst erhebliche Teilfunktionen der Angebote der Partner abzurufen und einzusehen.

Bei der altbekannten Holding-Strategie werden die Bindungen zwischen den einzelnen Unternehmen und einem Systemkopf durch Beteiligungen untermauert. Beispiele im deutschen Handel: Metro, Douglas-Gruppe oder Unternehmen wie Rewe oder Tengelmann. Shop-in-Shop-Systeme als weitere Varian-te des Systemvertriebs bedeuten nichts anderes, als dass jeder für sich selbst arbeitet, aber die Chance hat, eine komplex aufgebaute Infrastruktur wie in einem Warenhaus gegen Bezahlung zu nutzen.

Die lateraleSystemstrategie

Im Gegensatz zur netzgeführten Marke werden Potentialfelder und Aktivitäten nicht auf Dritte verlagert, sondern sie werden für Dritte mit übernommen, um Kapazitäten besser auszulasten. Die eigene Wertschöpfungskette wird also nicht zerschlagen, sondern in Teilbereichen aufgewertet und ausgebaut. Im Gegensatz auch zur Diversifikation, die die Kernkompetenz des Unternehmens verlässt, definiert die Lateralstrategie die Kernkompetenz zwar neu, verlässt sie aber nicht. Partner von Lateralstrategien können Branchenfremde, aber auch Wettbewerber sein.

Von der Einkaufskooperation zur hybriden Verbundgruppe

Die zunehmende Konzentration der Großen fördert und fordert eine Gegenreaktion des mittelständischen (Fach-) Handels:

-Kooperation untereinander -> Bildung von Verbundgruppen des Handels.

-Kooperation mit dem Verbraucher -> Total Quality Management -> Total Customer Care.

-Kooperation mit Systemanbietern -> zum Beispiel Franchise.

-Auch die Verbundgruppen/Kooperationen des Handels werden zu Systemzentralen mutieren müssen, um einen Marktfaktor im Wettbewerb bilden zu können.

Die derzeitigen Probleme der "alten" Verbundgruppen und die bereits erkennbaren Trends in den Verbundgruppen und Kooperationen erzwingen neue Formen der Strategiedurchsetzung:

-Eigenfilialen

-Regieunternehmen

-Franchise zur Semikettenbildung

-Lean-Organisation zur Befreiung von überflüssigem Ballast

-Internationales Auftreten

-Zentralisierung der Entscheidungsfindung

Die Durchbruchstrategie der Einkaufskooperationen des Handels für die nächsten Jahre ist deshalb die Bildung von Systemverbünden. Die Kooperationen brauchen den Systemauftritt am Markt: Einheitlichkeit in Marke und Strategie. Die Gruppe wird zur Marke. Entscheidender Schritt zum Aufbau solcher Verbundgruppen ist zunächst die Vertikalisierung der Kooperation:

Organisation von durchgängigen systematischen Geschäftsprozessen - Pull- statt Push-Systeme (Ware wird vom Markt nachgezogen, nicht hineingedrückt), - Quick-Response-Systeme (sofortige Nachorder, automatisiert) - Vertikale WWS-Systeme auf Basis EDI und/ oder Internet) - Vertikale Logistik - Systematische Sortierung - Basics-Markenbildung (Exclusiv, Eigenmarken) - Vertragslieferanten - Ein Entscheidungsgremium.

Der größte Vorteil solcher vertikalen Verbundgruppen ist die Geschwindigkeit, die erzielt werden kann und damit die Aktionsfähigkeit. Die schnellere Entscheidungsfindung und die erhöhte Gruppenschlagkraft bringen die Vorteile von Filialisten und Konzernen, aber die unternehmerische Tätigkeit der Mitglieder bleibt als besonderer Vorteil in der Verbundgruppe erhalten.

Deutschland wird zu klein, Europa ist der Markt der Zukunft. Die Internationalisierung fördert die Kooperation der Kooperationen. Abbildung 6 zeigt, wie sie im Sys-temvertrieb aufgebaut sein kann. Jede dieser Verbundgruppen, die sich zusammengeschlossen haben, bildet eine eigene Markenwelt für die eigenen Mitglieder. Cross-Marketing-Aktivitäten zwischen den einzelnen Gruppen sind nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Innerhalb dieser Markenwelt werden auf der Marketing-Ebene die Betriebstypenkonzeptionen entwickelt. Der Händler der jeweiligen Verbundgruppe entscheidet sich für einen Betriebstyp oder bestimmte Module, in denen er in seiner Markenwelt operiert. Da er Teilhaber seiner Verbundgruppe ist, entscheidet er in den Gremien mit über die Konzeptionsentwicklungen.

Die "Krönung der Hybridisierung" wird es dann sein, eine Systembildung auch im Multimediavertrieb durchzuziehen.

Zukunft alleine agierender Unternehmen

Die Zukunft des Handels und des gesamten Vertriebs wird durch den Wettkampf der Systemgruppen geprägt. Industrie und Handel sind gleichermaßen betroffen, denn die Grenzen verwischen sich. Viele Absatzformen in Europa haben den Höhepunkt ihres Lebenszyklus erreicht oder überschritten. Für die einzelnen Betriebsformen wird es darauf ankommen, einen neuen Zyklus zu beginnen beziehungsweise eine Alternativkurve aufzubauen. Die eindeutigen Gewinner werden die Filialisten sein und die Online-Anbieter verschiedenster Form. Probleme werden vor allem solche Unternehmen haben, die versuchen, ihre Strategien ohne Kooperation allein durchzusetzen. Ihr Marktanteil wird nach 2010 die Ein-Prozent-Marke kaum überschreiten. Die "neuen" Formen, wie Systemvertrieb, Non-RetailSystems, Multimedia et cetera, werden in der ferneren Zukunft die Märkte weiter erobern. Praktisch alle Betriebsformen agieren dann multimedial. Fazit: Die Zukunft liegt in Kooperation und Systembildung.

*Ulrich Eggert ist Geschäftsführer und Leiter der Markt- und Trendforschung der Kölner BBEUnternehmensberatung GmbH.

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