Magirus-Chef Fabian von Kuenheim über Gepflogenheiten seiner Lieferanten

03.11.1999

STUTTGART: Mehr oder minder öffentlich basteln die großen Computerhersteller in Deutschland derzeit wieder an ihren Vertriebskonzepten. Nicht immer zum Vorteil der Partner, findet zumindest Fabian von Kuenheim, der als Chef des Stuttgarter Distributionsunternehmens Magirus jede Veränderung natürlich hautnah miterlebt. Im Gespräch mit ComputerPartner-Redakteurin Ute Dorau schildert er, wo seiner Ansicht nach die Stärken und Schwächen seiner diversen Lieferanten liegen.

Sie haben als langjähriger Digital-Distributor den Hick-Hack bei der Integration von DEC in Compaq ja hautnah zu spüren bekommen. Hat die deutsche Vertriebsmannschaft ihren Job jetzt wieder im Griff?

KUENHEIM: Compaq baut derzeit - wie auch IBM - ihr Konditionsmodell um. Bei Compaq ist das eine Verfeinerung von dem, was Digital eigentlich vor einem Jahr schon angefangen hat. Insgesamt kann man sagen, daß da zwar schon noch einige Hektik drin ist, aber nach gewissen Unstimmigkeiten am Anfang ist das jetzt ganz vernünftig in der Vorbereitung.

Hat Ihnen das nicht das Leben ganz schön sauer gemacht?

KUENHEIM: Nicht so sehr: Ich muß sagen, daß Compaq sehr offen war für Anmerkungen und Tips. Überhaupt ist unser Eindruck, daß Compaq auf lokaler Ebene relativ schnell entscheidet. Wenn man der Meinung ist, daß man durch eine Veränderung mehr Geschäft machen kann, verändert man eben.

Das ist für einen so großen Konzern doch eher ungewöhnlich. Hat die US-Zentrale da nicht organisatorisch ein Wörtchen mitzureden?

KUENHEIM: Ich glaube, Compaq ist prinzipiell ein Organisations-phänomen. Die Länderorganisationen bei Compaq sind wirklich relativ autonom, es wird sehr viel lokal entschieden. Ganz anders als bei IBM beispielsweise. Die sind total weisungsgebunden nach Paris, und Paris tut nur das, was die Zentrale in den USA ihnen sagt. Die reden zwar ganz groß von Globalisierung, aber das schlimmste, was ihnen passieren kann, ist, daß sie einen internationalen Partner kriegen. Dann wissen sie nicht, wie sie damit umgehen können.

Es ist zwar auch bei Compaq etwas mehr zentralisiert worden in den letzten zwölf Monaten - aber wohl vor dem Hintergrund des Euros und des Europäischen Marktes. Die Europazentrale hingegen ist wiederum weitestgehend autonom von USA. Die mischen sich fast überhaupt nicht ein. Und das ist sehr konträr zu Digital, wo im Frühjahr letzten Jahres noch alle Entscheidungen in Boston fielen.

Und das machte die Zusammenarbeit schwieriger?

KUENHEIM: Man muß jetzt aufpassen: Dezentral ist manchmal auch gefährlich. Insbesondere in einem einheitlichen europäischen Markt. Und ich glaube, daß da Compaq ein bißchen aufpassen muß. Aber andererseits ist der Vertrieb im Tagesgeschäft immer noch durch die lokalen Länderkulturen bestimmt und daher sehr flexibel. Wo sie halt aufpassen müssen: daß sie ihr Lager europäisch in den Griff kriegen.

Funktioniert es denn schon mit dem Einkauf in einem europäischen

Zentrallager?

KUENHEIM: Alle Hersteller, auch Compaq, arbeiten daran. Es gibt Konzepte für den Zentraleinkauf, die bei weitem noch nicht funktionieren. Aber ich schätze, daß wir mit Compaq im Sommer so weit sind, daß wir zentral einkaufen können. Digital hatte das ja schon, da klappte das interne Buchen allerdings nicht so ganz sauber. IBM plant auch Entsprechendes, die sind aber systemtechnisch noch nicht soweit. In jedem Fall ist das der Grund, warum beide keine Finanzzahlen ihrer Landesgesellschaften mehr veröffentlichen, denn eine Compaq Deutschland oder Italien sieht gar keinen Umsatz mehr, sondern nur einen Vertriebsbonus. Die internationalen Partnern kaufen eben alle in einem zentralen Werk ein.

IBM, so sagen Sie, ist da weniger vorbereitet. Woran liegt das?

KUENHEIM: Die Vertriebsmodellumstellung ist schlechter vorbereitet. IBM hat sie zu spät kommuniziert. Und sie ist zu undurchsichtig.

Aber auch bei der IBM sind doch Umstrukturierungen und Neuordnungen im Gange. Was passiert da gerade?

KUENHEIM: In der IBM-Welt hat man jetzt drei Sachen in die Wege geleitet. Eine davon, die Rabattierung, ist ganz okay. IBM sagt, ich verlange vom Channel die und die Leistung - und wenn er die Leistung nicht bringt, dann bekommt er auch keinen Rabatt. Das ist notwendig, um einen Partner, der Mehrwert hat, zu fördern gegenüber einem Partner, der sein Geschäft nur über den Preis schiebt. Am Ende war die IBM immer gut in solchen Sachen. Überhaupt hat IBM sicher den qualifiziertesten Handelskanal - mit Abstand. Die Qualität ist ungleich höher als bei Compaq oder Hewlett-Packard. Da sind beispielsweise all diese alten Lösungsanbieter, 20 Jahre im Geschäft, mit der IBM gewachsen und sehr stabil.

Aber solche traditionellen Lösungsanbieter gibt es doch sicher auch

bei HP.

KUENHEIM: HP hat keine Lösungspartner mehr. Der HP-Distributionsmarkt in Deutschland - also alle HP-Distributoren zusammen - ist kleiner als das, was allein wir mit Digital machen. Jetzt müssen Sie sich mal die relative Marktgröße von HP ansehen und die mit DEC vergleichen. Dann wissen Sie, daß da etwas nicht stimmt.

Was ist denn da bei HP schiefgelaufen?

KUENHEIM: HP hatte über die Jahre sogenannte Corporate Reseller, die direkt bei HP zu sehr guten Konditionen gekauft haben. Die waren so gut, daß wir unsere Partner wiederum nicht mehr konkurrenzfähig stellen konnten. Und gleichzeitig saßen die Verkäufer dieser Corporate Reseller in den HP-Geschäftsstellen und haben einfach das ganze Geschäft vor Ort abgegriffen. Und haben damit den ganzen anderen Kanal kaputt gemacht. Den gibt es nicht mehr. Deswegen gibt es auch keine Absatzsteigerung, kein Kanalwachstum, es ist ein Drama ohne Ende, und HP rudert hektisch, um das jetzt zu ändern.

Jetzt erst?

KUENHEIM: Das Ganze ist HP vor drei Jahren passiert. Vor zwei Jahren haben sie sich dann reorganisiert und planten eine neue Vertriebsorganisation innerhalb von HP. Alles, was Channel ist, wurde zusammengelegt, ob das Drucker, PCs oder Server sind. Das ist natürlich blanker Unfug, denn im Bereich Drucker ist Epson der Konkurrent, im PC-Bereich Compaq und so weiter. Das ging nicht gut. Und zusätzlich hat HP seine Drucker- und PC-Leute für den gesamten Channel, einschließlich High-End-Server, verantwortlich gemacht. Jetzt hat HP rückorganisiert auf den Status quo von vor zwei Jahren und versucht, den Vertrieb wieder in den Griff zu bekommen.

Was ist Ihr Eindruck - wird HP das schaffen?

KUENHEIM: Zum ersten Mal glaube ich ernsthaft, daß sie es wollen. Aber ob sie es in den Griff kriegen, wissen wir frühestens, wenn wir das neue Channel-Modell und die neuen Verträge von HP im Mai sehen. Dann ändern sie immer ihre Verträge.

Ist die IBM mit der Verteilung der Zuständigkeiten für den Kanal da besser bestellt?

KUENHEIM: Die IBM ist mit ihren diversen Divisionen auf ein sogenanntes One-IBM-Modell zurückgekehrt, mit einem Ansprechpartner für den Kanal. Das funktioniert nicht richtig, und ich weiß auch nicht, ob es jemals funktionieren wird. Sehen Sie - IBM ist riesig. Und hat ein riesiges Produktspektrum. Von Hardware bis Software. Der Kunde ist in dem Fall nicht der gleiche, der Händler ist nicht der gleiche und so weiter. Das birgt die inhärente Gefahr, daß man Kuddelmuddel produziert. Also, ich weiß wirklich nicht, ob das der Weisheit letzter Schluß ist. IBM war erfolgreich, weil sie segmentiert waren, wobei sich diese Segmente unabhängig voneinander gegenseitig gepusht haben. Da war Fokus drinnen, es war Wettbewerb drinnen - aber zu unsinniger Wettbewerb wurde unterdrückt. Aber - der nächste Punkt ist: IBM plant nach all diesen Umstellungen auch noch, das Konditionsmodell zu ändern. Und damit überfordern sie jetzt den Markt. Das ist einfach zuviel auf einmal.

Welche Veränderungen sind da geplant?

KUENHEIM: Hauptsächlich im Bereich Rabatte. Da ist überall rumgeschraubt worden. Wir als Distributor bekommen unterschiedliche Rabatte, je nachdem, ob wir anschließend an einen IBM-Partner verkaufen, der auch direkt bei IBM kaufen könnte, oder ob wir an einen Partner verkaufen, der keinen solchen Status hat. Beim Einkauf wissen wir aber nicht, an wen die Ware letztendlich geht. Wissen Sie, was das alleine verwaltungstechnisch bedeutet - und bilanziell? Die Wirtschaftsprüfer kommen und bewerten das Lager mit dem niedrigsten Einkaufspreis, einschließlich aller Nachrabatte, ohne daß wir wissen, ob und wann wir sie tatsächlich bekommen haben. Das Ganze ist unnotwendig, schlecht eingeführt und nicht durchdacht.

Wer bereitet Ihnen denn jetzt schlaflose Nächte: IBM oder

Hewlett-Packard?

KUENHEIM: Man kann IBM mit HP und seiner Historie im Massenmarkt nicht vergleichen. Bei der IBM ist es so: Wenn bei einem Endkunden ein größerer Auftrag läuft, ganz egal wo, wird die IBM nie darauf bestehen, daß sie das selber macht. Die läßt dann immer noch einen Partner rein. Gut, der wird dann nachrabattiert, dann sind die Margen nicht mehr so toll, aber er ist nicht raus. Bei HP sieht das anders aus - und da gibt es meiner Ansicht nach auch gar kein Verständnis für das Problem. Aber ich muß dazusagen: Im letzten Spätherbst gab es einen Managementwechsel - und ich kann die neue Mannschaft bei HP gar nicht kritisch beurteilen. Die haben eben Mist geerbt. Der erste Schritt ist immer der schwerste, aber die werden das schon hinkriegen.

Von Siemens war bislang noch gar nicht die Rede. Läuft da im

Vertriebsbereich alles glatt?

KUENHEIM: SNI ändert sich gerade sehr. In die richtige Richtung, würde ich sagen, aber das möchte ich lieber erst in drei Monaten bewerten.

Wie läuft die aktuelle Zusammenarbeit?

KUENHEIM: Die Verantwortlichen scheinen da recht gut Druck reinzubringen. Auch die Vertrags- und Konditionsmodelle werden jetzt alle sinniger. Aber ob das psychologische Verhalten der Siemens-Feldmannschaft gedreht werden kann - was ja immer das Kritische ist - muß sich erst noch beweisen. Aber der Wille ist da.

Wie ist Ihre Finanzplanung für das laufende Jahr, und mit welchem

Ihrer Lieferanten machen Sie denn überhaupt das meiste Geld?

KUENHEIM: Mit Compaq/Digital. Mit Digital arbeiten wir ja schon seit fast 1989 zusammen, die Historie ist da also die längste. Im dritten und vierten Quartal, also nach der Übernahme von DEC durch Compaq, hatten wir einen neuen Umsatzrekord, weil sich offensichtlich der psychologische Stau bei machen Endkunden - man wußte ja nicht so recht, was mit Digital passieren wird - gelöst hat. Mit IBM haben wir ja erst 1995 angefangen. Aber IBM ist hier in Deutschland unser zweitgrößter. Insgesamt werden wir 1999 mit etwa 550 Millionen Mark Umsatz abschließen, davon sind rund 370 Millionen aus dem Deutschlandbereich.

Welcher neue Lieferant oder welches neue Produkt würde Sie für die

Magirus-Distribution noch reizen?

KUENHEIM: Sun würde mir persönlich liegen, das ist ja eine reine Unix-Firma. Alle unsere anderen Lieferanten sind so halb Unix und halb NT. Aber ich weiß nicht... Der Sun-Distributor hat in der Vergangenheit ja nicht viel Raum gehabt. Aber vielleicht ändert sich das noch. Was wirklich interessant ist und womit man sich auseinandersetzen muß ist die Software aus dem ERP-Bereich (Enterprise Ressource Planning, Anmerkung der Redaktion). Ich weiß nur noch nicht, wie weit man da mit den klassischen Distributionsmodellen kommt. Den mittleren und kleinen Mittelstand erreichen die Anbieter wie SAP und Baan nicht. Aber sie werden sich bewegen müssen, weil auch sie unter Kostendruck kommen. SAP wächst ja auch nicht mehr so, wie man es gewohnt war. Da gibt es sicher Überlegungen, daß sie neue Partner brauchen. Es ist nur schwierig: Wenn sie jetzt sagen, ich nehme Handelspartner rein, die bekommen 20, 30 oder 40 Prozent Rabatt, und baue gleichzeitig die eigenen Vertriebsleute ab, dann sparen diese Lieferanten zwar Kosten, aber ihr Umsatz steigt auch nicht. Denn sie verlieren erstmal. Das wird im Markt oft falsch gesehen: Jeder Hersteller, der über Nacht massiv auf den indirekten Channel umsteigt, verliert ja zwischen 20 und 30 Prozent seines Umsatzes. Zumindest in der Umstellungsphase.

Welche Lösung würde Ihnen da einfallen?

KUENHEIM: Es gibt ja Modelle, wo letztendlich der Hersteller noch den Kanal akquiriert, zusammen mit dem Distributor. Der Disti erledigt das Geschäft mit seinem angestammten Partnerstamm und ist für die Logistik zuständig. Aber Partnerqualifikation und das Schaffen von Know-how macht weiterhin der Hersteller. Zumindest noch die ersten zwei, drei Jahre. Was ist der Vorteil für den Hersteller? Er kriegt über den Distributor überhaupt erstmal die potentiellen Partner. Wir wissen wo die sitzen, wir wissen auch, wer heute so eine selbstgestrickte ERP-Lösung verkauft und wer über kurz oder lang seine Standardsoftware ersetzen muß. Das heißt: Wir können zuführen. Aber über das genaue Wie und Wann - da sind sicher noch einige Gespräche zu führen.

Magirus-Chef Fabian von Kuenheim verteilt Lob und Tadel für seine

Lieferanten.

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