Manager von IT-Großprojekten müssen reifen

14.03.2002
In der Schwäbisch-Hall-Gruppe ist der Arbeitsalltag weitgehend durch Projektarbeit geprägt. Deshalb führte die Unternehmensgruppe neben einer Projektlaufbahn eine mehrjährige Projektmanagementausbildung ein - auch um ihren IT-Mitarbeitern mehr berufliche Perspektiven zu bieten.

Bei manchen Projekten darf nichts schief gehen", weiß Thomas Anskinewitsch. "Zumindest nichts, was für die Kunden negative Folgen hat. Hier muss das Null-Fehler-Prinzip gelten." Als Beispiel nennt der Projektmanager beim VR Kreditwerk Hamburg - Schwäbisch Hall AG, einer Tochter der Bausparkasse Schwäbisch Hall und der DG HYP - die Euroumstellung. Groß wäre der Imageschaden für die Bausparkasse gewesen, wenn ihr nach der Umstellung zum Beispiel beim Auszahlen der Sparguthaben und Darlehen Fehler unterlaufen wären. "Denn zu Recht erwarten die Kunden von einem Geldinstitut, dass es sicher und zuverlässig arbeitet", wie Silke Michel, Personalleiterin beim Kreditwerk, betont.

Eine entsprechend hohe Bedeutung maßen die Spitzenmanager der Schwäbisch-Hall-Gruppe dem Projekt Euroumstellung bei. Das zeigte sich nicht nur in seiner Finanzausstattung. Das Unternehmen beauftragte mit dem Projekt auch seine erfahrensten Projektmanager - zu denen unter anderen Anskinewitsch zählt. Außerdem führte es im Oktober einen Test unter realen Produktionsbedingungen durch, damit alles glatt laufen würde, wenn die letzte Stunde der D-Mark schlägt.

So sensibel sind nicht alle Projekte der Schwäbisch-Hall-Gruppe - aber viele. Unter anderem, weil bei Finanzdienstleistern die Informationstechnologie die gesamte Organisation - ähnlich wie das Nervensystem den menschlichen Körper - durchzieht. Deshalb haben Änderungen in einem Bereich stets Auswirkungen auf andere. Sie müssen beim Planen der Projekte bedacht werden. Sonst ist ihr Scheitern programmiert. Zum Beispiel, weil plötzlich IT-Anwendungen und damit Geschäftsabläufe nicht mehr funktionieren. Solche Pannen kann und will sich Schwäbisch Hall nicht leisten. Entsprechendes gilt für ihre Tochter Kreditwerk, zumal diese auch für andere Finanzdienstleister Processing- und IT-Dienstleistungen erbringt.

Entwicklung gezielt steuern

Deshalb führte die Unternehmensgruppe 1998 für ihre Mitarbeiter - unterstützt von dem Trainings- und Beratungsunternehmen 9:pm in Karlsruhe - eine mehrjährige, berufsbegleitende Projektmanagement-Ausbildung ein. In acht Seminarbausteinen können sie sich zunächst das Methodenwissen zum Managen von (strategischen) Großprojekten aneignen. Anschließend können sie beim Project Management Institute (PMI) in Philadelphia, USA, einen Abschluss als "Project Management Professional" erwerben. Doch bis dahin ist der Weg weit. Erst wenn Mitarbeiter - je nach Vorbildung - 4500 beziehungsweise 7500 Stunden Projekterfahrung nachweisen können, werden sie zur Prüfung zugelassen.

Die geforderte Projekterfahrung hat Anskinewitsch schon lange; auch über das nötige Methodenwissen verfügt er. Trotzdem wird er die Prüfung erst in den kommenden Wochen ablegen. Zuvor hat er hierfür keine Zeit. Anders ist dies bei Jutta Heinrich. Sie steckt noch "mitten in der Ausbildung", und dies, obwohl sie bereits bei vielen Großprojekten mitgearbeitet hat - teils mit Projektleiterfunktion.

Die Kreditwerk-Mitarbeiterin war unter anderem an der Entwicklung und Einführung von BSH-Top beteiligt. Mit diesem System beraten die Vertriebsmitarbeiter der Bausparkasse ihre Kunden. Das System ermöglicht es, beispielsweise die verschiedenen Möglichkeiten der Vertragsgestaltung zu simulieren, sodass die Kunden erkennen, ob der Vertrag für sie optimal ist. Mit dem Programm können die Berater vor Ort aber auch die Kundendaten direkt in die Datenbank der Bausparkasse eingeben. Der Vorteil für den Kunden: Seine Wünsche werden schneller bearbeitet, und die Fehlerquote sinkt, weil der Innendienst seine Daten nicht nochmals erfassen muss.

Fundiertes Methodenwissen vermitteln

"Um ein derart komplexes Projekt wie die Einführung von BSH-Top zu managen, genügt der Besuch eines dreitägigen Projektmanagement-Seminars nicht", betont Heinrich. Solche Projekte berühren neben den Kundeninteressen oft die Belange von Tausenden von Mitarbeitern. So fragte sich der Außendienstmitarbeiter beim Einführen von BSH-Top zum Beispiel: Will uns die Zentrale mehr Arbeit aufbürden? Und die Kundenbetreuer im Innendienst: Fallen unsere Stellen weg, wenn die Kundendaten vom Außendienst erfasst werden? Solche Ängste keimen bei allen Großprojekten auf. Schließlich sind mit ihnen "stets Veränderungen der gewohnten Abläufe und Strukturen verbunden", wie Silke Michel, Personalleiterin beim Kreditwerk, betont. Dies müssen die Verantwortlichen bedenken. "Denn wenn keine adäquate Information und Einbeziehung der Betroffenen erfolgt, verfestigen sich Unsicherheiten schnell zu Widerständen."

Nicht nur deshalb brauchen die Leiter von Großprojekten ein fundiertes Methodenwissen. Hinzu kommt: Jedes Großprojekt gliedert sich in zahllose Teilprojekte und Hunderte von Aufgaben. Deshalb müssen die Verantwortlichen eine passende Projektmanagement-Organisation aufbauen. Sonst ist ein Scheitern programmiert. Sei es, weil die Projektziele nur teilweise erreicht, die Termine nicht eingehalten werden oder die Kosten aus dem Ruder laufen.

Diese Gefahr ist groß - auch weil sich im Unternehmensalltag, wie Anskinewitsch berichtet, "oft mehrere Projekte überlappen und wechselseitig beeinflussen". Hinzu kommt: "Bei länger dauernden Projekten müssen die Projektstrukturen und -ziele oft einer Revision unterzogen werden, weil sich das Unternehmensumfeld im Projektverlauf ändert." Außerdem können die mit dem Projekt verbundenen Risiken im Vorfeld oft nicht alle erfasst und schon gar nicht beseitigt werden. Also muss ein gezieltes Risikomanagement aufgebaut werden.

Das heißt: Die Projektmanager bewegen sich oft auf einem "schwankenden" Untergrund. Damit sie die Projektziele dennoch erreichen können, benötigen sie auch bestimmte persönliche Fähigkeiten. Hierzu zählt laut Michel "die Fähigkeit, Menschen zu führen, zu integrieren und zu motivieren, ohne ihr disziplinarischer Vorgesetzter zu sein". Außerdem müssen sie "komplexe Zusammenhänge wahrnehmen, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden und in vernetzten Strukturen denken sowie angemessen handeln können".

Berufliche Perspektive aufzeigen

Hinzu kommt ein Punkt, so Personalleiterin Michel, der oft übersehen wird: "Projektmanager müssen auch das nötige Rückgrat haben, um Konflikte aus- und Widerständen standzuhalten." Ihre Persönlichkeit muss einen gewissen Reifegrad haben. Auch deshalb bietet die Schwäbisch-Hall-Gruppe ihren Mitarbeitern die berufsbegleitende Projektmanagement-Ausbildung an. Darüber hinaus möchte das Unternehmen seinen Mitar- beitern - neben der Fach- und Führungskräftelaufbahn - mit der Projektlaufbahn eine weitere Entwicklungsperspektive eröffnen.

Diese fehlt insbesondere den IT-Mitarbeitern vieler Unternehmen. Ihre Vorgesetzten betonen zwar regelmäßig: "Wir fördern Sie in Ihrer beruflichen Entwicklung." Was dies für ihre persönliche Karriere bedeutet, erfahren die ITler aber nie. Hier versuchen viele Unternehmen, unverbindlich zu bleiben. Dies merken die Betroffenen. Deshalb kehren sie nach einiger Zeit den Unternehmen den Rücken.

Dies möchte Schwäbisch Hall vermeiden, denn ein Credo der Unternehmensgruppe lautet: Unsere Produkte und Strukturen können die Mitbewerber schnell kopieren, aber nicht das Wissen, das in den Köpfen unserer Mitarbeiter steckt. "Deshalb versuchen wir, die fähigen Köpfe langfristig an uns zu binden, indem wir ihnen eine Entwicklungsperspektive bieten", versichert Michel. Offensichtlich mit Erfolg: Anskinewitsch und Heinrich arbeiten seit ihrer Ausbildung als Organisationsprogrammierer beziehungsweise DV-Kauffrau bei Schwäbisch Hall. Der 42-jährige Anskinewitsch seit 22 Jahren, die 31-jährige Heinrich seit 12 Jahren.

An internationalen Standards orientieren

Beim Konzipieren der Projektmanagement-Ausbildung orientierte sich Schwäbisch Hall an einem sehr hohen, internationalen Projektmanagement-Standard. "Unter anderem, damit eine gemeinsame Arbeitsgrundlage besteht, wenn unsere Mitarbeiter mit Beschäftigten anderer Unternehmen in Projekten zusammenarbeiten", wie Michel erklärt. Die Folge: Die Mitarbeiter erwerben mit der Zertifizierung als "Project Management Professional" einen Abschluss, der auf einem internationalen, firmenübergreifenden Standard beruht. Dies erhöht auch ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt. Schließlich dokumentiert der Abschluss nicht nur ihre Projekterfahrung, sondern auch ein sehr fundiertes Methodenwissen in Sachen Projektmanagement. Entsprechend groß ist die Gefahr, dass andere Arbeitgeber sie umwerben.

Dieses Risiko ging die Schwäbisch-Hall-Gruppe bewusst ein, denn sie erkannte: Wenn Projektarbeit - wie im IT-Bereich - die Regelarbeitsform ist, müssen die Mitarbeiter in Sachen Projektmanagement dieselbe Sprache sprechen und dieselben Methoden benutzen. Hieran krankt es in vielen Unternehmen, deren Mitarbeiter mal ein Projektmanagement-Seminar beim Anbieter X und mal beim Anbieter Y besuchen. Bei ihnen treten in Projekten oft "Verständigungsschwierigkeiten" auf.

Diese Erfahrung hat auch Anskinewitsch gesammelt: "Bei bereichsübergreifenden Projekten prallen oft neben unterschiedlichen Interessen auch verschiedene Sprachen und Kulturen aufeinander." So zum Beispiel, wenn ITler mit Mitarbeitern von Fachabteilungen zusammenarbeiten. Noch komplexer wird die Situation, wenn ein Projektteam aus Mitarbeitern mehrerer Unternehmen besteht. Dann haben die Beteiligten oft nicht nur ein unterschiedliches Projektverständnis, auch die genutzten Planungs- und Steuerungsmethoden sind verschieden. Dadurch erhöht sich das Risiko, dass Projekte scheitern. Zudem werden Ressourcen verschwendet - zum Beispiel, weil Projektsitzungen sehr lange dauern.

Daher werden an Mitarbeiter von Projektteams hohe Anforderungen gestellt. Würden sie sich dann noch darüber streiten, was überhaupt ein Projekt ist oder welche Planungs- und Steuerungsmethoden genutzt werden, könnte die Projektgruppe vermutlich nie Ergebnisse präsentieren. Oder die Entscheidung "Wir vermarkten ein bestimmtes Produkt" fiele erst, wenn schon zahllose Mitbewerber ähnliche Produkte in ihrem Portfolio haben. Wettbewerbsvorteile wären somit verspielt. Eine solche Trägheit kann sich ein Unternehmen, das den Markt gestalten möchte, nicht erlauben.

Der Autor Bernhard Kuntz ist freier Journalist in Darmstadt.

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