Marktforscher warnen vor allzu großem Pessimismus in der IT-Branche

17.01.2002
Aussichten auf eine baldige Erholung der IT-Industrie wurden durch die Terroranschläge vom 11. September vorerst zunichte gemacht. Doch der "Bin-Laden-Effekt", wie IDC-Chef John Gantz ihn nennt, lässt auch hoffen, dass die Unternehmen ihre Sicherheitsstrategien überdenken.

Das Stimmungstief nach den Terroranschlägen ist überwunden, konstatiert das Meinungsforschungsinstitut Allensbach im Konjunkturbarometer, das nach den verhehrenden Einbrüchen im vergangenen Jahr natürlich weniger günstig ausgefallen ist als nach dem Boomjahr 2000. Dennoch gehen 42 Prozent der deutschen Unternehmen mit guten Hoffnungen ins neue Jahr 2000 und sehen sich die absoluten Pessimisten in der Minderzahl.

Wie sich die IT-Industrie in den nächsten zwölf Monaten entwickeln werde, sei noch nicht abzusehen, aber das Beste stehe erst bevor, meinen die Gartner-Analysten Jackie Fenn und Alexander Linden. Sich in allzu großem Pessimismus zu wähnen sei dabei ebenso unrealistisch wie die Euphorie der vergangenen fünf Jahre. Die Branche befinde sich in einer Phase der "Aufklärung" (Enlightment), in der zwar keine massiven Durchbrüche zu erwarten seien, die Anbieter sich aber mehr darauf konzentrieren werden, das zu erfüllen, was sie die letzten Jahre über versprochen hätten. In dieser Phase werde die "technologische Kakophonie" der Boomjahre, die bisher viele teure IT-Investitionen im Sande verlaufen ließen, zu bestimmten Trends zusammenwachsen, auf die sich die Unternehmensausgaben und die Aktivitäten der Anbieter konzentrieren werden. Neue Technologien wie Biometrie, Spracherkennung, Web-Services, UMTS und die entsprechenden Kommunikationsgeräte werden laut Gartner in den kommenden Jahren bis 2007 im Unternehmenssektor zu den beherrschenden Themen werden. Derweil werden die Venture-Capitalists im Jahr 2002 noch auf Bewährtes wie Kabelnetze, Netzwerkinfrastruktur, Sicherheit und Wireless-Technologien setzen.

Der "Bin-Laden-Effekt"

Auch die Kollegen von Marktforscher IDC sehen für die IT-Indus-trie ab der Jahresmitte, ein halbes Jahr früher als vor den Terroranschlägen vom 11. September ursprünglich prognostiziert, Erholung in Sicht. Der "Bin-LadenEffekt", so Chefanalyst John Gantz, werde dafür sorgen, dass die Unternehmen ihre Sicherheitsstrategien grundsätzlich überdenken und der IT-Industrie wieder Auftrieb geben.

IDC rechnet damit, dass die IT-Ausgaben in den USA im Jahr 2002 um vier bis sechs Prozent, in Westeuropa um sechs bis sieben und im Asien-Pazifikraum sogar um zehn bis zwölf Prozent wachsen werden. Gantz zufolge sind diese Prognosen eher konservativ und positive Überraschungen für die IT-Branche nicht ausgeschlossen. Weitere Punkte der IDC-Prognosen sind:

- Durch den Eintritt in die Welthandelsorganisation (WTO) werden die IT-Ausgaben Chinas noch über Jahre um durchschnittlich 25 Prozent wachsen. IDC geht davon aus, dass das Reich der Mitte im Jahr 2010 rund ein Drittel des IT-Weltmarktes stellen wird.

- Auch wenn die meisten Unternehmen sich noch sperren, wächst der Druck, ihren Mitarbeitern einen drahtlosen oder mobilen Internet-Zugang einzurichten.

- Microsofts "Passport" als Teil der .Net-Strategie für XP-Anwender und ähnliche Bemühungen von Mitbewerbern wird dem Gedanken der Online-Identität für Internet-Nutzer zum Durchbruch verhelfen, auch wenn die Idee des "Single-Sign on to the-Web" ein Endverbrauchertraum bleiben wird.

- Mit neuen Standards und News-Services wird die Nachfrage nach Streaming Media - nicht zuletzt auch als Reaktion auf den 11. September - zu einem ernstzunehmenden heißen Thema.

- Das Konzept der "Web-Sevices" wird sich im Jahr 2002 sogar zu einem regelrechten Hype entwickeln.

- Linux wird in diesem Jahr laut Gantz besonders im Unternehmensumfeld einen echten Durchbruch erleben.

- Der ohnehin schon im Umbruch befindliche Servermarkt wird durch die Einführung der von Intel "Server Blade" getauften ultrakompakten Prozessorarchitektur neu aufgemischt.

- Windows XP wird sich laut IDC in diesem Jahr weltweit 75 Millionen Mal verkaufen, aber auf die Hardware-Umsätze nicht die Auswirkungen haben wie Windows 95 es Mitte der 90er Jahre vermochte.

Das zeigt auch eine IDC-Verbraucherumfrage in Europa. Demnach sind nur 60 Prozent der PC-Besitzer bereit, sich bis Ende 2002 einen neuen PC zuzulegen. Statt vor diesem Ergebnis zu resignieren, sollten die Anbieter sich aber dennoch mehr auf die potentiellen Replacement-Kunden und weniger auf die absoluten Computerneulinge konzentrieren. Denn von den bisherigen IT-Verweigerern sei in dem ohnehin schon weitgehend gesättigten Markt erst recht kaum etwas zu erwarten.

www.idf-allensbach.de

www.idc.com

www.garnter.com

ComputerPartner-Meinung:

Zweckoptimismus hin oder her. Nach dem Tief im letzten Jahr, verstärkt durch die Ereignisse vom 11. September, kann es nur aufwärts gehen. Das ist die einhellige Meinung der Marktforscher. In einem in vielen Segmenten weitgehend gesättigten Markt und angesichts der schwierigen Weltwirtschaftslage können die Bäume aber nicht ewig in den Himmel wachsen und dürfen die Unternehmen ihre Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Denn sonst ist die nächste Welle von Gewinnwarnungen schon vorprogrammiert. (kh)

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