Massenmarkt Computerspiele

06.04.1999

MÜNCHEN: Die Zeiten, in denen Larry Leisure für eine Handvoll Spiele-Freaks monate-, ja teilweise jahrelang liebevoll verpixelt mit allerlei zwielichten Gestalten geredet hat, sind längst vorbei. Die Halbwertszeit eines Spiels liegt heutzutage allerhöchstens bei zwei bis drei Monaten - dann ist es out, und der Nachfolger verdrängt es mit lautem Marketinggeschrei aus den Verkaufsregalen.Allein auf der E3 in Los Angeles wurden dieses Jahr 1.900 neue Computerspiele vorgestellt - ein Massenmarkt, der immer noch rasant wächst. Im letzten Jahr wurden in den USA für 3,7 Milliarden Dollar Videospiele und für 1,8 Milliarden Dollar PC-Spiele verkauft. In Paketen entspricht das laut Angaben der Interactive Digital Software Association (IDSA) 200 Millionen verkauften Spielen. Rechnerisch hat damit jeder zweite US-Haushalt letztes Jahr zwei Spiele gekauft. Aneinandergelegt würden diese Pakete eineinhalb Mal um den Globus reichen.

In Europa erreichte der Spielemarkt laut GfK und Chart Track 1998 ein Volumen von gut 1,4 Milliarden Dollar, wozu deutsche Käufer rund 520 Millionen oder 37 Prozent beisteuerten. Die Erwartungen der namhaften Hersteller liegen für dieses Jahr bei etwa 10 bis 15 Prozent mehr Umsatz, Konsolenspiele sollen bis zu 25 Prozent Zuwachs bekommen.

Mit zunehmender Größe ändert der Spielemarkt auch sein Image - weg vom Freakprodukt hin zum ernsthaften Verkaufsschlager. Das haben jetzt auch Größen wie Microsoft gemerkt. Die Redmonder haben zum Beispiel gerade ein Abkommen mit Sega geschlossen. Die neue Konsole Dreamcast wird mit einer Variante von Windows CE betrieben. Es ist naheliegend, daß Microsoft seine PC-Spiele vielleicht auch auf Sega portiert.

Die Spieler werden älter und kaufkräftiger

Seit den Zeiten Larry Leisures hat sich auch die Zielgruppe maßgeblich verändert. Heute sind 90 Prozent der Spieler erwachsen, 38 Prozent sind gar älter als 36 Jahre. Mit dem Alter ist die Kaufkraft der Klientel gestiegen, allerdings auch das Kaufverhalten. Die IDSA erkennt einen Trend zum gezielten Kauf, was bei der Schwemme von Neuerscheinungen und einem Durchschnittspreis von 100 Mark für ein gutes Strategiespiel wie "Die Siedler III" kein Wunder ist.

Da wird es sogar für Retailer oder Kaufhausketten schwierig, das Produktportfolio optimal zusammenzustellen. Nimmt man allein die 1.900 Neuankündigungen von der E3, so kommen in diesem Jahr durchschnittlich 160 Spiele pro Monat auf den Markt. "Selbst die sogenannten Toptitel werden immer zahlreicher. Manchmal wissen wir gar nicht mehr, welche der hitverdächtigen Titel wir ins Angebot aufnehmen sollen. Es sind zu viele", klagt ein bayrischer Händler, der sich neben dem Kerngeschäft PCs auch noch eine kleine, aber feine Spieleabteilung im Laden eingerichtet hat. Und damit ist er nicht allein. Laut einer Befragung der Marktforscher von Techconsult hat fast ein Drittel der kleineren Computershops Spiele im Angebot. Erstaunlicherweise haben sogar einige Systemhäuser und VARs die Spiele in ihr Portfolio aufgenommen (siehe Grafiken). Umso wichtiger ist es, die richtige Auswahl zu treffen - und das vor allem schnell. Denn den größten Umsatz kann man mit einem Spiel machen, bevor es auf Platz eins der Charts landet. Bis dahin müssen bereits zwischen 85.000 und 150.000 Exemplare verkauft worden sein. Hat ein Titel die Spitze erreicht, mutiert er meist nach drei Monaten zum Ladenhüter (siehe Grafik), auch wenn er zu Beginn der Renner schlechthin war. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, daß Spiele Zusatzgeschäft bieten und nicht die Lager besetzen.

Die beste Infoquelle sind die Testberichte der einschlägigen Magazine. Danach kann man den Verlauf der Titel gut an den Hitlisten der Magazine verfolgen. Laut einer Umfrage der GfK ist im Moment "Jagged Alliance 2" von Topware auf dem ersten Platz, gefolgt von der Neuerscheinung "Die Völker" aus dem Hause Jowood.

Man sollte von jedem Genre mindestens einen Titel im Portfolio haben. Besonders erfolgreich sind in Deutschland nach wie vor Simulationen aller Art, seien es Wirtschaftssimluationen wie der Dauerbrenner "Siedler", Sport- oder Flugsimulatoren wie der "Flightsimulator" von Microsoft oder "Golf". Aber auch Abenteuer-, Action- und Rollenspiele haben ihre Anhänger.

Ausschlaggebend, ob Renner oder Penner, ist auch, wie der Hersteller das Produkt unterstützt. Je mehr Marketingmaterial und je mehr Werbung der Hersteller investiert, desto bekannter wird es, was für gewöhnlich zu größerer Nachfrage führt.

Spiele sind "Me-Too"-Geschäft

Gegen die großen Kaufhäuser und Retailer zu konkurrieren ist für Händler mit Ladengeschäft sicher nicht einfach. Dennoch lohnt es sich für etwa 60 Prozent der befragten Computershops. Sie müssen allerdings eine andere Strategie fahren als die großen Häuser, um mit Spielen Geschäft zu machen. "Wir können nicht die riesige Auswahl anbieten, wie es der Media-Markt kann. Wir bieten allerhöchstens jeweils zehn verschiedene Spiele an - die besten halt", erklärt ein Mitarbeiter der Firma Art Computer aus der Nähe von München. Nach seiner Erfahrung sind Spiele "Me-Too"-Käufe. Die Kunden kommen in den Laden und kaufen einen neuen PC, einen Bildschirm oder eine Maus und nehmen dann eben noch ein oder zwei Titel mit.

Idealerweise stehen Spiele und die zugehörige Peripherie wie Joysticks oder Gamepads in der Nähe der Kasse. Spontankauf heißt das Stichwort. "Wir haben einen Rechner mit spielbaren Demos an der Theke stehen", erklärt ein Händler aus dem Raum Bielefeld. "Während die Kunden auf ihre neukonfigurierten Rechner warten, können sie dort schnuppern. Es ist oft so, daß sie dann kurzentschlossen noch ein Spielchen mitnehmen." Dennoch: keiner der von uns befragten PC-Händler verläßt sich auf Spiele als Umsatzquelle - sie sind lediglich ein gutes Zusatzgeschäft.

Tips und Cheats für die Kundenbindung

Ein anderes sehr wichtiges Abgrenzungsmerkmal zu den Retailern mit der Riesenauswahl ist Beratung und Service. Schon beim Einkauf kann der Fachhändler seinem Kunden bei der Auswahl der passenden Soft- und Hardware zur Seite stehen. Diesen Service kann ein Discounter nicht bieten. Wenn die Kunden dann auch in der Zeit nach dem Kauf von ihrem Händler Tips und Cheats bekommen, führt das nicht nur zu einer besseren Kundenbindung sondern auch zu weiteren Einkäufen.

Einige Spielehersteller und Distributoren bieten auch gerade Einzelhändlern Demoshows, sogenannte Previews, an. Veranstaltungsort sind meist die Räume des Händlers, das Equipment kommt vom Hersteller. Spieledistributor Bomico beispielsweise geht für vielversprechende Produkte zwei Wochen lang auf Tour und besucht jeden Tag einen anderen Fachhändler. Die geladenen Kunden können das Produkt einen Abend lang ausprobieren. Jörg Ziegenbein, zuständig für das Händler-Marketing bei Bomico, schmunzelt: "Manchmal ist es schwierig, den Abend zu beenden. Wir müssen direkt den Strom abdrehen, sonst würden sie die ganze Nacht weiterspielen." (gn)

Größer, lauter, bunter heißt das Motto der Spielehersteller. Nur wer schreit, fällt auf.

Auf der Electronic Entertainment Expo, kurz E3, wird Jahr für Jahr eine Unmenge an Neuheiten vorgestellt - dieses Jahr waren es 1.900 neue Titel.

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