Interview zur Multichannel-Strategie

Media-Saturn-Chef Haas: "Der traditionelle Einzelhandel ist tot"



Matthias Hell ist Experte in Sachen E-Commerce und Retail sowie  Buchautor. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge in renommierten Handelsmagazinen und E-Commerce-Blogs. Zuletzt erschien seine Buchveröffentlichung "Local Heroes 2.0 – Neues von den digitalen Vorreitern im Einzelhandel".
Mit der Eröffnung von Multichannel-Pilot-Märkten von Media Markt und Saturn ist es für Pieter Haas noch lange nicht getan: Der traditionelle Einzelhandel habe ausgedient, heute gelte es, die Kunden auf verschiedensten Kanälen zu erreichen und neue, zeitgemäße Verkaufsformate zu entwickeln.
Pieter Haas steht seit Mai 2014 als stellvertretender Vorstandsvorsitzender an der Spitze der Media-Saturn-Holding.
Pieter Haas steht seit Mai 2014 als stellvertretender Vorstandsvorsitzender an der Spitze der Media-Saturn-Holding.
Foto: Media-Saturn-Holding GmbH (MSH)

Herr Haas, mit den Pilot-Geschäften von Media Markt und Saturn hat Ihr Unternehmen einen großen Schritt in Richtung Multichannel-Handel gemacht - doch das ist Ihnen anscheinend nicht genug: in einer Analystenpräsentation hat Media-Saturn kürzlich noch weitere Bereiche aufgelistet, in welchen Sie künftig ebenfalls eine vielgestaltige Herangehensweise verfolgen wollen. Eines dieser Schlagworte ist "Multi-Touchpoint" - was verstehen Sie unter diesem Begriff?

Pieter Haas: Wir haben schon 2008 in einer Präsentation von einer "Multi-xxx-Strategie" gesprochen. Das ist für mich der Inbegriff eines Everywhere-Commerce und einer Everywhere-Communication. Kunden, die Elektronik kaufen wollen, müssen bei Media Markt oder Saturn landen. Aber genauso auch Kunden, die eine Frage zu elektronischen Geräten haben oder einfach nur darüber quatschen wollen. Wir müssen verstehen, dass sich die Leute heute medial anders verhalten, als das früher der Fall war. Deshalb brauchen wir zum Beispiel mehr Video-Content oder auch gute Abbildungen - viele Menschen nutzen die Bildersuche, wenn sie sich nach neuen technischen Devices umschauen. Wir lernen eine ganz andere Weise, mit den Kunden umzugehen.

Verändert das auch klassische Instrumente Ihrer Werbestrategie, wie zum Beispiel die traditionellen Zeitungsbeilagen von Media Markt und Saturn?

Haas: Ja, früher war der Werbe-Flyer unsere Mehrzweckwaffe. Aber heute brauchen wir auch einen Gegensatz zum Flyer wie zum Beispiel bei Saturn unser Kundenmagazin "Turn On". Das interessiert die Leute und inspiriert sie auch. Wir wissen, dass die Lesezeit, die beim Flyer nur einige Minuten beträgt, bei "Turn On" auf 35 bis 40 Minuten steigt. Bei Air Berlin wird "Turn On" im Flugzeug ausgeteilt und die Leute lesen die Zeitschrift dann anstelle des Bordmagazins. Elektronik ist ein allgemeines Thema, das alle interessiert.

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Neben Multichannel und Multi-Touchpoint war in der Analystenpräsentation von Media-Saturn noch das Strategieschlagwort "Multi-Offering" aufgeführt. Können Sie das genauer erklären?

Haas: Das Thema Multi-Offering" betrifft Kanäle wie zum Beispiel unsere Verkaufsautomaten. Das ist kein Milliardengeschäft, doch werden die Automaten gut genutzt und es spielt für uns als Marke eine wichtige Rolle, dass wir beispielsweise an Flughäfen präsent sind. Daneben zählt zum Thema "Offering", dass wir die Connected-Welt schon anbieten und dass wir Smart Home in Kombination mit den zugehörigen Services und Dienstleistungen verkaufen. Für den Großteil der Menschen ist "Connected" kein Hobby, sondern sie wollen einfach eine vernetzte Welt, die funktioniert.

"Media-Saturn muss dorthin gehen, wo die Kunden sind"

Erfordern diese neuen Verkaufsstrategien auch neue stationäre Formate?

Haas: In Deutschland verfolgen wir bereits verschiedene Konzepte. So gibt es inzwischen eine Reihe von Märkten mit einer Fläche von 2.000 Quadratmetern - etwas, von dem wir in der Vergangenheit gesagt haben, das funktioniert bei uns nicht. Doch sehen wir in vielen kleineren Städten, dass das geht und dass die Kunden zu uns kommen, wenn wir mit unseren Märkten zu ihnen kommen. Diese "Proximity" ist ein wichtiger Teil unserer Strategie.

Dabei handelt es sich allerdings um eine recht vorsichtige Anpassung ihrer klassischen Verkaufsformate. In einigen Auslandsmärkten experimentieren Sie dagegen bereits mit kleinformatigeren Ladenmodellen…

Haas: Ja, wir erproben im Ausland eine Reihe weiterer Formate: Media Markt City in Innenstadtlagen in der Türkei, Saturn Connect als mobilfunkfokussiertes Format in Polen oder die Media-Depot-Outlets in Ungarn. Wir haben heute viele stationäre Multichannel-Konzepte - und das ist die große Wende in unserem Denken: früher dachten wir, die zwei Konzepte Media Markt und Saturn passen überall. Das war eine Art Missionierung. Doch der Kunde bestimmt und wir müssen dorthin gehen, wo die Kunden sind. Deshalb verfolgen wir heute lokal angepasste Konzepte für jedes Land.

"Wer nicht auf Multichannel setzt, wird morgen nicht mehr da sein"

Dennoch sprechen Sie von einem "Kernformat", den Märkten mit Flächen von 2.700 bis 3.000 Quadratmetern. Bleibt dieses Konzept auch angesichts des Wandels hin zu Multichannel und Online aktuell?

Haas: Wir müssen natürlich auch innerhalb unserer Kernformate über grundlegende Änderungen nachdenken. Ein Beispiel dafür sind unsere Kassen: Wir haben lange auf Kassenbatterien gesetzt, jetzt haben wir in dem neuen Saturn eine Kassentheke mit einer Wartereihe wie beim Check-In am Flughafen umgesetzt. Und das wird toll angenommen.

Wer heute sagt, dass er nicht auf Multichannel setzt, der wird morgen nicht mehr da sein. Deshalb dürfen wir nicht aufhören, in unser Kernkonzept zu investieren. Vor fünf Jahren hat noch jeder prophezeit, dass der stationäre Handel bald tot sein würde. Doch statt dass die Multichannel-Händler schließen, sind heute die Pure Player geradezu in Panik, selbst Stores zu eröffnen. Jetzt heißt es schon, dass bald diejenigen tot sein werden, die keine Stores haben. Ich glaube, dass es in der Zukunft sowohl Stores wie auch Online geben wird. Nur der traditionelle Einzelhandel ist tot. Handelsmarken, die auf allen Kanälen aktiv sind, wird es dagegen noch lange geben.

Wieviel Wahrheit steckt in Medienberichten, wonach Media-Saturn angesichts unrentabler Flächen über Filialschließungen nachdenkt?

Haas: Natürlich stellen wir uns immer dann, wenn ein Mietvertrag zur Verlängerung ansteht, die Frage, ob die jeweilige Fläche noch die richtige ist. Manchmal geht es nur um den Zuschnitt der Märkte. Wir haben gesehen, dass wir auch auf 3.000 Quadratmetern den gleichen Umsatz machen können, wie auf 3.500 Quadratmetern. Aber ich glaube nicht, dass wir ein grundsätzliches Flächenproblem haben. Selbst wenn wir mal einen Markt schließen, bedeutet das nicht, dass unser stationäres Konzept am Sterben ist. Vielmehr ist das wie bei einem Gärtner, der auch Äste abschneidet, damit der Baum besser wächst. Wir werden auch weiterhin jedes Jahr 30 bis 40 neue Märkte eröffnen. (rw)

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