Zehn Jahre Siri

Mehr als eine Assistentin

Peter Müller ist der Ansicht, dass ein Apple täglich den Arzt erspart. Sei es iMac, Macbook, iPhone oder iPad, was anderes kommt nicht auf den Tisch oder in die Tasche. Seit 1998 beobachtet er die Szene rund um den Hersteller von hochwertigen IT-Produkten in Cupertino genau. Weil er schon so lange dabei ist, kennt er die Apple-Geschichte genau genug, um auch die Gegenwart des Mac-Herstellers kritisch und fair einordnen zu können. Ausgeschlafene Zeitgenossen kennen und schätzen seine Beiträge im Macwelt-Morgenmagazin, die die Leser werktags pünktlich um acht Uhr morgens in den nächsten Tag mit Apfel und ohne Doktor begleiten. Privat schlägt sein Herz für die Familie, den FC Bayern, sechs Saiten, Blues-Skalen und Triolen im Shuffle-Rhythmus.
Seit 2011 spricht das iPhone mit uns. Längst auch iPad, Mac, Homepod, Apple Watch und Apple TV. Hinter Siri steckt aber mehr.

"Hey, Siri, ich bin heute früh noch sehr müde, koch' mir Kaffee und bring' ihn mir an den Schreibtisch!" Wer nicht gerade mit einer Person namens Siri zusammenlebt, wird darauf keine vernünftige Antwort bekommen. Und wenn es eine vernünftige Person namens Siri sein sollte, würde die vielleicht eher sagen: "Dir auch einen guten Morgen, Schatz. Wie heißt das Zauberwort mit den zwei t? "Aber flott!" ist es übrigens nicht …"

Siri ist weit mehr als eine digitale Assistentin (oder ein digitaler Assistent).
Siri ist weit mehr als eine digitale Assistentin (oder ein digitaler Assistent).
Foto: Wachiwit - shutterstock.com

Nun haben wir den großen Vorteil mit einer vernünftigen Person zusammen zu leben, die ihrem Morgenmuffel von Morgenredakteur auch ohne jedwede Worte den Kaffee in sicherer Entfernung vom Rechner hinstellt. Auf die Idee, an Apples digitale Assistentin eine solche Bitte zu richten, kommen wir ohnehin nicht, im Wissen ihrer Beschränktheit. Klar könnte man die Kaffeemaschine an eine schlaue Steckdose stecken und diese morgens per Siri aktivieren, aber erstens müsste man das Kaffeemehl über Nacht sein Aroma verlieren lassen und das Wasser wird auch nicht besser, wenn es herumsteht. Außerdem fällt Morgenmuffeln von Morgenredakteuren selbst Maschinen gegenüber vor Sonnenaufgang die mündliche Ansprache schwer.

Siri ist nie um einen Spruch verlegen

Seit Siri auf iPhones und später auf anderen Apple-Geräten aktiv ist, haben Witzbolde weltweit Möglichkeiten ausgelotet, Siri zu mehr oder minder witzigen Antworten zu bringen. Das ging mal besser, mal schlechter, Siri hat nur den Humor, den ihr Apple-Ingenieure einprogrammiert haben – Cupertino ist für Vieles gerühmt, aber nicht für überbordenden Witz oder feine zeitgeistige Ironie. Was wir aber heute auf alle Fälle versuchen sollten, wenn uns der erste Kaffee die Zunge gelockert hat: "Hey Siri, alles Gute zum Geburtstag!" Mal sehen, wie die Dame, die keine ist, da sie auch mit Herrenstimme oder einer neutralen antworten kann, darauf reagiert.

Schon im Vorfeld jenes 4. Oktober 2011 hatte sich Siri bemerkbar gemacht. Apple hatte im Jahr davor die gleichnamige Firma, die sich auf Spracherkennung spezialisierte, übernommen und die Keynote zur Einführung des iPhone 4S unter das doppeldeutige Motto "Let's talk iPhone" gestellt. Bewusst ohne jedwede Interpunktion, so konnte man zweierlei herauslesen: Apple würde über das iPhone sprechen und dieses auch zum Sprechen auffordern – was dann auch geschah.

iPhone seit zehn Jahren erst im Herbst

Nie war die Wartezeit auf ein neues iPhone länger gewesen, das iPhone 4 hatte Apple im Vorjahr noch im Sommer vorgestellt, zur WWDC. Der neue Herbst-Termin mag damit zusammen gehangen haben, dass die Entwicklung von Siri für das iPhone einfach etwas länger dauerte, aber wie schon in den Jahren zuvor, als neue iPods jeweils rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft kamen, erwies sich die Verschiebung der Saison als Treffer. Das neue Betriebssystem iOS 5 hatte Apple in jenem Jahr auch nicht bei einem Extratermin im März präsentiert, sondern zusammen mit OS X 10.7 Lion und der verbindenden iCloud auf der WWDC, die für derartige Ankündigungen am besten geeignet ist.

Siri ist aber weit mehr als eine digitale Assistentin (oder ein Assistent), die Spracherkennung ist nur ein Teil davon. Selbst lernende Algorithmen sollen auf dem iPhone, dem iPad, dem Mac und der Apple Watch verstehen, was die Besitzer der Geräte in welchem Moment damit anfangen wollen, ohne dass sie fragen müssten. Apple hat im letzten Jahrzehnt ohne Frage viel investiert, um Siri schlauer und nützlicher zu machen, dabei aber davon abgesehen, alles auszureizen, was möglich wäre. Denn jeder selbstlernende Algorithmus wird vor allem dann besser, wenn er viele Daten zur Verfügung hat und zur Not die Rechenleistung einer gesamten Cloud.

Aber, wie Apple einmal in Las Vegas plakatierte, was auf dem iPhone passiert, soll auch auf dem iPhone bleiben - zumindest weitgehend. Aus den Daten, die zur Verbesserung etwa von Verkehrsmeldungen herangezogen werden, sollen keine Rückschlüsse auf Individuen möglich sein, verspricht Apple. Und dass die meisten Berechnungen auf dem Gerät selbst passieren, reduziert die Gefahr von Datenlecks gewaltig. Für die Sprachanalyse war bis vor Kurzem aber immer noch eine Internetverbindung notwendig. Ist eben eine komplexe Angelegenheit.

Die iPhones sind zehn Jahre später weit leistungsfähiger als es das iPhone 4S war, erst heute funktioniert Siri auch offline, zumindest in den meisten Fällen. Die Technik macht Fortschritte. Bis sie aber wie Eto Demirzel ("Foundation") wie aus Fleisch und Blut zu sein scheint, vergehen noch viele Jahrhunderte, so es denn je passieren wird. (Macwelt)

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