Mehr Innovationstempo gefordert

28.10.2004
Wenn hier zu Lande entwickelte Technologien - wie so oft - anderswo vermarktet werden, dann stimmt etwas nicht in Deutschland, erklärte am ersten Systems-Tag Bitkom-Präsident Willi Berchtold. Er forderte eine schnellere Gangart in der Innovationspolitik. Von ComputerPartner-Redakteur Klaus Hauptfleisch

Der Absatz von MP3-Playern wird dieses Jahr um mehr als 300 Prozent steigen. Entwickelt wurde die Basistechnologie zur Komprimierung von Musikdaten in Deutschland, gebaut und vermarktet werden die Geräte vor allem in Asien. "Da ist offenbar etwas falsch gelaufen", erklärte dazu Willi Berchtold, Präsident des ITK-Hauptverbands Bitkom, am ersten Tag der Münchener "Systems". Ein anderes Beispiel sei die LCD-Technologie, deren Grundlagen in Deutschland geschaffen wurden. Genutzt habe das - abgesehen von einzelnen Lizenzabgaben - nur wenig, denn die meisten Geräte, LCD-Monitore etwa, werden in Asien und nicht in Deutschland gefertigt.

Dieses Missverhältnis brachte Berchtold wie folgt auf den Punkt: "Wir waren kreativ, aber leider nicht innovativ." Wie Bitkom-Kollege und IDS-Scheer-Gründer August Wilhelm Scheer es unlängst ausdrückte: "Ideen gibt es in Deutschland genug. Aber Innovation ist die Fähigkeit, aus einer Idee auch einen wirtschaftlichen Erfolg zu machen."

Innovationspolitik darf nicht nur Industrie oder Beschäftigung dienen

Im Januar 2004 hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder das Wort vom "Vorsprung durch Innovation" geprägt. Doch ob Transrapid, schneller Brüter oder HDTV: Die vom Bund geförderten Großprojekte gehen gänzlich am Bedarf des Marktes vorbei, so Berchtold. Innovationspolitik werde vielfach missverstanden und fehlgeleitet, mahnte der Bitkom-Präsident. Für viele sei dies nur ein neuer Begriff für Industriepolitik, und diese werde missverstanden als Beschäftigungspolitik. Die Folge sei, dass Deutschland 2003 im Bereich ITK ein Handelsdefizit von 7,4 Milliarden Euro aufwies. Deutschland müsse wieder vom High-Tech-Importeur zum Netto-Exporteur hochwertiger Technologien werden.

Berchtold wiederholte in diesem Zusammenhang die 2003 identifizierten fünf Punkte, die zentral seien für Innovation in Deutschland:

1. Schulische und universitäre Bildung stärken. Pisa-, Iglu- und OECD-Studien zeigten eklatante Schwächen hier zu Lande auf. Gefordert seien einheitliche Bildungsstandards, die sich mehr an denen in Bayern orientieren sollten und nicht an jenen in einigen nördlichen Bundesländern, so Berchtold.

2. In der Forschung mehr Austausch mit der Wirtschaft und Einhalten von Zusagen bezüglich Mittelfreigabe. Der Appell, die Mittel für Forschung und Entwicklung zu erhöhen, gelte auch für Unternehmen, doch 2003 seien die dafür ausgegebenen Mittel von 44,6 auf 44,4 noch einmal leicht zurückgegangen, merkte Berchtold kritisch und selbstkritisch an.

3. Stärkung der Innovationskraft der Unternehmen durch Finanzierungssicherheit und Entschlackung des Steuerrechts.

4. Schutz des geistigen Eigentums und damit Planungssicherheit. Strafabgaben für Innovationen wie etwa Multimedia-PCs seien aber kontraproduktiv und stellten Deutschland im internationalen Vergleich noch weiter in die Ecke.

5. Die öffentlichen Dienste sollten bei Techniknutzern die Vorreiterrolle übernehmen. Gemessen am staatlichen Einsatz von Informationstechnik sei die Bundesrepublik hier weltweit auf Platz 20. Geradezu peinlich sei, dass Taiwan mit Hilfe der Münchener Banknotendruckerei Giesecke & Devrient die Gesundheitskarte erfolgreich eingeführt habe, dieses wichtige Projekt in Deutschland aber immer weiter verschleppt werde.

Wie so oft wiederholte Berchtold, welchen Beitrag die Informations- und Kommunikationstechnik für die deutsche Wirtschaft und andere Branchen leiste. ABS oder Kernspintomographie seien ohne ITK nicht denkbar gewesen. "Ohne ITK würde uns Lebensqualität fehlen", betonte Berchtold. Doch gemessen am ITK-Anteil des Bruttoinlandsprodukts sei Deutschland weltweit auf Platz zwölf abgerutscht und liege nun sogar hinter Österreich. Deutschland und die Bundesregierung seien mit einer Reihe von Reformen und Verbesserungen auf dem richtigen Weg, doch das Tempo stimme nicht. "Es fehlt offenbar ausreichend Druck im Kessel", so der Bitkom-Präsident.

Meinung des Redakteurs

Innovationspolitik ist ein inhaltsschweres Wort, impliziert es doch, dass der Investitions- und Innovationsstau in der Bundesrepublik in erster Linie ein politisches Problem ist. Die Politik kann zwar wichtige Weichen stellen, aber für alles alleinverantwortlich kann sie nicht gemacht werden. Nicht für Pisa, und auch nicht für das Abwandern wichtiger Basistechnologien. Ein Wort an den Bitkom: Es ist leicht zu kritisieren, aber echte, realisierbare Patentrezepte kommen auch von den Verbänden eher selten.

Zur Startseite