Mehr Mut zum Risiko: Viele Händler ziehen sich bei Großaufträgen zu schnell zurück

22.05.1998

MÜNCHEN: Aus Angst, sich die Finger zu verbrennen, wagen sich viele mittelständische Handelsunternehmen erst gar nicht an größere Aufträge heran, wenn sie sie nicht mit eigenen Mitteln vorfinanzieren können. Das zumindest ist das Fazit unserer stichpunktartigen Umfrage unter IT-Händlern. Nur selten nutzen Handelspartner die Möglichkeiten, die ihnen von Externen bei der Kreditvergabe geboten werden. Welche Wege es gibt - und wo die Risiken und Vorteile liegen - untersucht der folgende Beitrag.Ludwig Schröder kann es nicht fassen: Seine Systema EDV-Handels GmbH* könnte einen Auftrag ergattern, der ihn von einem Tag auf den anderen sanieren würde. Das größte Unternehmen am Ort - ein Zulieferer für die Automobilbranche - will seine EDV im kompletten Haus, inklusive Buchhaltung und die Technikabteilung, modernisieren und die Abläufe innerhalb der Firma durch eine spezielle Softwarelösung optimieren.

Schröder reibt sich die Hände: Die Umsetzung der Lösungen würde sein Unternehmen nicht nur die nächsten Monate auslasten - es locken zudem Wartungsverträge und Folgekäufe. Das wäre der solide Grundstock für seine Systema, auf den er seit der Gründung vor drei Jahren gehofft hatte, denn obwohl er ganz gut über die Runden kommt, hat er keinen festen Auftragsbestand.

Natürlich sind ihm die Probleme bewußt: Mit 13 Mitarbeitern zählt seine Firma beispielsweise "nur" zum Mittelstand, die nötigen Mittel zur Vorfinanzierung sind nicht flüssig und Schröder weiß, daß auch die Compunet als Auftragserfüller im Gespräch ist.

Risiko: Vorfinanzierung durch den Kunden

Wenn der Konkurrenzdruck nicht wäre, könnte er versuchen, einen Teil der nötigen Mittel für die Vorfinanzierung vom Kunden zu bekommen: "Viele Systemhäuser stellen beispielsweise bereits die erste Rechnung für erbrachte Leistungen nach einem Monat", weiß Lothar Bittner, Geschäftsführer der Unternehmensberatung NAA Infokom in Nürnberg. "So muß er quasi nur einen Monat vorfinanzieren." Oder er rechnet nach dem "Meilensteinmodell" ab: Nach sorgfältiger Kalkulation und Planung, so die Theorie, weiß der Auftragnehmer, wann er welche Leistungen erbringt, wann er was liefern kann und wie lange seine Mitarbeiter für die Implementierung brauchen. So könne man dann "Meilensteine" setzen: Nach der Lieferung der Hardware wird soundsoviel berechnet, nach der Verkabelung wird wieder eine Überweisung vereinbart und so weiter.

Diese Abrechnungsart setzt zum einen eine detaillierte Planung im Vorfeld voraus und läßt sich beim Kunden zumeist nur dann durchsetzen, wenn der Händler in seiner Region oder bei diesem speziellen Auftrag ohne ernstzunehmende Konkurrenz dasteht. Anders sieht es in dem oben geschilderten Fall aus, denn die Compunet beispielsweise wird mit der Vorfinanzierung des Projektes voraussichtlich keinerlei Probleme haben und den Kunden mit solchen Anliegen auch nicht "belästigen".

An dieser Stelle, so ein Finanzierungsexperte bei Computer 2000, verläßt viele kleine und mittelständische Händler und Systemhäuser der Mut: "Das Problem ist, daß sich der Handelspartner oft gar nicht an Großprojekte herantraut, da er die Finanzierung nicht gewährleistet sieht." Ergo: Für viele IT-Händler ist das Problem "Vorfinanzierung von Projekten" gar nicht existent, da sie sich beim Thema Finanzierungshilfe sofort wieder in ihr Schneckenhaus zurückziehen. "Kaum ergibt ihre Kalkulation, daß da wohl Kredite notwendig würden, lassen sie lieber die Finger von dem Projekt. Und überlassen größere Aufträge weitgehend kampflos Häusern in der Größenordnung von Debis oder Compunet", betreibt auch der Geschäftsführer eines mittelständischen Systemhauses bei Weilheim Kollegenschelte.

Das ist auch kein Wunder. Denn einer Umfrage von ComputerPartner zufolge ist der erste Gang der Handelspartner, denen die flüssigen Mittel fehlen, der zur Hausbank. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Um den Auftrag zu bekommen, muß man möglichst fix handeln, und wer könnte schneller die nötigen Finanzmittel bereitstellen als der Banker? Doch da sieht sich der Kreditsuchende schon vor das größte Problem gestellt: Kein möglicher Finanzierungspartner sagt so oft "nein" wie die Banken.

Frust bei Verhandlungen mit der Bank: Niemand sagt so oft "nein"

Wieso das so ist, konnten auch die Banken selber nicht beantworten: Trotz intensiver Suche fanden sich bei den großen Kreditinstituten keine Interviewpartner, die zu diesem Thema hätten Stellung nehmen können. Die Begründung aus den jeweiligen Zentralen stimmte auch nicht gerade optimistisch für die Zukunft: "Das ist bei uns dezentral gelöst" hieß es gleich mehrfach, sprich: das Know-how sitze in den Filialen. "Da muß man schon großes Glück haben, um in seiner Filiale einen kompetenten Ansprechpartner zu erwischen, der eine solche Kreditvergabe im IT-Geschäft nicht sofort als "Risikogeschäft" einstuft und vom Tisch fegt", beschwerte sich unlängst ein Händler aus dem Systemhausbereich auf einem Seminar, nachdem ein Finanzexperte über "Richtiges Verhandeln mit der Hausbank" referiert hatte. Doch alles Lamentieren nutzt nicht viel, die Banker sitzen am längeren Hebel und man sollte sich - so gut man kann - auf das einstellen, was sie erfahrungsgemäß gerne sehen (siehe Kasten Seite 88).

Und nicht immer ist der Banker "der Böse": Oft genug gehen Kreditanwärter unvorbereitet in ein solches Gespräch. "Wenn mich schon jemand fragt, ob das und das nicht eine gute Idee für sein Projekt sei, oder ob ich das nicht auch erfolgversprechend finde - dann gehen bei mir die Jalousien runter", beschwerte sich beispielsweise der Filialleiter einer großen Bank auf dem schon erwähnten Seminar. Das heißt: Der Banker will überzeugt werden, nicht als Unternehmensberater fungieren. "Und wenn ich nach Sicherheiten frage, denken viele erst während des Gesprächs darüber nach, was sie zu bieten haben", ärgert er sich weiter. Deshalb an dieser Stelle kurz aufgelistet, was seiner Ansicht nach als "bankübliche Sicherheiten" akzeptabel sei:

- Sicherungsübereignungen von Betriebseinrichtung und Geschäftsausstattung,

- Grundschulden/Hypotheken,

- Verpfändung von Wertpapieren,

- Abtretung von Kundenforderungen,

- Sicherungsübereignung von Warenvorräten,

- Bürgschaften,

- Verpfändung von Bankguthaben,

- Abtretung von Lebensversicherungsansprüchen.

Insgesamt aber scheinen die Erfahrungen der meisten IT-Händler zu

zeigen, daß sie noch so gut vorbereitet und überzeugend sein können - wenn das Gegenüber nicht weiß, worum es in der Branche geht, sondern immer wieder mit Horrormeldungen von Pleiten im EDV-Mittelstand argumentiert, helfen auch die berühmten Engelszungen nicht weiter.

Distributoren leisten zumindest Unterstützungsarbeit

Auch die Anfrage beim Distributor hilft bei großen Projekten nicht immer weiter. Natürlich ist jeder Großhändler, der einen Handelspartner schon lange kennt, seine Bonität einzuschätzen weiß und auch das Projekt selber für erfolgversprechend hält, oftmals gerne bereit, das Zahlungsziel zu verlängern. Trotzdem: auch bei Computer 2000 heißt die Devise: "Das Standardzahlungsziel ist 14 Tage."

Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel - und besonders gute Aussichten haben die Händler, die sich einer Kooperation angeschlossen haben. Denn hier gilt: das Kreditlimit des einzelnen Händlers beim Distributor hängt vom Gesamtrahmen der jeweiligen Kooperation ab. Früher einmal, so erinnert sich ein Händler, habe man manchmal sogar noch Zahlungsziele von 90 Tagen erreichen können, heute seien 30 oder 40 das äußerste Maximum.

Die Empfehlung eines größeren Distributionsunternehmens: "Die Kreditlimits bei den Distis nicht zu breit streuen - wählen Sie lieber einen Hauptlieferanten aus und ziehen Sie ihn in die Projektplanung mit ein."

Händlerkooperationen bekommen die besten Beurteilungen

Denn manche Distributoren - vor allem die Broadliner - bieten neben verlängerten Zahlungszielen weitere Hilfen an. Computer 2000 beispielsweise hat ein zwölfköpfiges Projektteam unter der Leitung von Robert Aderan. Diese C2000-Abteilung stellt eine Reihe von dedizierten Finanzierungmodellen für die unterschiedlichen Handelskanäle bereit: Zahlungskonditionen, Sicherungsmodelle und Projektfinanzierungen je nach Geschäftsvolumen aufgrund von Vorgaben.

Wer Mitglied einer der vier großen Händlerkooperationen in Deutschland ist, kann sich offenbar entspannt in größere Auftragsregionen wagen. Zum einen, weil die Kooperationen bei den Lieferanten - wie erwähnt - bessere Zahlungskonditionen für ihre Mitglieder erwirken können. Zum anderen, weil dort oft Know-how dazu gesammelt und weitergegeben wird, welche Wege für die Händler am leichtesten zu beschreiten sind. In der Umfrage von ComputerPartner waren die Befragten, die ihre Vorfinanzierung zuerst mit ihrer Kooperation abgeklärt haben, am zufriedensten mit den Ergebnissen (siehe Grafik, Seite XX).

Als Dienstleistungen für ihre Mitglieder, die eine Finanzierung benötigen, bietet beispielsweise die Comteam in Lilienthal ihren Mitgliedern

- Beratung vor Ort oder in der Zentrale,

- Bilanzaufbereitung,

- Erstellung aussagefähiger Erfolgsvergleiche,

- Vorbereitung von Bankgesprächen,

- Begleitung von Bankgesprächen,

- Konditionsverhandlungen mit Lieferanten,

- Valuten und Zahlungszielverhandlungen mit den Lieferanten, bei 100 Prozent Delkredere.

Erfolgversprechend sehen auch die Angebote der Hersteller und Lieferanten aus: Sie decken ihre Handelspartner gleich mit ganzen Packen von Flyern und Prospekten ein, in denen sie ihre Finanzierungsangebote anpreisen. "Die Lieferantenkreditlinien für ein großes Projekt auszuschöpfen ist allerdings nicht besonders geschickt - da bleibt dann oft kein Spielraum mehr für das Tagesgeschäft", warnen allerdings sowohl einige Händler als auch Distributoren. Als Alternative bieten große Hersteller - allen voran IBM und Compaq- nach US-Vorbild teilweise bereits eigene Finanzierungsgesellschaften in Deutschland an (Adressen: siehe Kasten Seite XX). In Zusammenarbeit mit seinen Handelspartnern hat beispielsweise Siemens Nixdorf die ITP Finanzservice GmbH in Paderborn gegründet, um speziell für mittelständische IT-Handelshäuser Finanzierungshilfen im Projektgeschäft bieten zu können. Hewlett-Packard bewirbt sich derzeit um die Kreditvergabelizenz. Und auch die IBM hält mittlerweile spezielle Mittelstandsprogramme parat - anfangs kamen nur große Handelsunternehmen, die sogenannten "Corporate Reseller" in den Genuß der Herstellerhilfen.

Viele Hersteller halten eigene Finanzierungsgesellschaften parat

Der Vorteil dieser Programme ist vor allem der, daß man dort Ansprechpartner hat, die etwas von der Branche und von Finanzierungen verstehen und die den IT-Markt schon von Haus aus nicht als unkalkulierbares Risiko betrachten, schließlich leben sie von nichts anderem.

Den Nachteil formuliert ein Händler, der keine besonders guten Erfahrungen mit solchen Programmen gemacht hat: "Schauen Sie sich die Vertragsvereinbarungen einmal genau an - da zahlt man immer drauf. Diese Finanzdienstleister nutzen doch ganz klar das restriktive Kreditvergabeverhalten von Banken aus und verlangen viel höhere Preise für ein Darlehen. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit waren zudem wirkliche Knebelverträge noch an der Tagesordnung und heute versuchen die jeweiligen Lieferanten immer noch, ihre Systeme nach Kräften reinzudrücken."

Leasingangebote werden noch mißtrauisch beäugt

Trotzdem - unsere Umfrage ergab, daß die Herstellerangebote im Vergleich zunehmend positiv aufgenommen werden (siehe Grafik Seite XX) und daß viele Hersteller - wie beispielsweise SNI - ihrem Händler zusichern, daß sie auf seinen Wunsch hin beim Kunden überhaupt nicht in Erscheinung treten. Auch Thomas Wuttke, Mitgeschäftsführer des Karlsruher Systemhauses Dr. Westernacher GmbH, hat mit der Kreditvergabe von IBM beispielsweise sehr gute Erfahrungen gemacht. Insgesamt setzt er - je nachdem ob das Projekt ein Kundenauftrag oder ein Eigenprojekt ist - auf Finanzierungskombinationen. "Wir setzen im Jahr rund 50 Millionen Mark um - viele Aufträge können wir leicht selber finanzieren. Ansonsten: Unsere Beziehungen zur Hausbank sind gut, und von der Hardwareseite können wir eben auf die Unterstützung von IBM setzen", beschreibt er. "Die Softwareerstellung haben wir im vergangenen Jahr untervergeben an eine kleine Firma in Ungarn. Die kaufen Anteile an den Produkten und werden später am Umsatz beteiligt."

Weniger erfreulich sieht es noch bei den Leasing-Offerten der Hersteller aus. Bislang werden sie kaum von mittelständischen Unternehmen oder Vertriebspartnern genutzt (siehe auch Beitrag Seite 88). Dabei liest sich die Theorie durchaus reizvoll. "Heute werden 20 Prozent aller Rechner in Großunternehmen geleast", heißt es beispielsweise in einer Studie des Marktforschungsunternehmens Gartner Group. Und weiter: "In den kommenden zehn Jahren soll dieser Anteil auf 60 Prozent wachsen." Auch die ganze Abwicklung klingt nicht übel: "Wenn nur ein einziger IBM-PC im Auftrag enthalten ist", so wirbt beispielsweise IBM für ihr SmartLeasing, würde Big Blue das komplette Projekt als Leasingmodell für den Kunden liefern, dem Handelspartner "innerhalb von 48 Stunden und ohne Skontoabzug" den Warenwert auf sein Konto überweisen und das restliche finanzielle Handling mit dem Kunden regeln. Doch für viele Händler gibt es da noch zu viele unbekannte Größen. "Zum einen: wie soll ich dem Kunden das Leasing schmackhaft machen, wenn ich mir selber noch nicht ganz darüber im klaren bin, ob das für ihn tatsächlich auch die preisgünstigste und attraktivste Lösung ist?", fragte sich so mancher Teilnehmer der Leasing-Vorträge auf dem AKC-Kongreß im April '98 in Bremen. Zu viel sei für ihn da nicht transparent, bemängelt auch ein IT-Händler, der im Grunde gar nicht abgeneigt wäre, ein solches Modell einmal auszuprobieren. "Aber ich kann nicht auf dem Rücken meiner Kundschaft experimentieren", befindet er wohl vollkommen zu Recht. "Es hängt doch alles an den jeweiligen Laufzeiten - ist das da wirklich noch gut für meinen Kunden? Oder: kümmert sich IBM wirklich darum, wenn mal was mit einem Compaq-Rechner nicht stimmt? Wie sieht die Abschreibungsmöglichkeit für den Kunden aus? Ich komme durch das ganze Tagesgeschäft nicht dazu, mich damit derzeit näher zu beschäftigen." Seine Hoffnung: "Wenn dieses ganze Leasing mal ausgereift und im Markt etabliert ist - dann muß ich nicht so viel beim Kunden überzeugen und dann werde ich es einsetzen."

Fazit: Unsere Umfrage unter einigen mittelständischen Systemhäusern und Fachhändlern, die mit dem Projektgeschäft vertraut sind, ergab, daß die Befragten bei der Finanzierungshilfe am besten mit der Unterstützung durch Händlerkooperationen gefahren sind. Die Abwicklung über die Lieferanten wurde gerade noch mit "gut" bewertet, an letzter Stelle rangieren bei der Zufriedenheit der Händler die Banken.

In den Gesprächen mit Projektleitern in Handelsunternehmen zeigte sich dabei, daß so langsam, aber sicher die Vertrauensbasis mit den Herstellern stabiler wird. So könne von Knebelverträgen bei den großen PC-Anbietern beispielsweise nicht mehr die Rede sein. Natürlich seien die jeweiligen Lieferanten bemüht, ihre eigenen Produkte im Projekt gut vertreten zu sehen - "aber das ist Verhandlungssache, man muß sich ja nicht über den Tisch ziehen lassen", wie ein erfahrener Projektleiter feststellt. (du)

ComputerPartner befragte rund 50 deutsche Systemhäuser und IT-Händler, die - mehr oder weniger regelmäßig - Erfahrung mit Vorfinanzierung von Projekten durch Externe gemacht haben.

Das Fazit: Obwohl der erste Weg für die meisten direkt zur Hausbank führte, gelten die Herstellerangebote als die mit den besten Konditionen. Die Abwicklung letztendlich machen die Händlerkooperationen am besten.

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