Mein "Chef" heißt Kunde

24.02.2000
Kunden in Deutschland werden belehrt, erzogen, missachtet. Sicherlich kein Bild das auf alle, aber doch auf viele Einzelhandelsunternehmen zutrifft. Siegfried Olschewski* (BDVT) erklärt beispielhaft, warum der Kunde Mittelpunkt eines jeden Verkaufsgespräches sein sollte.

Entschuldigung, können Sie mir helfen? Mit diesem Satz beginnt häufig die Kommunikation zwischen dem Interessenten und dem Verkäufer. Logisch, wenn man den Verkäufer bei anderen wichtigen Tätigkeiten wie Produktbeschreibungen lesen, Regale auffüllen, rumschrauben am PC oder gar beim Plausch mit dem Kollegen stört, muss sich der Kunde für sein Fehlverhalten entschuldigen. Schließlich will er nur etwas kaufen und vom Interessenten zum Kunden "befördert" werden.

Nachdem der Interessent die Aufmerksamkeit des Verkäufers geweckt hat, beginnt dieser "Beförderungsprozess": Jetzt muss dem unwissenden oder gar dummen Interessenten erklärt werden, was es alles gibt und was gut für ihn ist. Das macht im Bereich PC und Multimedia besonders viel Spaß, denn keine Technik entwickelt sich momentan schneller und spannender. Nachdem der Verkäufer beim Interessenten seine komplette Sachkompetenz aus den letzten Produktschulungen unter Beweis gestellt hat, ist die Verwirrung komplett. Der Interessent versteht kaum etwas oder überhaupt nichts mehr und kommt sich ziemlich "doof" vor. Der Verkäufer wundert sich, warum ihm die "Beförderung" vom Interessenten zum Kunden nicht gelungen ist.

"Muss ich mir überlegen. Geben Sie mir mal Prospekte mit", damit enden solche überwiegend produktorientierten Monologe häufig. Im Zweifelsfall kauft der Kunde dann jedoch woanders. Die geschilderte Situation spiegelt den Alltag im Einzelhandel wieder.

Warum ist das so?

Es ist völlig falsch, auf den Verkäufern herumzuprügeln, denn die Verkäufer machen nichts falsch, sie machen vielmehr in den meisten Fällen genau das, was sie gelernt haben: Produkte anbieten und erklären.

Woran liegt das?

Das Aus- und Weiterbildungssystem in Deutschland ist stark produktorientiert und nicht mehr zeitgemäß. Das fängt in der Berufsschule an und hört im Betrieb auf. Viele Unternehmen propagieren Kundenorientierung, praktizieren sie aber nicht. Diese Firmen outen sich frühestens in der Werbung (fast ausschließliche Darstellung von Produkten und Preis), spätestens aber mit dem Verhalten der Mitarbeiter im Unternehmen.

Eigentlich logisch, wenn bis zu fünf Prozent des Umsatzes in Werbung, um Interessenten in das Geschäft zu holen, aber teilweise nur 0,1 Prozent (!) in Personalentwicklung investiert werden, um aus den Interessenten echte Kunden zu machen. Ein Schiff, das ungleichmäßig beladen wird, gerät in Schieflage.

Was ist Kundenorientierung?

- Erfolg beginnt im Kopf, Kundenorientierung beginnt im Kopf des Kunden.

- Kein Kunde kauft einen Preis, er entscheidet, ob das, was er bekommt, seinen Preis wert ist.

Was ist dem Kunden etwas wert?

Das hängt vom Typ und seinen Kaufmotiven ab, beispielsweise Sicherheit, Bequemlichkeit, Prestige, Umwelt, Sparsamkeit und so weiter.

Um das herauszubekommen, muss der Verkäufer auf den Kunden eingehen. Der Kunde ist immer im Mittelpunkt des Geschehens, seine Wünsche und sein Wohlbefinden sind maßgebend, das Produkt und die Technik sind erst einmal sekundär.

Das beginnt schon beim Erstkontakt mit dem Interessenten. Kundenorientierung bedeutet: sich am Kunden orientieren, also ihn wahrnehmen.

Wenn der Verkäufer andere Dinge zu tun hat, wird oder will er den Interessenten nicht wahrnehmen, denn sein Chef beurteilt ihn nach den Tätigkeiten die quantitativ und zeitmäßig zu kontrollieren sind. Der Mitarbeiter will schließlich gelobt und nicht getadelt werden.

Verkaufen ist Kommunikation und nicht Produkterklärung

Weg vom Sachverständigen im Verkauf, der viel erklärt - hin zum Verkäufer mit Sachverstand, der gut verkauft.

Was ist Kommunikation?

Kommunikation ist die Basis des Verstehens und Verstandenwerdens: Senden und empfangen, empfangen und senden.

Die Formeln lauten:

1. Der Verkäufer sendet, was Empfänger (Interessent) nicht versteht = Kommunikationsproblem = Einwände

2. Empfänger (Verkäufer) lässt Interessenten nicht senden (fragt zu wenig, redet zu viel) = Kommunikationsproblem = Einwände

Die Ursache: Verkäufer beherrschen den Umgang mit den Produkten wesentlich besser als mit Menschen. Sie lernen fast perfekt, wie ein PC funktioniert, wissen aber oft nicht, dass ein Mensch auch in Bildern denkt und nicht in Speicherkennziffern.

Kundenorientierung funktioniert nicht per Anweisung

Kundenorientierung sollte persönliche Berufsphilosophie und Firmenstrategie sein. Kundenorientierung muss gelebt, erlebt und vorgelebt werden.

Vertriebskräfte, die ihren Betrieb oder ihre Filiale aus ihrem Büro oder "Glaskasten" verwalten, verlieren nicht nur die Nähe zu ihren Mitarbeitern, sondern auch zu ihrem "Chef", dem Kunden. Solange Führungs- und Vertriebskräfte ihre Kunden nicht mindestens genauso lieb haben wie ihre Produkte, werden wir keine kundenorientierte Unternehmenskultur in Deutschland haben.

Der Kunde will nicht belehrt, erzogen oder abgefertigt, sondern verstanden und freundlich - also wie ein Freund -behandelt werden. Freunde stören nicht, brauchen sich also auch nicht entschuldigen, wenn sie Rat bei einem Verkäufer suchen.

Die Unternehmen, die verstanden haben, dass sie letztendlich vom Kunden und nicht von der Bank, der Technik und ihren Produkten bezahlt werden, sind am Ende die Gewinner.

*Siegfried Olschewski ist Geschäftsführer und Verkaufstrainer der Manuela Olschewski Unternehmensberatung GmbH in Berlin.

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