Messe-Highlight Windows CE 2.0: Neuer Anlauf für Taschencomputer

03.06.1998

MÜNCHEN/HANNOVER: Eines der großen Highlights der CeBIT werden kleine Taschencomputer basierend auf Windows CE 2.0 sein. So lautet zumindest die Meinung der Hersteller. Doch die Frage heißt: Bringt das neue MS-Betriebssystem den Markt für Handheld-PCs endlich einmal auf Touren? Angesichts des letzten Geschäftsjahres darf das bezweifelt werden.

Microsoft ist bescheiden geworden. Bereits die Auslieferung von 500.000 Geräten der HPC-Klasse (Handheld-PC als Weiterentwicklung der PDAs (Portable Digital Assistent) ausgestattet

mit Microsofts Mini-Betriebssystem Windows CE 1.0, reicht den Redmondern zum Feiern. So geschehen Anfang Februar 1998. Eine amerikanische Fachzeitschrift zweifelt indes an den MS-Angaben. Abzüglich aller Frei- und Testexemplare seien nur 300.000 Geräte tatsächlich verkauft worden. Bei derzeit sechs aktiven Herstellern in diesem Markt macht das 50.000 Geräte weltweit pro Hersteller. Eine bescheidene Zahl, wenn man an die Ergebnisse denkt, die Microsoft und Partner sonst zu vermelden haben.

Bei den Herstellern der ersten Stunde, namentlich Casio und Philips, regt sich Groll gegenüber dem großen Softwarepartner. Mangelhaftes Marketing, fehlende Vertriebsunterstützung und sogar ein unausgegorenes Produkt wird Microsoft vorgeworfen. Philips vertagte gar die Auslieferung des Velo 1 hierzulande so lange, bis er jetzt von seinem eigenen Nachfolger, dem Velo 500 überholt wurde. "Das ist alles äußerst unglücklich gelaufen", faßt Philips' externer Sprecher Petri die Lage zusammen. Seine Agentur mußte zum ausgelieferten Testprodukt Velo 1 stets anmerken, daß er so nicht auf den Markt kommen würde.

Nicht genug also damit, daß der Markt für Kleinstrechner ohnehin kein leichter ist. Vermarktungsfehler auf verschiedenen Seiten verunsichern die Kunden zusätzlich. Apple hat das beim selbstentwickelten Message-Pad in den letzten Jahren auch merken müssen: Der ehemalige Newton gilt als Synonym für technologische Brillanz, die am Markt vorbei produziert wurde.

Gleichzeitig haben sich einige kleinere Anbieter in diesem Segment angesiedelt, die mit offenen Armen die ihnen zugetriebenen Kunden entgegennehmen. Allen voran 3Com, die mit ihrem Palm-Pilot den Markt dominieren und eigenen Angaben zufolge im letzten Jahr viermal so viel Pilots auf den Markt gebracht haben, wie Windows CE-Maschinen verkauft wurden. Auch Texas Instruments sonnt sich mit seinem Avigo im Erfolg. Dauerherausforderer Psion hatte sogar Zeit, eigene Vermarktungsschwächen beim "Serie 5" auszubügeln und Internet-, Fax- und E-Mail-Software nachzuliefern.

Beim nächsten CE wird alles anders

Zur CeBIT - verspricht Microsoft - wird alles anders. Das Update Windows CE 2.0 ist auf dem Markt. Es räumt mit einer Reihe gravierender Mängel auf, die seinen Vorgänger aus der Bahn warfen, beispielsweise die mangelnde Fähigkeit, drucken zu können. Wer einen CE-Rechner der ersten Stunde besaß, mußte Dokumente erst auf einen Desktop-Rechner überspielen, um sie von dort zum Drucker zu schicken. Kurz: mobile Computing at its best.

Neben der Mängelbeseitigung verfügt Windows CE 2.0 über eine Reihe neuer Funktionen und Applikationen, die dem System einen erheblichen Mehrwert verpassen. Allem voran will da die Miniversion von Power-Point genannt werden. Damit lassen sich Präsentationen auf den CE laden, mitnehmen und vor Ort unter Zuhilfenahme eines VGA-Beamers dem Publikum vorführen.

Auch die Hardware-Hersteller waren nicht ganz untätig. Der bei den meisten CE-1.0-Geräten bemängelte RAM-Speicher wurde überall erweitert. Zwar gibt es Maschinen mit nur 2-MB-RAM auf dem Markt, empfehlenswert sind aber nur Handhelds mit 4-MB oder mehr. HP und auch Sharp bieten zur CeBIT sogar erstmals Geräte mit farbigem Display an. Allerdings ist hier Vorsicht angesagt: Farbige LCDs sind Batterienfresser. Mehr als 15 Stunden halten die Lithium-Akkus bei Sharp nicht.

Überhaupt sind mit HP und Sharp zwei neue Anbieter zum CE-Lager konvertiert, die einiges auf dem Markt zu sagen haben. Sharp hält

seit jeher bei elektronischen Organizern die Marktführerschaft. HP brachte vor zwei Jahren mit dem 200LX einen vielversprechenden HPC mit eigenem Betriebssystem heraus. Der Übertritt dieser Unternehmen zu Microsoft hat Folgen: Beide werden ihren eigenen High-end-Produkten Konkurrenz machen. HP eben dem 200 LX und Sharp dem wenig erfolgreichen Zaurus (Familie Z9xxx).

Weitere Hersteller, die zur CeBIT Windows CE 2.0 zeigen werden, sind Casio, LG Electronics (Goldstar), Hitachi, Compaq und NEC. Wobei NEC wieder einmal eine Nische entdeckt haben will: Der MobilePro 700, den man auf der Comdex in Las Vegas zeigte, ist deutlich größer als die CE-Konkurrenz und dringt eher in den Bereich der Sub-Notebooks wie etwa dem Libretto von Toshiba vor. Allerdings hält sich die französische Europa-Zentrale von Packard Bell NEC - verantwortlich für den Vertrieb aller NEC-PCs - derzeit bedeckt, ob man den Mobile-Pro 700 in Deutschland überhaupt auf die Kundschaft losläßt. Fest steht dagegen, daß der Mobile-Pro 450 vom Markt verschwindet.

Das ist neu in Windows CE

Wie bereits erwähnt weist Windows CE 2.0 eine Reihe von Neuerungen auf, die dem System durchaus gut zu Gesicht stehen.

- Betriebssystem

Zunächst die schlechte Nachricht: CE 2.0 benötigt deutlich mehr Speicher als sein Vorgänger. Ausstattungen bis 16 MB, die auch einem Desktop-PC gut stehen, sind keine Seltenheit mehr und werden auch ausgereizt.

Neu ist jetzt die Druckerunterstützung. Zwar besitzen die Geräte keine Druckeranschlüsse, doch kann der Anwender durch die serielle Schnittstelle oder via Infrarot Daten an einen Drucker schicken.

Neu ist auch die Möglichkeit, mit LAN-PC-Cards umgehen zu können. In Windows CE 1.0 mußte die Netzwerkanbindung über das TCP/IP-Protokoll und eine DFÜ-Verbindung eingerichtet werden. Jetzt gilt LAN-Standard. Das ist ein deutlicher Tribut an den Corporate-Markt, aus dem zum Beispiel Hewlett-Packard vermehrt Anfragen registriert.

Die Engine von Windows CE 2.0 ist inzwischen in der Lage, mit Java und VB-Script umzugehen. Noch bleiben es aber die Applikationen schuldig.

- Synchronisierung

Ein wichtiges Manko des alten CE-Systems war die fehlende direkte Synchronisierung zum PC. Zwar konnte der Anwender Daten auf den Desktop-Rechner verschieben und menügestützte Backups vornehmen, doch das genügte den meisten nicht. Abgeschaut hat Microsoft jetzt bei 3Com. Der Palm-Pilot bietet dem Benutzer mit seiner Hot-Sync-Funktion die Möglichkeit, alle wichtigen variablen Daten wie Mails, Adressen und Termine mit einem Knopfdruck zu synchronisieren. Der Benutzer braucht sich überhaupt nicht um die Integrität der Daten zu kümmern. Bei Microsoft heißt diese Funktion Active-Sync: Auf dem Desktop-PC wird die gesamte Festplatte des Handheld-PCs abgebildet und stets beim Verbinden der beiden Rechner abgeglichen. Der Benutzer sieht in seinem Explorer also nun zwei neue Laufwerke: das des HPC und dessen Spiegelung.

- Neue Anwendungen

Wichtige Neuerungen fanden auch bei den Programmen statt. Die bekannten Anwendungen Pocket-Word und Pocket-Excel wurden in ihrer Funktionalität ergänzt. Pocket-Word verfügt jetzt über eine Rechtschreib-Prüfung (Serie 5 von Psion hat diese seit Juli 1997), die Fähigkeit mit TrueType-Fonts umgehen zu können und einige Kleinigkeiten wie eine Zoom-Funktion. Was dem Produkt nach wie vor fehlt, ist die OLE-Unterstützung, um zum Beispiel Excel-Tabellen in einem Word-Dokument anzeigen zu können.

Pocket-Excel kann jetzt mit Datenbanken umgehen. Über Sortierungen und Filter können Abfragen gesteuert werden. Noch ist das Programm aber nicht fähig, Makros abzuarbeiten.

Pocket-Powerpoint ist die wichtigste Neuerung. Im Entwicklungsstadium hieß das Produkt einmal Powerpoint Viewer, und das trifft den Nagel eher auf den Kopf: Das Progrämmchen ist zwar in der Lage, fertige Präsentationen zu öffnen und abzuspielen, bearbeiten kann man sie aber nicht. Dennoch: Ausgestattet mit genug Speicher wird es für Präsentationsreisende etwas weniger beschwerlich, das Arbeitsgerät mitzunehmen.

Detailverbesserungen hat Pocket-Outlook erfahren. Ohne Zweifel ist das Mail-Programm eine sehr wichtige Anwendung im Mobilgerät. In der neuen Version kann Outlook nun auch binäre Anhänge verarbeiten. Beispielsweise wird eine zugeschickte Präsentation dekodiert und automatisch in das richtige Format gebracht, um per Pocket-

Powerpoint dargestellt zu werden. Solche Importfilter gibt es aber nur für Office-97-Anwendungen.

Marketing und Marktchancen

Worauf begründet sich die Hoffnung Microsofts und seiner Koalitionäre, Windows CE 2.0 würde dem Markt für Kleincomputer endlich zum Durchbruch verhelfen? Schließlich wird dieser Durchbruch seit nunmehr fünf Jahren herbeigesehnt. Zunächst: Der schon damals prognostizierte Markt für mobile Anwendungen hat sich in der Tat entwickelt. Die eine Hälfte der Mobilisten benutzt ein sperriges Notebook, verfügt dafür aber über den kompletten Arbeitsplatz, auch unterwegs. Die andere Hälfte arbeitet mit Zwischenlösungen: Newton, Zaurus, Psion Serie 3, 200LX und natürlich Palm-Pilot von 3Com. So gesehen gibt der Markt also schon heute ein gewisses Potential her. Was freilich fehlt, ist die tiefe Erkenntnis beim Anwender, was er mit einem Produkt basierend auf CE 2.0 alles machen kann. Geschätzt 90 Prozent aller Büroanwendungen werden damit ermöglicht. Und das Ganze im Look-And-Feel von Windows 95. Die Einarbeitungszeit wird auf ein Minimum verkürzt. Hier ist Microsofts Marketing-Maschinerie gefragt. Sobald die in Schwung kommt, werden Heerscharen von Entwicklern ihre Anwendungen auf CE portieren und dem Produkt damit eine enorme Bandbreite verschaffen.

CE 2.0 hat allerdings auch Fallstricke: Der schnell steigende Hardwarebedarf legt die Überlegung nahe, wie gut der Microsoft-Support wirklich sein wird.

Außerdem ist es den Entwicklern nicht gelungen, Mängel von Windows 95 auszumerzen. So ist das Einrichten einer Internet-Verbindung unter Windows CE ein echter Kraftakt.

Der Desktop von Windows CE ähnelt Win 95 bis auf das Power-Management rechts unten.

Das High-end-Gerät von Sharp, der HC 4500, besticht durch ein Farb-Display und die optionale Digital-Kamera. Preis: 1.999 Mark.

Das Präsentationsprogramm ist eine der wichtigsten Neuerungen in CE 2.0.

Der Mail-Client kann jetzt auch mit Attachements umgehen.

*Frank Puscher Der Autor ist freier Fachjournalist in München.

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