Microsofts Vertriebsbeschränkungen sind Rechtsanwalt ein Dorn im Auge

14.06.1996
MÜNCHEN: Microsoft legt in einer deutschlandweiten Kampagne gegen Raubkopierer und sogenanntes OEM-Unbundling viel Eifer an den Tag. Massenweise werden nach Testeinkäufen Händlern Abmahnschreiben zugestellt, einige sogar vor Gericht gebracht. Der Münchener Rechtsanwalt Andreas Witte nimmt die Wiederverkäufer in Schutz, denn er hält Microsofts Vertriebsbeschränkungen für rechtswidrig. ComputerPartner-Redakteur Christian Meyer ließ sich von dem Juristen erklären, wie sich Wiederverkäufer verhalten sollen.? Microsoft legt einem Großteil seiner Software Vertriebsbeschränkungen auf. So dürfen einige Produkte beispielsweise nur in Verbindung mit einem PC verkauft werden, sogenannte Schulversionen nur gegen Vorlage einer Bescheinigung und Updates prinzipiell nur an Kunden weitergegeben werden, die den Nachweis erbringen können, bereits im Besitz einer älteren Programmversion zu sein. Sind diese Vertriebsbeschränkungen rechtlich unbedenklich?

MÜNCHEN: Microsoft legt in einer deutschlandweiten Kampagne gegen Raubkopierer und sogenanntes OEM-Unbundling viel Eifer an den Tag. Massenweise werden nach Testeinkäufen Händlern Abmahnschreiben zugestellt, einige sogar vor Gericht gebracht. Der Münchener Rechtsanwalt Andreas Witte nimmt die Wiederverkäufer in Schutz, denn er hält Microsofts Vertriebsbeschränkungen für rechtswidrig. ComputerPartner-Redakteur Christian Meyer ließ sich von dem Juristen erklären, wie sich Wiederverkäufer verhalten sollen.? Microsoft legt einem Großteil seiner Software Vertriebsbeschränkungen auf. So dürfen einige Produkte beispielsweise nur in Verbindung mit einem PC verkauft werden, sogenannte Schulversionen nur gegen Vorlage einer Bescheinigung und Updates prinzipiell nur an Kunden weitergegeben werden, die den Nachweis erbringen können, bereits im Besitz einer älteren Programmversion zu sein. Sind diese Vertriebsbeschränkungen rechtlich unbedenklich?

WITTE Das Urheberrecht hat grundsätzlich kraft Gesetz Wirkung gegenüber jedermann. Vertriebsbeschränkungen hingegen sind im Vertragsrecht anzusiedeln, und Verträge haben bekanntlich nur Wirkung zwischen den Parteien, die sie schließen. Microsoft pocht bei den ausgesprochenen Vertriebsbeschränkungen stets auf das Urheberrecht. Und das, obwohl mit dem einzelnen Händler kein separater Vertrag besteht. Vertriebsbeschränkungen haben generell keine urheberrechtliche Wirkung. Zwar kann beispielsweise der Vertrieb von Produktlizenzen zeitlich eingeschränkt werden oder auf bestimmte geographische Gebiete festgesetzt werden, aber bei Software haben wir seit 1993 ein einheitliches europäisches Recht. Der Paragraph 69, Absatz 1 Nummer 3 Satz 2 Urhebergesetz legt eindeutig fest, daß Software, die durch Verkauf erstmals in der Europäischen Union in Verkehr gebracht wurde, im weiteren Vertrieb generell nicht mehr beschränkt werden darf. Damit will man den freien Warenverkehr innerhalb der EU gewährleisten und diskriminierende Handelsbeschränkungen abbauen. Und alle Lizenzalternativen, die Microsoft anwendet, sind als solche Vertriebsbeschränkungen einzustufen, die gegen diesen Paragraphen verstoßen. Und zwar wie folgt: Der Vertrieb von OEM-Produkten mit der Auflage, diese nur in Verbindung mit einem PC zu verkaufen, bedeutet eine Vertriebsbeschränkung, dahingehend, daß das Produkt nur zusammen mit einer fremden Ware verkauft werden darf. Man spricht hier von einer Koppelung eines Produktes. Im Fall der Schulversion, die sich technisch gesehen überhaupt nicht von einer Vollversion unterscheidet, wird der Vertrieb so eingeschränkt, daß der Wiederverkäufer sie nur an einen Schüler abgeben darf, die Vertriebsbeschränkung ist hier personengebunden. Was den Verkauf von Updates anbelangt - ich unterstelle auch hier die technische Gleichwertigkeit, denn aus produktionstechnischen Gründen kommt die Software vom gleichen Fließband, lediglich die Pappschachtel ist eine andere - ist ebenfalls einer Beschränkung unterlegen. Denn hier lautet die Auflage an den Händler: Du darfst diese Software nur an einen Kunden verkaufen, der schon ein anderes Microsoft-Produkt besitzt. Hier treffen wir auf eine Mischform, einer personen- und umstandsgebundenen Vertriebsbeschränkung.

Alle diese Klauseln haben also gemeinsam, daß sie letztlich nichts mit dem Produkt selbst zu tun haben, sondern mit äußeren Umständen. Und genau diese Einschränkungen sind diesem neuen Paragraphen fremd. Mit anderen Worten: Diese Auflagen haben keinerlei urheberrechtliche Wirkung. Damit diese Beschränkung trotzdem wirksam wären, müßte Microsoft mit jedem einzelnen Händler einen Vertrag schließen. Und selbst wenn es solche Verträge gäbe, müßte weiterhin geprüft werden, ob dieser Vertrag nicht gegen das AGB-Gesetz verstößt. Im Juristenjargon reden wir dann über eine sogenannte Preisbindung der zweiten Kategorie. Die erste Ebene - der Hersteller - beschränkt die zweite Ebene - den Händler - in seiner Vertriebsfreiheit. Das will man aber nach deutschem Recht ganz bewußt vermeiden.

? Microsoft erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, daß Wiederverkäufer, die sich nicht an ihre Vertriebspolitik halten, Raubkopierer seien und als solche strafrechtlich verfolgt werden müssen. Teilen Sie diese Rechtsauffassung?

WITTE Nein. Generell kann man zwar sagen, daß ein Verstoß gegen das urheberrechtliche Verbreitungsrecht, also das Weitergaberecht, genauso zu sehen ist wie ein Verstoß gegen das Vervielfältigungsverbot, denn beide Verstöße sind in den gleichen Paragraphen geahndet und werden auch unter die gleichen Rechtsfolgen und Strafen gestellt. Aber: Vertriebsbeschränkungen kommen letztlich aus einer vertraglichen Ebene, während Raubkopien schon immer einen kriminellen Hintergrund haben. Deswegen ist diese Form der Darstellung mehr als verwerflich. Man kann Leute, die einen Vertrag nicht verstanden haben oder sich sogar im Recht fühlen, nicht in einen Topf mit Raubkopierern werfen.

? Microsoft stützt sich in seiner Argumentation seiner Vertriebseinschränkungen vornehmlich auf ein in Berlin gefälltes Urteil. Worum ging es in diesem Prozeß?

WITTE In dem Berliner Urteil ging es um den Einzelverkauf von hardwaregebundener OEM-Versionen. Dem Händler wurde der Einzelverkauf gerichtlich untersagt. Dieser hatte, wie kaum ein anderer, zwar keinen Vertrag mit Microsoft, aber das Gericht war der Auffassung, daß dieser Einzelverkauf gegen das Urheberrecht verstößt. Ich halte diese Entscheidung jedoch für falsch. Denn auch hier ist nach der genannten Rechtsnorm durch den Erstverkauf in der Europäischen Union das Verbreitungsrecht bereits erschöpft, das ganz klar verhindern will, daß der Weitervertrieb und der freie Warenverkehr beschränkt wird. Und deswegen darf ein Händler mit dem Produkt machen, was er will. Er darf es nicht vervielfältigen, denn das käme einer Raubkopie gleich. Er darf es aber weiterverkaufen, denn der Urheber hat durch den erstmaligen Verkauf seine Lizenzgebühr bereits bekommen.

? Sie halten also das Berliner Urteil für eine Fehlentscheidung?

WITTE Ja. Es beruht auf einem Rechtsgedanken, der zwanzig Jahre alt ist und vom Bundesgerichtshof beim Thema Taschenbuchlizenzen schon einmal angewandt wurde. In der Buchbranche gab es damals Fälle von abgetrennten und abspaltbaren Märkten. Billige Paperbackausgaben landeten in Buchklubs und bei Kaffeeröstern, während die Luxusausgaben nur im Sortimentsbuchhandel zu haben war, die bekanntlich mit Preisbindung arbeiten. Und durch diese Preisbindung, die letztlich kartellrechtlich von Interesse ist, hat man aber immer gesagt, man müsse den Buchhandel schützen und die Preise auf einem Mindestniveau halten, damit sich die Bevölkerung kulturell uneingeschränkt weiterbilden kann. Es sollte eben nicht passieren, daß die Preisgestaltung dem freien Markt überlassen wird. Hier lag also eine ganz spezielle Situation vor. Wir haben aber im Bereich der Software keine abspaltbaren Märkte, denn schließlich kommt niemand auf die Idee, besonders luxuriös ausgestattete Disketten zu sammeln, was einen eigenen Markt rechtfertigen würde. Sondern der Kunde hat ausschließlich ein Interesse daran, daß die Software läuft. Wir unterscheiden also auf dem Softwaremarkt nicht zwischen Luxusausgaben und Paperbackausgaben, denn das Material hat keinen eigenständigen Wert. Deswegen kann man diese Märkte nicht auftrennen und man kann im tatsächlichen Einsatz keinen eigenen Markt für OEM-Produkte und einen für Vollprodukte erkennen. Beide werden vom gleichen Kundenkreis gekauft, und es gibt keine Rechtfertigung, hier mit urheberrechtlicher Wirkung Märkte aufspalten zu wollen.

? In einem zweiten Urteil, das anläßlich eines Rechtsstreites zwischen Microsoft und der Seemüller GmbH in München gefällt wurde, ging es zu Gunsten des Händlers aus. Wie war der Fall dort gelagert?

witte Der Vorwurf lautete damals, daß Seemüller eine Schulversion an einen Nicht-Schüler verkauft hat. Wir hatten es hier also mit einer personengebundenen Vertriebsbeschränkung zu tun. Das Gericht hat der Firma Seemüller dieses Recht eingeräumt mit der Begründung, daß diese Beschränkung eben keine urheberrechtliche Wirkung habe. Das Gericht hat dort den Erschöpfungsgrundsatz nach dem Paragraphen

69a des Urhebergesetzes angewandt. Der Hersteller hat das Produkt einmal verkauft, und somit ist das Verbreitungsgesetz erschöpft. Der Händler kann es also weiterverkaufen an wen immer er will. Die Entscheidung ist vollkommen richtig, und das Gericht hat sich auch keine längeren Gedanken darüber gemacht. Mußte es auch gar nicht, weil das ein ganz klarer Rechtsgrundsatz ist.

? Wie sind diese widersprüchlichen Urteile in ihren Ergebnissen zu bewerten, und was heißt das in der Praxis?

witte Solche Urteile haben nur Wirkung zwischen den Streitparteien. Ein älterer Rechtsspruch kann zwar in einem späteren Rechtsstreit zur Argumentation herangezogen

werden, es bindet aber die Richter nicht. Urteile haben nur eine faktische Wirkung, wenn sie einmal vom Bundesgerichtshof in dritter Instanz bestätigt wurden, denn dann kann man davon ausgehen, daß die rechtlichen Argumente in jede Richtung so gut überprüft wurden, daß dann eine lupenreine Rechtsmeinung vorliegt und in weiteren Urteilen vertreten wird.

? Händler brauchen sich von dem Berliner Urteil also keineswegs einschüchtern lassen.

WITTE Nein. Jeder Einzelfall wird neu entschieden und es kann durchaus sein, daß ein Händler, der sich weiterhin gegen solche Angriffe wehrt, vor einem anderen Gericht obsiegt.

? Die Rechtsanwaltskanzlei, mit der Microsoft zusammenarbeitet, übt sich derzeit im Versand von Abmahnungen, und viele Händler bekommen nach einem Besuch eines Testkäufers diese unliebsame Post. Wie sollte sich der Wiederverkäufer am besten verhalten?

WITTE Zunächst sollte er sich in anwaltliche Beratung begeben und die im Abmahnschreiben aufgeführten Fristen beachten. Er soll sich rechtzeitig bei seinem Anwalt melden, damit dieser noch retten kann, was zu retten ist. Der Anwalt sollte anschließend beim zuständigen Gericht eine sogenannte Schutzschrift einreichen, damit auf keinen Fall eine Unterlassungsverfügung ohne Wissen des Händlers ergehen kann. In dem Fall, in dem eine Unterlassungsverfügung beantragt wird und eine Schutzschrift vorliegt, kommt es normalerweise immer zu einer mündlichen Verhandlung. Ein Gerichtsverfahren kann also nicht unterbunden werden. Aber im Gerichtsverfahren erhält der Händler die Möglichkeit, sich angemessen zu verteidigen, und kann erreichen, daß der Antrag zurückgewiesen wird. Der Fall Seemüller hat gezeigt, daß die Aussichten hierbei durchaus erfolgsversprechend sind.

? Ihrer Auffassung nach kann der Händler den Vertrieb von Microsoft-Produkten nach wie vor frei gestalten?

WITTE Ja. Solange der Händler keine Abmahnung erhält, passiert sowieso nichts. Wenn er beweisen kann, daß Microsoft über einen längeren Zeitraum von der Vertriebspraktik wußte und nichts unternommen hat, dann verwirken auch Rechte aus dem UWG, dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Es gibt eine Marktbeobachtungspflicht, doch mir scheint, daß Microsoft diese Pflicht momentan sehr ernst nimmt, was die ständigen Testkäufe belegen. Allerdings ist, bevor man eine Abmahnung erhält, kein Handlungsbedarf gegeben. Man kann diese Produkte wie bisher weitervertreiben und sollte versuchen, falls es zu einem Rechtsstreit kommt, sich durch geeignete anwaltliche Beratung abzusichern, damit man dann auch vor Gericht obsiegt.

? Sie haben schon einige dieser Abmahnungen zu lesen bekommen. Was beinhalten diese Schreiben zumeist?

WITTE Dort sind leider viele Dinge zu lesen, die dort absolut nichts zu suchen haben. Eine Abmahnung soll nur den konkreten Vorwurf beschreiben - den Rechtsverstoß, den der Händler begangen haben soll - um ihm Gelegenheit zu geben, sich durch diese strafbewährte Unterlassungserklärung zu verpflichten, dies künftig nicht mehr zu tun. In eine solche Unterlassungserklärung gehören aber nicht die Anerkennungsfloskeln von Schadensersatz- oder sogar Anwaltskostenansprüche. So etwas muß der Händler auch nicht unterschreiben. Man sollte diese Unterlassungserklärung um die entsprechenden Passagen kürzen.

? Sind diesen Abmahnschreiben teilweise tatsächlich Rechnungen der Anwaltskanzlei von Microsoft beigefügt?

WITTE Ja. Diese Rechnungen sollte man aber auf keinen Fall bezahlen und auch keine Anerkennung unterschreiben. Leider lassen sich viele Händler durch solche Geldforderungen einschüchtern. Das weiß die Rechtsanwaltskanzlei von Microsoft natürlich auch.

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