Mit dem Kauf von Digital springt Compaq an die Weltspitze der IT

02.06.1998

MÜNCHEN: Compaq wirft endgültig sein Kistenschieber-Image ab. Für 9,6 Milliarden schluckt der weltgrößte PC-Bauer Digital Equipment, Minicomputer-Krösus vergangener Zeiten. Stimmen Digital-Aktionäre und Kartellwächter der Akquisition zu, ist dies der Mega-Deal schlechthin in der IT-Geschichte und katapultiert Compaq ins Führungstrio der größten Computerunternehmen der Welt.Wir sind schlagartig dort, wozu wir mit Wachstum aus eigener Kraft viel länger gebraucht hätten." Noch immer steht Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer die Zufriedenheit über den Digital-Coup ins Gesicht geschrieben. Anfang vergangenen Jahres hatte der ehrgeizige Deutsche verkündet, Compaq bis zum Jahr 2000 mit einem Umsatz von 40 Milliarden Dollar unter die drei größten Computerunternehmen der Welt führen zu wollen. Wenige Monate später kaufte er Tandem Computers und schraubte das Umsatzziel auf 50 Milliarden Dollar hoch. Jetzt ist der frühere PC-Edelcloner quasi übers Wochenende zum zweitgrößten Computerkonzern der Welt aufgestiegen. Durch den tolldreisten Digital-Kauf kommt Compaq auf einen Umsatz von 37,6 Milliarden Dollar und zählt damit endgültig zur "belle etage" der IT-Industrie - mit Appetit auf mehr. Denn schon jetzt, so spekulieren zumindes einige Analysten, haben die Texaner den großen Rivalen IBM ins Visier genommen. Zwar dürfte der Computerriese aus Armonk mit einem im vergangenen Jahr erzielten Umsatz von 78 Milliarden Dollar noch gelassen auf die heranstürmenden Texaner schielen, doch wenn Compaq die Digital-Integration gelingt und das Wachstumstempo der vergangenen Jahre auch in Zukunft durchhält, könnte IBMs Thron bald wackeln.

Seit Pfeiffer das Zepter in Houston schwingt, glänzt die PC-Schmiede mit üppigen zweistelligen Wachstumsraten - nach 4,1 Milliarden Dollar Umsatz 1992, dem ersten vollen Geschäftsjahr unter der Leitung des Deutschen, verzeichnete man 1997 satte 24,6 Milliarden Dollar (inklusive Tandem-Umsatz). Big Blue dagegen wächst zwar solide, aber fast durchweg nur einstellig. So konstatiert denn auch Frank Gens, Senior Analyst beim US-Marktforscher IDC: "IBM setzte bisher mehr auf Ertrags- statt auf Umsatzwachstum. Deshalb sollte sich Louis Gerstner ernsthaft damit befassen, daß Compaq an Big Blue vorbeiziehen könnte. Denn Eckhard Pfeiffer will die Nummer eins der Welt werden." Schon jetzt sieht Hewlett-Packard nur noch die Rücklichter von Compaq. Insiderschätzungen zufolge - HP selbst hält sich seit jeher mit konkreten Zahlen zum IT-Geschäft zurück - beliefen sich die IT-Einnahmen des nunmehr drittplazierten kalifornischen Elektronik- und Computerkonzerns im zurückliegenden Geschäftsjahr (endete 31. Oktober 1997) auf etwa 34,6 Milliarden Dollar (von insgesamt 42,9 Milliarden).

Dickes Kundenpolster

Compaq, 1997 laut US-Marktforscher IDC mit zehn Millionen verkauften PCs und einem Marktanteil von 12,6 Prozent weiterhin PC-Weltmarktführer geblieben, hat aber nicht nur in puncto Umsatz durch Digital einen Riesensatz nach vorn gemacht. Vielmehr gewinnt die PC-Schmiede eine Kundenbasis hinzu, die zu den größten der Welt gehört. Darüber hinaus haben die Texaner nunmehr die Tür zum High-end-Bereich des Enterprise-Computings weit aufgestoßen, nachdem man sich dafür mit Tandem als Spezialist für ausfallsichere Rechner bereits die Eintrittskarte gekauft hatte. Bestätigt Pfeiffer: "Die Kundenbasis, die Digital in den vergangenen 40 Jahren aufgebaut hat, stellt einen immensen Wert dar. Wir werden alles daran setzen, diese zu erhalten und auszubauen." Dafür sieht er gute Chancen. Denn Pfeiffer ist fest überzeugt davon, daß durch die Übernahme das Vertrauen der Kunden in Digital wieder wächst. "Viele waren in den vergangenen Jahren hinsichtlich Digitals Zukunft verunsichert. Deshalb haben sie bei anstehenden Investitionen oftmals die Produkte anderer Hersteller vorgezogen. Das wird sich nun ändern." Auch gegenüber Tandem seien die Kunden viel aufgeschlossener, seit Compaq das Unternehmen übernommen habe, schiebt er nach. Neben dem dicken Kundenpolster hat es Pfeiffer vor allem Digitals unbestrittene Stärke im Service- und Projektgeschäft angetan. Durch die Übernahme gewinnen die Texaner mit einem Schlag dieses lukrative Business-Segment hinzu, das bei Digital bereits seit vielen Jahren die Bank schlechthin ist. Im Geschäftsjahr 1996/97 (30.6.) steuerte der Servicebereich rund 5,8 Milliarden Dollar zum Gesamtumsatz von gut 13 Milliarden Dollar bei. "Aus eigener Kraft hätten wir es nicht geschafft, ein solches Geschäft innerhalb von zwei Jahren aufzubauen", gesteht der Compaq-Chef. Darüber hinaus sei Compaq nun auch technologisch ganz vorne mit dabei. Mit dem Alpha-Chip sei man derzeit konkurrenzlos. Daß die amerkanischen Kartellbehörden aufgrund der jüngsten Entwicklung nun die Übernahme der Alpha-Chip-Produktion durch Intel, die der Chipriese und Digital Ende Oktober 1997 beschlossen hatten, platzen lassen könnte, wie gerüchteweise bereits zu hören ist, und Compaq dann eine kostenträchtige Chip-Fertigung am Hals hätte, beunruhigt Pfeiffer nicht. "Sollte dieser Fall eintreten, werden wir dafür eine Lösung finden."

So sehr sich Pfeiffer des erfolgreichen Ablaufs der Übernahme sicher ist - bis Jahresfrist soll Digital bereits zum Gewinn beitragen - so darf jedoch nicht vergessen werden, daß der Deal für Compaq auch jede Menge Risiken birgt. Unlängst meldete ein Tandem-Mitarbeiter in Deutschland Zweifel an, ob der "Kistenschieber" aus Houston das Geschäft von Tandem wirklich verstehe. Solche Bedenken dürften in noch größerem Umfang auf die Digital-Aktivitäten zutreffen. Die Großprojekte werden auf direktem Weg abgewickelt, das setzt eine Know-how-intensive und zeitaufwendige Betreuung von Spezialisten vor Ort voraus. Viel wird deshalb davon abhängen, ob es Pfeiffer nach vollzogener Übernahme gelingen wird, die richtigen Leute bei Digital zu halten. Auch treffen völlig unterschiedliche Mentalitäten aufeinander. Digital hat sich seiner technisch-wissenschaftlichen Herkunft nie ganz entledigen können.

Jetzt gilt es, die überwiegend technologisch geprägte Digital-Kultur mit der Verkaufsdynamik von Compaq in Einklang zu bringen. Digital-Deutschland-Geschäftsführer Paul Santner ist zwar überzeugt, daß "die beiden Kulturen nicht unvereinbar" sind, doch sei für ein erfolgreiches Agieren nicht zuletzt ein "vernünftiger Gesamtauftritt" nötig.

Entlassungen unvermeidlich

Und letztlich ist fraglich, wie es um die Moral der Digital-Mitarbeiter bestellt sein wird, wenn es zu Stellenstreichungen kommt. Zwar will sich Pfeiffer zu diesem Thema noch nicht äußern, angesichts der rund 54.000 Digital-Beschäftigten dürften Entlassungen jedoch unvermeidlich sein. Allerdings sind Digital-Angestellte Kummer gewohnt. Seit Robert Palmer Mitte 1992 den Platz von Digital-Gründer Ken Olsen eingenommen hat, mußten sie nicht nur dem schrittweisen Ausverkauf ihre Unternehmens zusehen, sondern waren auch jahrelang Massenentlassungen ausgesetzt. Von den 107.900 Angestellten, die Palmer bei Amtsantritt vorfand, sind bis heute gerade mal die Hälfte übriggeblieben. So nahm denn die Belegschaft die Übernahme durch Compaq gefaßt auf. Jeff Westropp, Programmierer in Maynard, erklärte: "Wir haben soviel hinter uns gebracht, daß es schwer ist, einen Digital-Mitarbeiter noch zu überraschen." In Deutschland indes rüstet der kampferprobte Digital-Betriebsrat bereits zum Gefecht. Die Arbeitnehmer fingen Pfeiffer Ende Januar vor seinem Auftritt in München vor der deutschen Presse ab, konfrontierten ihn mit ihren Befürchtungen hinsichtlich eines massiven Arbeitsplatzabbaus und hinterließen damit schon einmal ihre Visitenkarte. Der Wahltexaner wiederum betonte nachher: "Es besteht kein Anlaß, etwas zu dramatisieren. Compaq ist in bezug auf seine Mitarbeiter vorbildlich. Wenn wir das auf Digital übertragen können, wird die Übernahme gut gehen." Und weiter: "Mit einer Konfrontation ist nichts gewonnen. Ich denke, wir werden sie vermeiden können." Beate Kneuse

Mit der Produktpalette von Digital wird Compaq zum ernstzunehmenden IBM-Wettbewerber.

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