Mit dem NC wollen die Verlierer der PC-Revolution endlich zurückschlagen

11.01.1996
MÜNCHEN: Inzwischen dürfte es auch Oracle-Chef Larry Ellison eingesehen haben: Das Internet ist noch zu langsam und unsicher, um mit Hilfe eines billigen Network Computers die Kasse klingeln zu lassen. Also schickt die IT-Branche in der Zwischenzeit ein anderes Goldenes Kalb auf die Weide: Network Computing im Unternehmen. Wie der PC ohne Festplatte und Floppy für das Intranet allerdings genau auszusehen hat, darüber gingen auch auf der Systems '96 die Meinungen auseinander.Die exklusive Gemeinde der NC-Verfechter plagt keine Zweifel: "Der Welt der Computer steht nach den Großrechnern und den PCs die dritte große Wende bevor. Network Computing ist der Begriff, der für diese Revolution steht", tönt beipielsweise IBM-Geschäftsführer Richard Seibt. Noch allerdings hat diese "dritte Welle" weder den deutschen IT-Markt, noch die Systems '96 erreicht. Von den sieben Herstellern, die in den vergangenen Monaten Network Computer (NCs) auf den Markt gebracht oder angekündigt haben (siehe Kasten), waren nur vier auf der Münchner Messe vertreten; und nur zwei - nämlich IDEA und SNI - hatten ihren Netzwerk-Client auch wirklich dabei. Ob dies etwas über die Anbieter und ihren neuen Markt aussagt oder eher über das Renommee der Systems, sei dahingestellt. Die Begriffsverwirrung um das Network Computing ist jedenfalls noch groß. So finden sich im Systems-Ausstellerkatalog unter dem Stichwort NC auch Client-Server-Lösungsanbieter.

MÜNCHEN: Inzwischen dürfte es auch Oracle-Chef Larry Ellison eingesehen haben: Das Internet ist noch zu langsam und unsicher, um mit Hilfe eines billigen Network Computers die Kasse klingeln zu lassen. Also schickt die IT-Branche in der Zwischenzeit ein anderes Goldenes Kalb auf die Weide: Network Computing im Unternehmen. Wie der PC ohne Festplatte und Floppy für das Intranet allerdings genau auszusehen hat, darüber gingen auch auf der Systems '96 die Meinungen auseinander.Die exklusive Gemeinde der NC-Verfechter plagt keine Zweifel: "Der Welt der Computer steht nach den Großrechnern und den PCs die dritte große Wende bevor. Network Computing ist der Begriff, der für diese Revolution steht", tönt beipielsweise IBM-Geschäftsführer Richard Seibt. Noch allerdings hat diese "dritte Welle" weder den deutschen IT-Markt, noch die Systems '96 erreicht. Von den sieben Herstellern, die in den vergangenen Monaten Network Computer (NCs) auf den Markt gebracht oder angekündigt haben (siehe Kasten), waren nur vier auf der Münchner Messe vertreten; und nur zwei - nämlich IDEA und SNI - hatten ihren Netzwerk-Client auch wirklich dabei. Ob dies etwas über die Anbieter und ihren neuen Markt aussagt oder eher über das Renommee der Systems, sei dahingestellt. Die Begriffsverwirrung um das Network Computing ist jedenfalls noch groß. So finden sich im Systems-Ausstellerkatalog unter dem Stichwort NC auch Client-Server-Lösungsanbieter.

Massenspeicher wird nicht mehr gebraucht

Das Konzept der NC-Initiatoren Apple, IBM, Oracle, Netscape und Sun Microsystems klingt so einfach wie verlockend: Betriebssystem und Anwendungen liegen nicht auf der lokalen Festplatte, sondern auf einem Applikationsserver und werden nur dann über das Netz stückchenweise in den lokalen Speicher des NC geladen, wenn der Anwender sie braucht.

Den Hauptvorteil dieser Architektur beschwören die NC-Anhänger gebetsmühlenartig wieder und wieder: "Natürlich kostet der NC nicht wesentlich weniger als der PC. Viel wichtiger ist: Die Total Cost of Ownership wird dramatisch gesenkt. Statt 18.000 Mark Betriebskosten pro Jahr für einen PC, kostet ein NC nur 4.500 Mark", erklärt stellvertretend Michael C. Schroeder, zuständig für das Produkt-Marketing bei Sun Microsystems. Begründung: Hardware-Crashs und Ärger mit Viren werden minimiert, Prozessor-Upgrades und Software-Updates an jedem einzelnen Rechner sind überflüssig. Die Thin Clients holen sich immer das "latest and greatest" aus dem Netz.

Java macht den Thin Client möglich

Das Netz ist der Computer" lautet denn auch das aktuelle Werbemotto von Sun. Am Flaschenhals Netzwerk scheiden sich indes die Geister. Schon der NC als Internet-Station für den Heimanwender ist nicht zuletzt daran gescheitert.

Für das NC-Konsortium hat die Lösung genau vier Buchstaben: Java. "Weil Java überall läuft, können Software-Anwendungen zum ersten Mal separat von einem Betriebssystem entwickelt werden.

Das hilft dem Internet auf die Sprünge, verändert das Client-Server-Paradigma und stößt die Tür auf für den Thin Client", begeistert sich zum Beispiel der englische Marktforscher Robin Bloor. In seiner aktuellen Studie mit dem Titel "Das Unternehmen mit anderen Mitteln" propagiert er die Rückkehr zum Centralised Computing: "Ab dem dritten Quartal 1997 wird der PC-Markt weltweit in einen dauerhaften Abwärtstrend verfallen", so Bloor. Nutznießer werden danach Dienstleister und Server-Anbieter und Unternehmen wie IBM und Sun sein, während Microsoft und Intel auf der Verliererseite landen.

So sieht es auch Michael Schroeder vom Java-Erfinder Sun: "Java ist viel schlanker als herkömmliche Betriebssysteme und Anwendungen." In gewöhnlichen 10-MB/s-Ethernets sei Bandbreite damit kein Thema mehr. Das Problem ist nur: Die vielgepriesenen Java-Anwendungen gibt es noch gar nicht. "Was glauben Sie!? Zur Zeit arbeiten in aller Welt mehr als 200.000 Programmierer an Java-Anwendungen", beruhigt Schroeder die Skeptiker. Doch selbst Thomas Dieck, Leiter Produktmarketing beim NC-Promoter Oracle, verordnet sich noch etwas Geduld: "Bis die reinen Java-Applikationen in ausreichender Zahl kommen, das dauert noch zirka drei Jahre."

SNI geht den Mittelweg

Bis dahin wurschteln die bereits verfügbaren NCs noch mit fetten Windows-Applikationen herum. Und da stößt das Network Computing schnell an Bandbreitengrenzen. So sind die heute existierenden NC-Konzepte mehr oder minder faule Kompromisse gegenüber dem Java-Ideal, das da lautet: Auf dem NC läuft kein Betriebssystem, sondern ein Browser, der sich alle Anwendungen modular als Applets aus dem Netz holt. SNI bietet seinen im August vorgestellten Scenic Pro Net wohlweislich nicht als Network Computer an. Tatsächlich handelt es sich um einen gewöhnlichen PC, dem man die Festplatte und das Floppy-Laufwerk vorenthalten hat. Der Pro Net holt sich als Betriebssystem Windows und die benötigten Anwendungen aus dem Netz in den lokalen Speicher. Der deutsche PC-Hersteller ist noch nicht bereit, die mächtige Wintel-Welt von jetzt an gleich über Bord zu werfen und geht den Mittelweg. SNI will den an Windows gewöhnten Anwendern einen weichen Übergang in die Welt des Intranet ermöglichen, in der sich schon mal ein bißchen per serienmäßig mitgeliefertem Browser herumsurfen läßt. Java kommt irgendwann, und falls doch nicht, läßt sich der Pro Net flugs wieder zum PC aufrüsten. "Kein Sackgassenrisiko" nennt das SNI.

Die Anwendung: Ja, wo läuft sie denn?

Ein weiterer Windows-Zwitter des NC ist die Citrix-Variante. Der US-Softwarehersteller Citrix bietet ein Verfahren namens WinFrame an, bei dem die Windows-Anwendungen auf einem Applikationsserver laufen.

Der Thin Client gibt nach dem Motto "Hier gucken, auf dem Server arbeiten" nur die Tastaturcodes weiter und empfängt die Bildschirmdarstellung. Eingesetzt wird diese Lösung von den Mitgliedern des NC-Konsortiums, die die Java-lose Zeit überbrücken wollen.

Konkret sind das IBM, Wyse, Boundless Technologies und HDS. Letzterer arbeitet als einziger in der NC-Familie mit einem eigenen Betriebssystem, wobei als WinFrame-Pendant das Produkt Ntrigue von Insignia Solutions eingesetzt wird.

Wie praktikabel dieses an alte Mainframe-Architekturen erinnernde Konzept ist, bleibt abzuwarten. Netz und Server werden auf eine harte Probe gestellt. "Bei spätestens 30 Clients ist ein normales Ethernet-Segment da doch dicht", behauptet Dominique Wurzler, Area Manager Deutschland bei IDEA. Die Puristen unter den NC-Protagonisten setzen daher von Anfang an auf Java. Allerdings können entsprechende Anbieter wie Sun und IDEA ihren Kunden einstweilen nur ein sehr eingeschränktes Anwendungsspektrum anbieten.

Viel mehr als Datenbankabfragen und -eingaben per Intranet-Browser sind da heute nicht drin.

PCs werden nicht ersetzt

Da stellt sich auch schnell die Frage, wieviel Prozent der heutigen Client-Server-Arbeitsplätze durch NCs ersetzt werden können. "Höchstens zehn bis 15 Prozent. Von den heutigen Anwendungen lassen sich nur die mit einem NC einsetzen, die man früher ,typische Host-Anwendungen nannteÈ, also immer wiederkehrende Aufgaben mit strukturierten Daten. Da ist bei einer Textverarbeitung eigentlich schon Schluß", glaubt SNI-Produktmanager Harry Neumeier. Auch Java-Enthusiast Schroeder von Sun gibt zu, daß der NC den PC niemals ersetzen wird, setzt das Potential der Thin Clients aber höher an: "Gartner spricht von 20 Prozent NC-Arbeitsplätzen in den Unternehmen bis zum Jahr 2000. Wir glauben an 50 bis 60 Prozent."

Die Terminals sind als erste dran

Ihre Zielgruppe glauben die NC-Hersteller genau zu kennen: "Es gibt in den Unternehmen noch viele Mainframe- und Terminalanwender, die seit zwei oder drei Jahren zögern: Client-Server ja oder nein? Da bieten wir die richtige Alternative", beschreibt Oracle-Mann Dieck den Einstiegsmarkt. Nach den Mainframes sollen AS/400-Unix- und andere TCP/IP-basierte Systeme in Angriff genommen werden. Diese Strategie ist nicht weiter verwunderlich: Sun, Wyse, Boundless Technologies, IBM, IDEA und HDS sind oder waren durch die Bank Terminal-Hersteller. Mit dem NC glauben sie nun den Zaubertrank gegen das Wintel-Imperium gefunden zu haben. IDEA-Manager Wurzler drückt es so aus: "PCs sind sehr flexibel und sehr teuer. Terminals sind sehr billig aber unflexibel. Wir wollen die Lücke zwischen diesen Extremen schließen. Wir wollen mit dem NC die Zuverlässigkeit von Client-Server, die Erweiterbarkeit der Objekt-Welt und die einfache Nutzung des Internets kombinieren." Sun-Manager Schroeder schränkt ein: "Unternehmen, die sich nur auf NCs spezialisieren, gehen unter. Dafür sind die Margen einfach zu klein."

NC hat nur ein Argument auf seiner Seite

Der Aufstand der NC-Gläubigen gegen das PC-Establishment steht auf wackligen Beinen. Der PC kann alles und noch mehr als der NC, ohne dabei bedeutend teurer zu sein. Die strahlende Java-Zukunft voller offener Standards bedeutet nicht zwangsläufig das Ende der Festplatte. Und bevor das Netzwerk der Computer wird, tröpfeln - zumal im Internet - noch viele Megabytes die Telefonleitung hinunter. Bleiben die angeblich geringeren Installations- und Folgekosten für NCs im Intranet. Auch hier sind Zweifel angebracht. Zentrales Softwaremanagement steht bereits ganz oben auf der Prioritätenliste von Bill Gates. Und in "good old Germany" bietet die Starnberger csd Software GmbH schon heute eine Client-Server-Lösung an, mit der sich die PCs zentral installieren und verwalten lassen (siehe Kasten). Es bleibt also abzuwarten, wie groß die Nische sein wird, in der sich die Network Computer breitmachen wollen. Laut einer Umfrage der COMPUTERWOCHE haben bereits 16 Prozent

der befragten deutschen Unternehmen ein Intranet, und weitere 55 Prozent wollen es im kommenden Jahr einführen. Doch nur 2,7 Prozent können sich dabei einen NC als Client vorstellen. (ld)

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