...MIT FREUNDLICHEN GRÜssEN

10.10.1997
BundespräsidentRoman Herzog

BundespräsidentRoman Herzog

Schloß Bellevue

Spreeweg 1

10557 Berlin

München, 10.10.1997

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

Ihre denkwürdige Rede "Aufbruch ins 21. Jahrhundert" am 26. April dieses Jahres im Berliner Hotel Adlon stieß vor allem in Wirtschaftskreisen auf breite Zustimmung. Unter anderem kritisieren Sie in dieser Rede den "Bürokratismus" und die "deutsche Regulierungswut", die ganz besonders derjenige zu spüren bekommt, "der auf die verwegene Idee kommt, in Deutschland ein Unternehmen zu gründen". In diesem Zusammenhang verweisen Sie auf Bill Gates, dessen Weltunternehmen Microsoft in Deutschland nicht hätte entstehen können, weil "sein Garagenbetrieb bei uns schon an der Gewerbeaufsicht gescheitert wäre".

Leider stoßen Sie mit Ihrer Forderung, Bürokratismus abzubauen und von "liebgewordenen Besitzständen" Abschied zu nehmen, nicht überall auf offene Ohren. Wie zum Beispiel nicht bei den Standesorganisationen des deutschen Handwerks und ihrer politischen Interessenvertreter. Denn anstatt die von Ihnen geforderte "Gesellschaft der Selbständigkeit" voranzutreiben, wollen diese Organisationen neue Unternehmereinstiegsbarrieren aufbauen. Wenn es nämlich nach ihrem Willen geht, darf in Zukunft nur noch derjenige einen PC zusammenbauen, verändern oder installieren, der einen Meisterbrief an der Werkstattwand hängen hat oder eine einschlägige akademische Ausbildung vorweisen kann.

Diese Bestrebungen gehen in die falsche Richtung. Zwar sind in einigen wenigen Fällen solche formalen Berufseinstiegsbarrieren notwendig (wie zum Beispiel im medizinischen Bereich). Grundsätzlich aber verhindern sie Flexibilität und Unternehmertum. "Tellerwäscherkarrieren" wie die von Bill Gates mit der Schaffung vieler tausend Arbeitsplätze sind so nicht möglich. Es fragt sich zudem, wie hoch der Wert eines punktuell nachgewiesenen Wissens angesichts der heutigen Veränderungsgeschwindigkeit einzustufen ist. Wo Wissen so schnell veraltet wie heute, verlieren Diplome, Zeugnisse und Meisterbriefe ebenso schnell ihre Aussagekraft. Und das ganz besonders in der Computerbranche mit ihrem unglaublich hohen Innovationstempo.

Zweifelsohne ist eine hohe Qualifikation eine zwingende Voraussetzung für erfolgreiches Unternehmertum. Ein Meisterbrief aber ist es nicht. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich meiner Argumentation anschließen und Ihren Einfluß entsprechend geltend machen könnten.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

- Chefredakteur -

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