Mit freundlichen Grüßen ...

22.10.1998

Hewlett Packard GmbHGeschäftsleitung

Herrn Kurt Sibold

Herrenberger Str. 110-140

71034 Böblingen

München, 16.10.1998

Sehr geehrter Herr Sibold,

im Zusammenhang mit dem Thema E-commerce werden diejenigen Firmen, die ihre Produkte in einem eigenen Online-Shop anbieten, gerne als "innovativ", "fortschrittlich" und überhaupt als unheimlich modern bezeichnet. Die anderen, die keinen Online-Shop betreiben, müßten folgerichtig altmodisch, rückständig und alles in allem ziemlich von gestern sein. Die einen, so der Eindruck, sind die visionären und mutigen Unternehmer, die in einem Zukunftsmarkt ungeahnten Ausmaßes von der ersten Stunde an dabei sind. Und die anderen sind die Deppen.

Vielleicht aber ist es genau andersrum. Wäre doch möglich. Wenn andere ihr Geld verbrennen, muß ich es ja nicht auch tun. Scheint mir eine vernünftige Einstellung zu sein. Und daß diejenigen Firmen, die heute einen Online-Shop betreiben, viel Geld auf Nimmerwiedersehen durch den Schornstein blasen, wird ja wohl niemand ernsthaft bestreiten wollen. Der amerikanische Buchversender Amazon, Aushängeschild der E-commerce-Verklärer, schreibt tiefrote Zahlen, allein 17 Millionen Dollar im zweiten Quartal. Um die Gewinnschwelle zu erreichen, müßte Amazon den Umsatz mindestens verdoppeln. Und selbst wenn das gelingen sollte, sieht es bei der Rendite auf das eingesetzte Kapital auf Jahre hinaus ganz düster aus. Ist das innovativ, fortschrittlich, modern?

Mehr und mehr Hersteller, vor allem aus der IT-Branche, bekommen beim Thema E-commerce leuchtende Augen. Heißa, freuen sie sich, da können wir ja jede Menge Geld sparen, das wir heute unseren Absatzmittlern in den Rachen werfen. Das ist Mumpitz! Es ist ein Märchen - das aber offensichtlich noch immer in vielen Köpfen herumspukt -, daß ein Direktvertrieb billiger ist als ein Vertrieb über Absatzmittler. Bereits vor 30 Jahren stellten die Wirtschaftswissenschaftler Nieschlag, Dichtl und Hörschgen in ihrer "Einführung in die Lehre von der Absatzwirtschaft" (18. Auflage 1997) fest, "daß die Absatzmittler spezifische Leistungen erbringen, die die Distribution nicht verteuern, sondern - im Gegenteil - verbilligen". Diese Aussage ist heute so wahr wie damals.

Insofern hat mich Ihr Vortrag auf dem Actebis-Handelskongreß auf Mallorca schon etwas überrascht. Ihre Aussage, daß die Industrie wild entschlossen ist, beim Thema E-commerce kräftig auf die Tube zu drücken, und daß sie diesen Weg, wenn der Handel nicht mitzieht, dann nolens volens auch alleine gehen wird, wirft ja doch einige Fragen auf. Zum Beispiel die, ob das Ihr heiliger Ernst ist. HP denkt doch wohl nicht wirklich über einen Direktvertrieb nach?!

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

P.S.: Gerade legt mir mein Kollege Leierseder eine Meldung aus dem Internet auf den Tisch. Inhalt: HP-Chef Lew Platt kündigt an, daß Großkunden in Kürze in einem HP-Online-Shop PCs direkt kaufen können. Muß eine "Ente" sein!

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