...MIT FREUNDLICHEN GRÜssEN

05.08.1998

Siemens AG

Herrn Dr. Heinrich von Pierer

Wittelsbacherplatz 2

80333 München

München, 08.05.1998

Sehr geehrter Herr Dr. von Pierer,

der Verkauf der Augsburger PC-Fertigung von Siemens Nixdorf hat nicht nur in Deutschland hohe Wellen

geschlagen. Auch bei meinen Taiwan-Besuch in der letzten Woche wurde die Kooperation von Siemens und Acer ausführlich diskutiert. Die meisten meiner Gesprächspartner bewerteten den neuen deutsch-taiwanischen Brückenschlag durchaus positiv. Der Chairman und CEO der Addonics Technologies Corp. zum Beispiel, Victor Wu, gratulierte Siemens und Acer ausdrücklich zu dieser "Win-Win-Cooperation".

Dennoch wirft das komplette Outsourcing der PC-Fertigung von Siemens Fragen auf. Vor allem die, inwieweit das PC-Business noch zum strategischen Kerngeschäft des Siemens-Konzerns zählt. Jeder wird Verständnis für die Entscheidung einer Firma Unisys haben, aufgrund der geringen Absatzzahlen die PC-Produktion einzustellen und statt dessen OEM-Rechner von Hewlett-Packard zu vermarkten. Der PC gehört nun einmal nicht zum Kerngeschäft von Unisys.

Wenn dagegen ein Unternehmen Siemens mit einem PC-Ausstoß von annähernd 1,5 Millionen Einheiten die

PC-Fabrikation abstößt, kann es nicht verwundern, daß der eine oder andere Branchenbeobachter erstaunt die Augenbrauen hochzieht. Zumal es sich bei dem neuen Eigentümer um einen direkten Wettbewerber handelt.

In einem analogen Fall könnte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" beschließen, auf die eigene Redaktion zu verzichten und statt dessen die Artikel von den "Focus"-Redakteuren verfassen zu lassen. Man müßte schon sehr viel Phantasie aufbringen, um eine solche Kooperation als Stärkung des "Spiegel"-Marktauftritts zu werten.

Die Zweifel, ob das PC-Business für Siemens noch zum Kerngeschäft zählt, würden sich sicherlich nicht in

dem Maße aufdrängen, wenn Siemens und Acer die Kooperation in Form eines Joint-ventures oder einer

Überkreuzbeteiligung zementiert hätten. Das aber ist offenkundig nicht beabsichtigt. Warum eigentlich nicht?

Ein Verständnisproblem habe ich zudem mit den von Ihnen genannten zahlreichen strategischen Vorteilen,

welche die Kooperation Siemens bringen soll. So ist mir völlig schleierhaft, in welcher Form Acer Ihnen bei der Erschließung des amerikanischen oder asiatischen PC-Marktes unter die Arme greifen könnte. Beispiel China: Ist Acer aufgrund der historisch bedingten Spannungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik China in diesem Wachstumsmarkt nicht sogar eher eine Belastung als eine Unterstützung für Siemens?

Oder liegt der Witz darin, daß Acer über Siemens ein Bein in den chinesischen Festlandsmarkt bekommt?

Ihrer Antwort auf diese Fragen blicke ich mit Spannung entgegen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

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