Mit freundlichen Grüßen ...

04.08.1999

Herrn Thomas Zanzinger Chefredaktionc/o Mitsubishi GmbH PC-Division

Gothaer Straße 27

40880 Ratingen

München, 01.04.1999

Sehr geehrter Herr Zanzinger,

die IT-Branche ist zwar noch vergleichsweise jung, aber dennoch alt genug, um bereits Mythen entwickelt zu haben. Ein Mythos lautet zum Beispiel, daß nicht die Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen fressen. Das ist natürlich Unsinn. Denn wenn man "fressen" mit "schlucken" oder "sich einverleiben" gleichsetzt, dann sind es doch immer die Großen, die die Kleinen fressen. Ausnahmen bestätigen die Regel, ist ja klar. Ein anderer Mythos ist, daß die Ursache für den Erfolg von Dell in dem direkten Vertriebsmodell liegt. Dieser Mythos ist einfach nicht kaputtzukriegen.

Einen guten Anteil an dieser Legendenbildung hat das Hamburger Manager-Magazin. Bereits im Juni letzten Jahres behauptete Redakteuer Jochen Rieker in einem Artikel über Compaq, Dell sei deshalb zum "Shooting-Star der Branche" aufgestiegen, weil der PC-Bauer auf die Wiederverkäufer verzichte, "die alle mitverdienen wollen". Ins gleiche Horn stößt jetzt Riekers Kollegin Anne Preissner. In einer großen Dell-Story im April-Heft (Überschrift: "Schnell, schneller, Dell") behauptet sie, daß die Preise der Dell-Rechner um etwa 15 Prozent unter denen der Konkurrenz liegen, "weil Dell die Zwischenhändler umging".

Das aber ist, wie der Amerikaner sagt, Bullshit. Nun wäre die Verbreitung solch gewagter Thesen nicht weiter schlimm, wenn es nicht Hersteller gäbe, die das offenkundig glauben. Es ist aber, man kann es gar nicht oft genug sagen, ein Märchen, daß der Direktvertrieb billiger ist als der indirekte über Absatzmittler. Gerne mache ich bei dieser Gelegenheit wieder Reklame für das Buch "Einführung in die Lehre von der Absatzwirtschaft" (18. Auflage 1997) der Wirtschaftswissenschaftler Nieschlag, Dichtl und Hörschgen, die bereits vor 30 Jahren feststellten, "daß die Absatzmittler spezifische Leistungen erbringen, die die Distribution nicht verteuern, sondern - im Gegenteil - verbilligen". Diese Aussage ist heute so wahr wie damals.

Das gilt genauso für E-Commerce. In vielen Köpfen spukt die Irrmeinung herum, daß der Vertrieb übers Internet billiger sei als der über den stationären Handel. Das ist Mumpitz. Es traut sich nur keiner zu sagen. Bis auf wenige Ausnahmen. Wie zum Beispiel David Rosenthal, der zur Cebit im Handelsblatt einen Artikel veröffentlicht hat (tolle Schlagzeile: "Im Laden brennt noch Licht"), der mit diesem Mythos aufräumt. "Die Betriebskosten von Internet-Händlern", faßt Rosenthal seine Recherchen zusammen, "liegen in der Regel deutlich über denjenigen traditioneller Händler." Na bitte!

Und was ist jetzt der Grund für das traumhafte Wachstum der Firma Dell in den vergangenen Jahren? Im Interview mit dem Manager-Magazin sagt es Firmenchef Michael Dell selbst: Es ist der reibungslose und schnelle Informations- und Warenfluß (Supply-Chain), die Logistik, die Just-in-Time-Fertigung. Wer diese Kette beherrscht

- und das tut Dell -, der hat einen Kostenvorteil, den er in Form günstigerer Preise an den Kunden weitergeben kann. Von Vertrieb ist hier noch gar keine Rede. Das ist zumindest meine Sicht der Dinge.

Sie selbst, sehr geehrter Herr Zanzinger, haben ja in leitender Position den Aufbau von Dell Deutschland hautnah miterlebt und die Entwicklung auch nach Ihrem Ausscheiden schon von Amts wegen weiterverfolgt. Daher würde mich Ihre Meinung zu der Frage interessieren, was Dell besser macht als die Konkurrenz.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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