Mit freundlichen Grüssen ...

21.09.2000

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Bayerische Hypo- und Vereinsbank AG

Herrn Matthias Schneck

Am Tucherpark 16

Schloßplatz 1

80538 München

München, 18.09.2000

Sehr geehrter Herr Schneck,

haben Sie Kinder? Wenn ja, dann wissen Sie vielleicht auch, was einer der größten Wünsche der lieben Kleinen ist: groß werden! "Wenn ich groß bin, dann ..." Solche Sätze haben Sie womöglich auch schon selbst gehört. Mein zehnjähriger Sohn Malte zum Beispiel: Was der bereits heute für Pläne hat, wenn er erst einmal groß ist. Im Moment wird er Basketballstar in der amerikanischen Profiliga NBA.

Bei der CE Consumer Electronics AG von Herrn Lejeune ist es ähnlich. Auch Herr Lejeune wollte mit seinem Unternehmen nicht immer so ein kleiner Krauter bleiben. Und jetzt, seitdem die Firma an der Börse ist, kann Herr Lejeune endlich seinen Traum verwirklichen: wachsen, was das Zeug hält und ganz groß herauskommen. Und weil man in der Branche, in der Herr Lejeune tätig ist, ein sehr ungeduldiges Verhältnis zur Zeit hat, muss es schnell gehen. Sehr schnell.

Das heißt konkret: In diesem Jahr plant der Chip-Broker aus München einen Umsatz von 450 Millionen Mark. Im vergangenen Jahr lagen die Erlöse bei nur knapp 73 Millionen Mark. Mit anderen Worten: Herr Lejeune will den Umsatz in diesem Jahr gegenüber 1999 versechsfachen. Das ist kein Wachstumsschub, das ist eine Wachstumsexplosion. Ist dieses Wachstums-tempo der CE AG gesund? Ist es überhaupt zu managen? Der Begriff "organisches Wachstum" hat in diesem Zusammenhang natürlich keine Bedeutung. Die Zuwächse der CE AG beruhen in erster Linie auf Firmenzukäufen. Das heißt: Hier stellen sich enorme Anforderungen an die Integrationsleistung. Und das heißt: an das Management.

Ich halte dieses Wachstumstempo der CE AG für höchst bedenklich und teile Ihre positive Einschätzung, die Sie als Analyst bei der Hypo Vereinsbank geäußert haben, überhaupt nicht. Was Herr Lejeune mit seiner CE AG betreibt, riecht nach Größenwahn und Selbstüberschätzung. Kleiner Mann ganz groß. Man muss sich fragen: Kann Herr Lejeune, der Selfmademan, der Berufsoptimist, der Buchautor, der TV-Talker, der "Motivator", das überhaupt, einen Konzern führen, ein solches Wachstum managen? Zweifel sind angebracht. Immerhin hat sich Herr Lejeune vor kurzem mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Horst Bück, Verstärkung in den Vorstand geholt. Mag sein, dass Herr Bück ein Management-Talent ist, aufgefallen ist er mir in dieser Rolle bisher noch nicht. Aufgefallen ist dagegen Frau Lejeune, die "bessere Hälfte" von Herrn Lejeune, die im CE-Vorstand für das Finanzressort zuständig ist. Sie hat nämlich, wie das "Manager-Magazin" berichtete, auf der letzten Hauptversammlung die Begriffe "Cashflow" und "Free Float" durcheinandergebracht. Auch das gibt mir kein gutes Gefühl in Bezug auf die Professionalität des CE-Managements.

Letzten Endes geht es nicht um das Wohlergehen und den Ruhm des Ehepaars Lejeune. Sondern es geht um die Mitarbeiter des CE-Konzerns, um das Geld der (Klein-) Aktionäre, und es geht auch darum, dass ein Scheitern des waghalsigen Expansionskurses des Chip-Brokers eine ganze Branche beschädigen kann. Insofern kann ich die positiven Einschätzungen der CE AG durch Sie und andere Analysten nicht nachvollziehen.

Die grundsätzliche Frage ist: Warum wollen so viele Firmen groß werden? Welchen Wert stellt Größe dar? Viele Unternehmer und Manager sind in dieser Hinsicht wie die kleinen Kinder: Sie wollen wachsen, möglichst schnell groß werden, und weil das alles viel zu lange dauert, kaufen sie andere Firmen auf. "Größe kann man kaufen. Ertrag nicht", meinte Martin Kohlhaussen, Chef der Commerzbank, bei einem Gespräch im vergangenen Jahr. Doch das sieht man oft erst später ein. Wie im richtigen Leben ja auch. Viele Erwachsene denken mit Wehmut an ihre unbeschwerte Kindheit zurück, an damals, als sie noch klein waren. Es hat schon seine Vorteile, wenn man klein ist, man muss nicht unbedingt ganz schnell ganz groß werden wollen. Das gilt für Kinder, und das gilt auch für Firmen.

Übrigens: Wenn mein Sohn wie die CE AG seine Größe in diesem Jahr gegenüber 1999 versechsfachen würde, dann wäre er am Ende des Jahres 8,70 Meter lang. Das wäre für seine Basketballkarriere zwar vorteilhaft. Aber würde er dieses Wachstum überleben?

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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