Mit freundlichen Grüßen ...

23.08.2001

ComputerPartner

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Siemens AG

Vorstand

Herrn Dr. Heinrich von Pierer

Wittelsbacherplatz 2

80333 München

München, 20.08.01

Die Studenten mögen Siemens, die Lieferanten nicht

Sehr geehrter Herr Dr. von Pierer,

herzlichen Glückwunsch! Siemens ist für Deutschlands Studenten der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften die erste Adresse. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Berliner Trendence-Instituts für Personalmarketing. Die meisten der kurz vor dem Abschluss stehenden jungen Leute gaben an, nach dem Examen am liebsten bei dem Münchener Elektrokonzern arbeiten zu wollen. (Die Umfrage wurde zwischen April und Juli dieses Jahres durchgeführt. Die Meldungen über die Massenentlassungen in Ihrem Hause standen erst später in den Zeitungen. Beim Kriterium "sicherer Arbeitsplatz" würden die Antworten daher heute sicher nicht mehr so positiv ausfallen. Eine der Studentinnen begründete ihr Votum für Siemens unter anderem damit, dass ihre Eltern das gute Gefühl hätten, "mein Job sei fast so sicher wie der eines Beamten". Das war gestern.)

Bei den Lieferanten und Zulieferern ist Siemens weniger gut angesehen als bei Deutschlands akademischem Nachwuchs. Der Ruf verschlechtert sich sogar rapide. Der Grund: Die jüngsten Sparbeschlüsse, um die Geschäftsbereiche ICN (Netze) und ICM (Mobile Lösungen und Produkte) aus den roten Zahlen zu führen. Für helle Empörung sorgte ein an die Öffentlichkeit gelangtes internes Schreiben von Siemens-ICN-Finanzvorstand Michael Kutschenreuther, in dem er seine Manager unter anderem aufforderte, Lieferantenrechnungen für vier bis sechs Wochen zu sperren (ComputerPartner berichtete in Ausgabe 31/01, Seite 13).

"Das ist eine Riesen-Sauerei", wetterte ein ComputerPartner-Leser, im Hauptberuf geschäftsführender Gesellschafter eines IT-Systemhauses in München. Er rief mich vergangene Woche an, nur um "mal Dampf abzulassen". Es könne doch wohl nicht angehen, sagte er, dass die Siemens-Manager wegen Unfähigkeit zuerst Milliardenverluste verursachten, und dass dann nicht sie selbst, sondern die Zulieferbetriebe die Suppe wieder auslöffeln müssten. "So wie ich das sehe, will sich Siemens auf Kosten der kleinen Firmen sanieren. Dass sie damit auch den Konkurs ihrer Geschäftspartner billigend in Kauf nehmen, ist ihnen wohl egal", entrüstete sich der Münchener Systemhaus-Unternehmer.

Die Wut des Mannes kann man verstehen. Rund 14.500 Unternehmen haben nach Angaben der Wirtschaftsauskunft Bürgel in Deutschland im ersten Halbjahr 2001 Insolvenzantrag stellen müssen, 25 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Nicht oder zu spät beglichene Rechnungen belasten gerade die kleinen und mittleren Betriebe erheblich, schränken ihre Geschäftsaktivitäten ein und führen zu außergewöhnlichen Kostenbelastungen durch Inanspruchnahme von Überbrückungskrediten oder Verzugszinsen. So manchem brechen sie auch das Genick. Ich kann mir nicht vorstellen, sehr geehrter Herr Dr. von Pierer, dass der von Ihrem Vorstandskollegen geforderte Umgang mit Lieferantenrechnung Ihre Billigung findet oder gar auf Ihr Geheiß verkündet wurde.

Ein anderer Ihrer Vorstandskollegen, Personalchef Peter Pribilla, hat kürzlich in Bezug auf den momentanen Abbau tausender von Stellen bei Siemens gesagt: "Wir werden auch daran gemessen, wie fair wir uns in dieser Situation verhalten." Ganz recht, aber nicht nur in dieser Situation. Sondern Siemens wird auch daran gemessen, wie fair der Konzern mit seinen Geschäftspartnern umgeht, mit Lieferanten und mit Abnehmern.

Ich selber glaube ja, dass es sich bei der angeblichen Indiskretion aus Ihrem Hause in Wahrheit um einen gezielten PR-Schuss handelt. Denn die Aufforderung des Herrn Kutschenreuther, von jetzt an Lieferantenrechnungen um vier bis sechs Wochen zu sperren, insinuiert ja, dass Siemens im Regelfall die Rechnungen immer sofort bezahlt. Nur aufgrund der außergewöhnlichen Notlage ist man leider gezwungen undsoweiter. Sonst ist Siemens quasi von Amts wegen der Musterknabe der Nation, wenn es um pünktliches Bezahlen von Rechnungen geht. Das glaubt aber nur der, der sich den Reißverschluss mit der Kneifzange zumacht oder der noch nie Geschäfte mit Siemens gemacht hat. Der oben zitierte Systemhausunternehmer zum Beispiel musste schon vor Monaten 120 Tage warten, bis Siemens die Rechnung endlich beglich.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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