Mit freundlichen Grüßen ...

11.01.2001

ComputerPartner

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IBM Deutschland GmbH

Herrn Martin Gerhardt

Pascalstraße 100

70569 Stuttgart

München, 08.01.2001

Sehr geehrter Herr Gerhardt,

wir kennen uns nicht. Ich habe nicht einmal Ihre Adresse. Das Einzige, was ich von Ihnen weiß, habe ich aus einer IBM-Anzeige, die im Dezember letzten Jahres im Manager-Magazin stand. Vielleicht gibt es Sie ja nicht einmal, sondern Sie sind nur eine Kunstfigur der IBM-Werbeagentur. Ist aber auch nicht so wichtig, weil Sie stellvertretend sind für einen bestimmten Typ, der in der Branche heute vielfach anzutreffen ist: den E-Business-Menschen. Und weil Sie ein E-Business-Mensch sind, haben Sie auch ein E-Business-Motto. Das steht ebenfalls in der Anzeige und lautet: "Geschwindigkeit ist alles."

Geschwindigkeit ist alles! Das ist auch wieder so ein Sponti-Spruch der so genannten New Economy. Schnell ausgedacht, quick and dirty. Hört sich ja auch ganz gut an, so beim ersten Hören. Ist aber trotzdem dummes Zeug, wenn man drüber nachdenkt.

Ich weiß ja nicht, ob Sie verheiratet sind oder eine Lebensgefährtin haben. Wenn ja, sollten Sie wissen, dass es da gewisse zärtliche Augenblicke gibt - Sie wissen schon, welche Augenblicke ich meine -, in denen Sie nicht mit besonders großer Begeisterung Ihrer Partnerin rechnen können, wenn sie nach dem Motto "Geschwindigkeit ist alles" vorgehen. Auch in manch anderen Situationen ist hohes Tempo kontraproduktiv. Beim Essen zum Beispiel: Hat Ihnen Ihre Mutter nicht immer wieder gepredigt, sie sollen nicht so schlingen? Wegen des anschließenden Magendrückens und weil's auch schlecht für die Verdauung sei? Oder beim Autofahren: Wer schnell fährt, ist zwar meistens früher am Ziel, aber manchmal auch früher auf dem Friedhof. Dort liegen ja bereits die ersten Unternehmen der sogenannten New Economy, weitere werden folgen.

Nein, Herr Gerhardt, Geschwindigkeit ist nicht alles. Sie ist wichtig, zweifellos, und es gibt Situationen, in denen Schnelligkeit entscheidet. Zum Beispiel beim 100-Meter-Wettlauf. Als generelles Leitmotiv, als generelles Handlungsmuster taugt Ihr Motto aber nicht. Es ist wie im Sport. Kondition, Leistungsfähigkeit oder neudeutsch Fitness, also die Grundvoraussetzung für sportlichen Erfolg, setzt sich aus vier Bausteinen zusammen: 1. Kraft, 2. Schnelligkeit, 3. Ausdauer und 4. Beweglichkeit. Nach meinem Eindruck gelten für Unternehmen dieselben Schwerpunkte, vielleicht sogar in noch höherem Maße.

Und dann haben wir über ein Kriterium noch gar nicht gesprochen: die Qualität. Wo taucht die Qualität bei Ihnen auf? Qualität bedeutet, nicht mit dem Erstbesten zufrieden zu sein, sondern erst mit dem Besten. Deshalb vertragen sich Qualität und Geschwindigkeit oftmals nicht. Qualität hat nicht nur ihren Preis, sondern braucht auch ihre Zeit. Und die wirkliche Kunst besteht darin, die optimale Balance zwischen Geschwindigkeit und Qualität zu finden.

Daher meine Empfehlung an alle New-Economisten und E-Business-Menschen: Lassen Sie sich Zeit, vor allem beim Denken. Denn gerade hier ist Geschwindigkeit nicht alles.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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