Mit freundlichen Grüßen ...

17.01.2002

ComputerPartner

Chefredaktion

Tel.: 0 89/3 60 86-388

Fax: 0 89/3 60 86-389

E-Mail: dsicking@computerpartner.de

Herrn Kurt Dobitsch

Postfach

85598 Baldham

München, 14.01.02

Was ist heute das Kerngeschäft eines IT-Herstellers?

Sehr geehrter Herr Dobitsch,

in der vergangenen Woche verkündete IBM zwei wichtige Entscheidungen: Zum einen wird der PC-Verkauf via Telefon in Deutschland und weiteren europäischen Ländern eingestellt. Der Grund: Die kleineren und mittleren Unternehmen, also die Zielgruppe der IBM-Telefonverkäufer, bevorzugen den Einkauf über lokale Händler. Ich finde, man kann diese überaus vernünftige Entscheidung als Kapitulation der IBM vor dem Handel bezeichnen.

Der zweite wichtige Entschluss des amerikanischen IT-Anbieters betrifft die Produktion. IBM wird weitere Teile der Herstellung auslagern. Die Netvista-Reihe wird in Zukunft von dem Auftragsfertiger Samnia-SCI produziert. Dazu übernimmt Samnia Gebäude und Mitarbeiter der IBM in USA und Schottland. Der "sittliche Nährwert" dieser Aktion aus IBM-Sicht: Kosten sparen.

Wie lassen sich nun diese beiden Entscheidungen bewerten? Ich denke, dass beide etwas mit dem Kerngeschäft zu tun haben und mit der Notwendigkeit, sich darauf zu konzentrieren. Was ist ein Kerngeschäft? Ein Kerngeschäft ist etwas, was ein Unternehmen besser kann als andere. Oder was es zumindest besser können sollte. Vor diesem Hintergrund ist IBMs Aufgabe des PC-Verkaufs via Telefon zweifelsohne richtig. Der Vertrieb gehört nicht zum Kerngeschäft eines Herstellers. Das können andere besser.

Wie aber steht es mit der Produktion? Zählt die Produktion zum Kerngeschäft eines Herstellers? Früher war das so, keine Frage. Ein Hersteller war jemand, der etwas herstellte, deshalb hieß er ja Hersteller. Doch die Welt hat sich weiter gedreht. Heute gibt es Firmen, die den Herstellern den reinen Fertigungsprozess abnehmen, und es werden immer mehr. Und immer mehr Her-steller nutzen ihre Dienste. Daher noch einmal die Frage: Zählt die Produktion, der "handwerkliche" Prozess des Zusammen-fügens einzelner Teile zu einem Ganzen, zur Kernkompetenz eines IT-Herstellers? Oder anders formuliert: Braucht ein IT-Hersteller heute noch Fabriken, Maschinen, Fließbänder, Frauen und Männer, die in Blaumännern herumlaufen?

Nein, sagen immer mehr Experten und begründen dies damit, dass die Kernkompetenz der Hersteller in der Planung liegt, im Design der Produkte und in der Definition der Komponenten. Ein Vertreter dieses Lagers versuchte mir seine Haltung an folgendem Beispiel zu verdeutlichen: Der Computerwoche-Verlag ist, wenn man so will, der Hersteller der Zeitschrift "ComputerPartner". Der Verlag beziehungsweise die ComputerPartner-Redaktion sorgt für die Inhalte, also die Artikel. Das ist die Kernkompetenz des Verlages. Drucken tut der Verlag die ComputerPartner-Hefte aber nicht. Damit hat er eine andere Firma beauftragt, nämlich das Augsburger Druck- und Verlagshaus. Und nun, so mein Gesprächspartner, müsse man nur die Wörter "Verlag" durch "Hersteller" und "Druckerei" durch "Auftragsfertiger" ersetzen, und dann sei alles klar.

Ich muss sagen, diese Argumentation klingt recht plausibel, und ich bin geneigt, eigene frühere Auffassungen in dieser Frage über Bord zu werfen. Aber vorher möchte ich gerne wissen, wie Sie darüber denken. Sie, sehr geehrter Herr Dobitsch, waren ja lange in der IT-Industrie tätig, zuletzt als Deutschland-Chef von Compaq. Und immer wieder gerne zitiert ist Ihr legendärer Grundsatz zur Aufgabenverteilung zwischen Industrie und Handel (in die Wirtschaftsliteratur als "Dobitsch-Axiom" eingegangen). Er lautet: "Die Hersteller sollen herstellen, und der Handel soll handeln." Ein Satz, der bei mir stets hohen Zustimmungszwang auslöste (und immer noch tut). Bisher war mir der Inhalt auch sonnenklar. Aber jetzt würde ich gerne von Ihnen wissen: Wenn Sie sagen, dass die Hersteller herstellen sollen, was meinen Sie damit genau?

Obwohl dies nicht zu meiner Kernkompetenz gehört, verbleibe ich gerne

mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

Zur Startseite