Mit freundlichen Grüßen ...

05.06.2003

ComputerPartner

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Suse Linux AG

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Herrn Richard Seibt

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90429 Nürnberg

München, 02.06.2003

Der Fall der Münchener Mauer

Sehr geehrter Herr Seibt,

in Ihrer Euphorie über die Linux-Entscheidung der Stadt München haben Sie gesagt: "Was in der großen Weltpolitik der Fall der Berliner Mauer war, das wird dieses Votum in unserer Branche sein. Dies ist einer jener Sätze, die gesagt werden, um ihren Autor in die Geschichtsbücher oder zumindest in die Schlagzeilen der Tageszeitungen zu bringen. Gerade die Mauer in Berlin eignete sich schon immer dafür. Wir erinnern uns an den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, der Anfang der 60er-Jahre vor der Mauer stehend erklärte: "Ick bin ein Berliner.

Natürlich darf man diese Sätze nicht wörtlich nehmen. Diese Sätze sind symbolisch gemeint und müssen daher interpretiert werden. Kennedy war natürlich gar kein Berliner. Was er sagen wollte, war damals sofort jedem klar: "Ich gehöre zu euch, ich bin auf eurer Seite et cetera. Dagegen hatte ich mit Ihrer Äußerung gewisse Schwierigkeiten, was den Symbolgehalt betrifft. Daher fing ich an zu interpretieren.

Der Fall der Mauer in Berlin steht im Wesentlichen für zweierlei: Befreiung und Vereinigung. Befreit wurden die Menschen der ehemaligen DDR. Im aktuellen Fall ist dann wohl die Stadtverwaltung München die frühere DDR, und die vielen Mitarbeiter an den PCs sind die armen Teufel, die Autos aus Plastik fahren mussten. Das klingt absurd, nicht wahr? Das klingt deshalb absurd, weil es absurd ist. Die Entscheidung von München hat beim besten Willen nichts mit Befreiung zu tun. In Wahrheit begibt man sich nur von der einen in die andere Abhängigkeit.

Also Vereinigung. Aber auch in diesem Punkt sehe ich schwarz. Wenn man die Kommentare von Lesern zu den entsprechenden Meldungen auf ComputerPartner-online liest, dann gewinnt man eher den Eindruck, dass man es hier mit dem Gegenteil von Vereinigung zu tun hat, fast schon mit einem Glaubenskrieg (im kirchlichen Bereich würde man von einem Schisma sprechen). Auf der einen Seite die Apostel von Bill Gates, auf der anderen die Jünger von Linus Torvalds.

Nach langem Grübeln kam ich dann darauf. Der Fall der Berliner Mauer steht für Ereignisse, über die man sich zuerst mächtig freut und von denen man sich später wünscht, sie wären niemals eingetreten. (Meine Kollegin Cornelia Hefer meint, das dürfe ich nicht schreiben, weil ich damit unsere ostdeutschen Leser vor den Kopf stoßen würde, aber ich habe mich erkundigt: Die sehen das genauso.)

Dies ist die einzige Interpretation, die Sinn macht. Aber dass ausgerechnet Sie, der Chef der Linux-Firma Suse, so etwas sagen, ist schon eine Überraschung. Selbstverständlich werden Sie jetzt einwenden, ich hätte Ihre Äußerung völlig falsch interpretiert, aber das werde ich als reine Schutzbehauptung Ihrerseits interpretieren.

Mit freundlichen Grüßen ;-)

Damian Sicking

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