Mit freundlichen Grüßen ...

17.04.2003

ComputerPartner

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Oracle Deutschland GmbH

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Herrn Rolf Schwirz

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München, 14.04.2003

"Die Friedhöfe sind voller Menschen, die unersetzbar waren."

Sehr geehrter Herr Schwirz,

der Satz in der Betreff-Zeile stammt von Walter Godefroot, dem Chef des Radsportteams Telekom. In einem Interview mit der "Welt" sagte Godefroot vergangene Woche, dass er ziemlich verzweifelt war, als sein sportlicher Leiter Rudy Pevenage Ende letzten Jahres von einem Tag auf den anderen kündigte, um mit Jan Ullrich zum Konkurrenten Team Coast zu wechseln. Er war nämlich der Ansicht, Pevenage sei nicht zu ersetzen. Doch dann habe er nachgedacht und kam zu der Erkenntnis, die ich oben zitiert habe.

Der Satz von Godefroot ist natürlich nicht sooo originell, wie er beim ersten Hinsehen erscheint. In der Formulierung "Jeder Mensch ist ersetzbar" gehört er zum Allgemeingut deutscher Firmenchefs. Manche Zeitgenossen sind sogar der Ansicht, die ganze Menschheit sei ersetzbar, aber das ist ein anderes Thema.

Traurige Wirklichkeit in vielen Betrieben ist seit einiger Zeit, dass Mitarbeiter entlassen werden. Sie selbst, sehr geehrter Herr Schwirz, hatten ja vor kurzem entschieden, jeden Dritten ihrer rund 600 Berater zu entlassen. Sobald eine solche Entscheidung getroffen ist, ist zu klären: Wer muss gehen, wer darf bleiben? Als kleine "Hilfestellung" hat der deutsche Gesetzgeber die so genannte Sozialauswahl geschaffen, das heißt über den Verbleib der Mitarbeiter in der Firma entscheiden nicht Fleiß, Leistung oder Talent, sondern Familienstand und Betriebsangehörigkeit. Die Folge ist, dass immer wieder solche gehen müssen, die man gerne behalten hätte, und andere, die nicht so fleißig sind, an Bord bleiben dürfen.

Abteilungsleiter sind in solchen Situationen oft verzweifelt. "Auf Müller", sagen sie zum Beispiel, "kann ich auf keinen Fall verzichten, der ist nicht zu ersetzen." (Wer so etwas sagt, hat natürlich den Sinn der Übung nicht verstanden. Denn es kommt ja beim Stellenstreichen gerade darauf an, jemanden nicht zu ersetzen.) Ob ersetzbar oder nicht, Müller muss gehen, wegen der Sozialauswahl. Und der Chef sagt seinem Abteilungsleiter, quasi zum Trost: "Nun machen Sie sich mal keine Sorgen, jeder ist ersetzbar, die Friedhöfe sind voller Menschen, die unersetzbar waren."

Das ist natürlich Kokolores. Unsere Friedhöfe sind in Wahrheit voller Menschen, die in ihren Lebensbereichen Lücken hinterlassen haben. Natürlich, wenn ein Mitarbeiter ausscheidet, wird in der Regel ein anderer seinen Job machen. Aber wird er ihn genauso gut machen? Da erleben viele Firmen böse Überraschungen. Jedes Unternehmen braucht Mitarbeiter, die kreativer, klüger, belastbarer, motivierter sind als andere, die sich mehr abverlangen und sich mehr quälen als ihre Kollegen. Diese Menschen sind in dem Sinne unersetzbar, dass andere diesen Job nicht oder nicht annähernd so gut ausüben wie diese.

Und damit bin ich wieder beim Thema Sozialauswahl. Immer wieder werden Unternehmen von der Gesetzgebung genötigt, Leistungsträger zu entlassen, dann nämlich, wenn Entlassungen nötig sind und die Sozialauswahl zum Tragen kommt. Also ausgerechnet in einer Situation, in der die Unternehmen gute, tüchtige und motivierte Mitarbeiter ganz besonders brauchen.

Inzwischen ist ja so etwas wie eine öffentliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Sozialauswahl entstanden. Da ich weiß, dass Sie, sehr geehrter Herr Schwirz, nicht nur ein begeisterter Rennradfahrer sind (Godefroot/Pevenage), sondern sich als Geschäftsführer von Oracle quasi schon von Amts wegen mit diesen politischen Fragen befassen müssen, würde mich interessieren, welchen Standpunkt Sie beim Thema Sozialauswahl vertreten.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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