Mit Software-Leasing-Köder auf Mittelstandsfang

05.11.2000
Nicht zum ersten Mal wittert IBM-Tochter Lotus gewaltige Geschäfte mit dem Mittelstand. Doch da dieser wenig Anstalten zeigt, von selbst bei der IBM-Tochter vorbeizuschauen, sollen die Partner ans Werk gehen. Software-Leasing schlägt Lotus vor.

Jeder, der das Frankfurter "Partnercamp" (3. bis 4 Mai) besuchte, sollte es wissen: Der Mittelstand ist noch weitgehend unbearbeitet. Darin stimmt das Lotus-Management überein. Und da-rin, dass sich das schleunigst ändern soll. "Wir wollen diesen Markt über unsere Business-Partner erreichen", legt sich Hans Peter Bauer, seit November Geschäftsführer der deutschen Lotus GmbH, fest.

Zwar raunte man sich in Frankfurt zu, Bauer, vormals Leiter der "Lotus Professional Services" und deshalb, wenn auch aus der Perspektive der Konkurrenz, ein Kenner der Partner, habe alle Hände voll zu tun mit dem Sparprogramm, das IBM dem Softwerker sanierungshalber verordnet habe. Allein, selbst wenn Lotus derzeit sozusagen als Rover-Abteilung von Big Blue gehandelt werden müsste, gehört es zu Bauers selbstverständlichen Aufgaben, Geschäftsfelder zu erschließen, die bisher entgangen sind.

Die These, dass Lotus dem erfolglosen Mittelstandsgeschäft ein Ende machen wolle, überraschte deshalb kaum jemanden. So diskutierten die Partner sie auch kaum, sondern wollten vielmehr wissen, wie sie mit Lotus Hilfe den ihnen meist bestens vertrauten Mittelstand von neuen Software-Investitionen überzeugen könnten.

Um ein Beispiel zu nennen. Lotus bezeichnet als zentrales Vertriebsengagement dieses Jahres das Angebot an mittelständische Firmen, sie mögen ihre DV einem Systemhaus oder VAR überantworten und darüber hinaus bei diesen Partnern geschäftskritische Applikationen mieten. "ASP" (Applikation-Service-Provider) beziehungsweise "Web-Hosting" zählten folgerichtig zu den meist verwendeten Wortkombinationen der rund 80 über drei Tage verteilten Vorträge.

ASP-Kampagne ohne konkreten Plan

Wer in Frankfurt die massierte ASP-Kampagne auf ihre konkrete Vertriebs- und Marketing-Strategie hin abklopfte, also nach konkreten Handreichungen suchte, sah sich eher enttäuscht. Vielleicht lag es daran, dass die Idee anscheinend ohne Marktforschung auskam. Wie auch, wenn "der deutsche Mittelstand noch längst nicht ASP-reif ist", wie Dieter Wasikili von Lotus-Partner Teamwork geltend macht. "Gewiss, er sieht den Trend und überlegt. Aber solange ihm niemand eine Migration anbieten kann, in der seine historisch gewachsene DV berücksichtigt wird, ist er dazu nicht zu bewegen."

Entsprechend unwillig reagierten diverse Partner auf den Vortrag "IBM ASP Partner Support Modell", nachdem statt konkreter Hilfen nur das gewiss beeindruckende Produkt- und Dienstleistungsportfolio der Serviceabteilung von Big Blue dargestellt wurde. "Ich bin gekommen, um von Ihnen zu wissen: Wie unterstützt uns Lotus mit Services, Ansprechpartnern und eigener Homepage?", brachte ein Lotus-Partner sein Anliegen auf den Punkt. "Die Anforderungen des Mittelstands sind komplex. Es wäre sinnlos, spezielle ASP-Pakete zu schnüren", erhielt er als kaum befriedigende Antwort.

Nach dem Vortrag war deutliche Kritik zu hören: "Der Mittelstand benötigt konkrete Leistungen. Dazu gehören Hard-, Software-Profile und Servicepacks des Herstellers. Genauso klar muss die Partnerunterstützung bei Software-Entwicklung und Vertrieb sein. Wer mir nur erklärt, was er kann, hat das Thema völlig verfehlt", ärgert sich ein ASP-Kandidat.

Dass er auf die allseits verbreiteten Mittelstandsadressen von IBM (www.de.ibm.com/mittelstand/index.html) verwiesen wurde, dürfte seinen Ärger nicht mindern. Das Stichwort ASP gibt es dort nicht. Und da auch das Glossar, das Lotus auf den Webseiten www.partnercamp.de/home.nsf/_/Mittelstand aufblättert, ohne ASP auskommt, liegt der Schluss so mancher Partner nahe, Lotus habe zwar ein prominentes Thema entdeckt, aber noch keine Strategie dazu. "Das ist erst dann möglich, wenn man die Sprache des Mittelstandes spricht", überlegt Wasikili. Er beispielsweise habe "gewisse Wörter wie zum Beispiel ‘Awareness’ (Bewusstsein, Kenntnis), die hier häufig genannt werden, aber in höchst unterschiedlicher Bedeutung", wieder aus seinem Wortschatz gestrichen. "Diese Sprache versteht der Mittelstand nicht. Wie will ich ihn von etwas überzeugen, wenn ich an ihm vorbeirede?", schließt er.

"Raven" und sechs Notes-Kernels

Dabei könnte Lotus mit den Software-Pfunden, die es gerade in Zusammenarbeit mit Partnern angehäuft hat, durchaus wuchern. Hunderte Workflow-Lösungen stehen zur Verfügung, die im Mittelstand verwendeten ERP-Lösungen könnten durch die Wissens-basierte, nach den Worten von Robert Schneider Ende dieses Jahres fertige Knowledge-Management-Software "Raven" eine erhebliche Aufwertung erfahren. Und künftig den Notes-Kernel auf Basis des Komponenten-Entwicklungsmodells "Lotus Solution Architecture" (LSA) zu vereinfachen, ließe den großen und bunten IBM- beziehungsweise Lotus-Software-Katalog zwar dünner, doch auch übersichtlicher werden.

Was übrigens LSA angeht, ist sich Lotus-Geschäftsführer Bauer nun sicher: "Sie ist durch." Amerika, wo sie bisher kaum beachtet wurde, prüfe sie gerade, und die "wichtigsten Partner in Deutschland" seien endgültig dafür gewonnen."Der Vorteil von LSA ist: Die Kompatibilität der Lösungen ist gesichert." Nachteilig sei allerdings "der erhöhte Wettbewerb der Lösungen. Das wird "wahrscheinlich ab Ende 2000" der Fall sein, so Bauer gegenüber ComputerPartner.

"Falsch", erwidert ein Partner. "LSA, eine Architektur, die für Großkunden mit ihren großen IT-Abteilungen entwickelt wurde, ist komplex und aufwendig zu programmieren. Die immerhin sechs Notes-Kernels, die im Mittelstand verwendet werden, daran anzupassen, kommt allein aus Kostengründen nicht in Frage. Außerdem steht erst mal die Portierung der Versionen auf Release 5 an."

Zwar werde er, wenn Kunden es wünschten, deren Kernels auch LSA-kompatibel machen. Doch: "Bisher wollte das keiner." Dass "Applikationsentwickler dorthin gehen, wo durchgängige Plattformen den größten Gewinn versprechen", weshalb er LSA im Prinzip für richtig hält, betont er. Doch es sei eben "um Jahre verspätet".

Lotus ist im Mittelstand

So viel wurde auf dem "Partnercamp" deutlich: Lotus ist längst im Mittelstand. Weshalb es nun darauf ankommt, wie Bauer die sechs Kernel-Versionen, die vielen Partner, die Lösungen entwickeln und verkaufen, und ihre Bereitschaft, mindestens 5.000 Mark für die zweitägige Präsenz in Frankfurt zu zahlen, interpretiert. "Wir brauchen ihren Einsatz!" Wie umgekehrt auch. (wl)

www.lotus.de

www.partnercamp.de

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