Mittständische Unternehmen im Fokus

28.01.1999

MÜNCHEN: Integration von Sprache über Datenverbindungen ist laut Carsten Queißer* für mittelständische Unternehmen keine Zukunftsmusik, sondern kann schon eingesetzt werden. Netzbewanderten Händlern eröffnet sich damit ein lukratives Geschäftsfeld.Der flexiblen Kommunikation zwischen Zentrale, Niederlassungen, Außenbüros und mobilen Mitarbeitern gehört die Zukunft. Laut Marktforscher Gartner Group soll sich das Verkehrsvolumen auf den Weitverkehrsverbindungen von 1997 bis zum Jahr 2002 verdreifachen. Gute Zukunftsperspektiven hat auch das Standard-Kommunikationsprotokoll IP, über das bereits heute mehr als 70 Prozent der Kommunikation im WAN und LAN abgewickelt werden. Im kommenden Jahr soll, vor allem getrieben durch die Internet/Intranet-Technik, IP bereits in rund 80 Prozent aller Installationen die Grundlage der Informationsübertragung bilden.

Am teuren Carrier-Netz vorbei telefonieren

Mittlerweile wird via IP auch der Transport von verzögerungs-empfindlichen Kommunikationsformen wie Sprache und Video möglich. Der Markt bietet bereits die Priorisierungsprotokolle dazu. Allen voran gilt dies für RSVP (Resource Reservation Protocol), das kurz vor der Verabschiedung durch das Standardisierungsgremium IETF steht. Wenn für den Transport dann auch noch kurze Pakete mit fixer Länge verwendet werden und das vermittelnde Internetsystem geringe interne Verzögerungszeiten hat, empfängt der Netzteilnehmer Sprache und Video am Endgerät zeitnah und ohne störende Aussetzer. Damit ist IP auf dem besten Weg, in puncto Quality of Service (QoS) zumindest annähernd in die Fußstapfen von ATM zu treten.

So ist es die vordringlichste Aufgabe, via IP Daten und Sprache auf einer Leitung zusammenzuführen. Für Unternehmen ist dies eine naheliegende wirtschaftliche Überlegung. Denn so können in vielen Fälle unternehmensinterne Telefonate und Faxe über die bestehenden Datenleitungen am teuren Gebührentakt der Carrier vorbei zum Nulltarif vermittelt werden.

Die kombinierte Daten-/Sprach-Kommunikation kann seit dem 1. Januar 98 zudem sogar unternehmensübergreifend zum Einsatz kommen. Auch Kooperationspartner, Zulieferer oder Kunden können damit in die wirtschaftliche, integrierte Kommunikation via IP eingebunden werden. Für viele Firmen ebnet dies den Weg dazu, künftig auch die Telefonie in die PCs zu integrieren. Knapp sechs Millionen CTI-Arbeitsplätze (Computer Telephony Integration) weltweit sollen laut dem Marktforschungsinstitut Ovum zur Jahrtausendwende bereits auf einen kombinierten Daten-/Sprach-Anschluß warten. Unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten ist die Integration von Daten, Sprache und Video in ein Multiservice-Netzwerk außerordentlich sinnvoll. Nur so können die vorhandenen Netzwerk-Ressourcen so effizient wie möglich genutzt werden. Dies macht sich bereits bei mittelständischen Unternehmen bemerkbar.

Nebenstellenanlage und Router im Zusammenspiel

Sprache über IP einfach und überzeugend: Mittels Sprachmodul im Router werden die analogen Signale der Nebenstellenanlage abgegriffen, kodiert und in ein IP-Paket fixer Länge verpackt. Das Sprachmodul ist damit der Garant dafür, daß die Einleitung und Durchführung von Gesprächen und Faxen über das IP-Netz für den Teilnehmer transparent abläuft. So verpackt kann Sprache via IP über nahezu jede Übertragungstechnik im Weitverkehrsnetz wie Standleitung, ISDN-Fest- und Wählverbindung (S0 und Primärmultiplex-Anschluß), Frame Relay und ATM vermittelt werden.

Man kann die heutige Telefonie über Datennetzwerke in zwei Bereiche unterteilen. Zum einen gibt es die Telefonie im unternehmenseigenen Intranet. Der andere Bereich ist die Übertragung von Sprache zwischen Außenstellen und Unternehmenszentrale und gegebenenfalls zu benachbarten Unternehmen (beispielsweise Zulieferern).

Sprach-/Daten-Integration im Intranet

Für die Übertragung von Sprache im Intranet müssen neben genügend Bandbreite bestimmte Priorisierungsmechanismen in den aktiven Netzwerkkomponeneten integriert sein. Es muß bei der Verwendung von sogenannten Ethernetphones eine absolute Priorisierung des Sprachverkehrs erfolgen. Keine Telnet-Session oder Applikation darf bei der Telefonie mit einem Teilnehmer die Verbindung unterbrechen, weil gerade große Datenmengen zwischen Servern und Clients oder untereinander ausgetauscht werden. Da Anwenderapplikationen auch in Zukunft mehr und mehr Bandbreite konsumieren werden, sollte bereits bei der Planung eines Netzwerkes berücksichtigt werden, daß Priorisierungsfunktionen und Protokolle (zum Beispiel RSVP, IP Presedence-Erkennung) in Switches implementiert sind. So erhalten gerade mittelständische Unternehmen einen Investitionsschutz, um später oder schon jetzt Ethernet-Phones zu verwenden. Außerdem dient diese Switching-Infrastruktur im zweiten Schritt für die Übertragung der Sprache vom Intranet über das WAN zur Gegenstelle. Der Vorteil dieser Implementierung ist eindeutig, da nur noch ein Medium - die Daten-Netzwerkinfrastruktur - erstellt und administriert werden muß. Die Wartung und Administration von alten Telefonanlagen entfällt vollständig. Support kann so von einem Partner und Hersteller geliefert werden.

Multiservice über Wans

Mittelständische Unternehmenszentralen verwenden für die Anbindung von Außenstellen häufig Standverbindungen. Über diese Standleitungen werden Daten zwischen den Mitarbeitern und Zulieferern ausgetauscht. Für diese Verbindungen wird im Monat eine festgelegte Gebühr erhoben, unabhängig wie lange und stark die Leitungen an einzelnen Tagen, Monaten oder im Jahr genutzt werden. Diese Verbindungen können effizienter verwendet werden, wenn darüber auch Sprache - verpackt in Datenpakete - übertragen wird.

Dabei ist es nicht notwendig oder praktikabel, von einem Tag auf den anderen die gesamte Sprachübertragung umzustellen. Eine nahtlose und sanfte Migration zu dieser Technologie ist möglich. Geräte bieten die Möglichkeit, eine bestehende PBX (Telefon-) anlage mit einem Access-Server oder Router zu verbinden. Hier kann dann definiert werden, daß alle Telefonate zu den Außenstellen, die beispielsweise über Standleitungen angebunden sind, über die schon bestehenden Datenleitungen geleitet werden. Alle anderen Gespräche werden wie bisher über die Telefonanlage mit dem öffentlichen Netz vermittelt. Schrittweise können so immer mehr Anrufe zu Zulieferern, Kunden und weiteren Außenstellen übertragen werden. Das Ziel ist die Telefonie über das Internet. Fernverbindungen werden dann nur zum Ortstarif oder zur monatlichen Miete der Standleitung abgerechnet.

Gute Sprachqualität ist kein Zufall

Zur Akzeptanz der Telefonie über IP gehört allerdings eine angemessene Sprachqualität zu erreichen. Für das Unternehmen muß die Telefonie über IP dagegen auch wirtschaftlich aufgehen. Sie darf nur so wenig wie möglich Bandbreite auf den WAN-Verbindungen verbrauchen, um neben den Daten platz- und damit kostensparend auf der Leitung untergebracht werden zu können. Ein sinnvoller Mittelweg zwischen Sprachqualität und Bandbreitenanspruch kann nur über ein geeignetes Kodierungsverfahren und

-maß ermittelt werden. MOS (Mean Option Score), ein von der ITU (International Telecommunications Union) selbst verwendetes Bewertungsmaß, das auf umfangreichen wissenschaftlichen Hörtests basiert, leistet dazu wesentliche Hilfestellungen. Als Bewertungsmaß innerhalb von MOS dienen unter anderem die Intensität von Knackgeräuschen und Echosignalen, die über eine Skala von 1 (schlecht) bis 5 (exzellent) gemessen und bewertet werden können.

Abgesehen vom Grundkodierungsverfahren PCM, das zu keiner Reduzierung des 64-kbit/s-Bandbreitenbedarfs von Sprache führt und damit den optimalen Wert 4,4 erreicht, bietet der Markt drei Kodierungsverfahren: ADPCM (Adaptive Differential Pulse Code Modulation), LD-CELP (Low-Delay Code Excited Linear Predictive) und CS-ACELP (Conjugate-Structure Algebraic-Code-Excited Linear-Prediction). Sprache mit LD-CELP auf 16 Kbit/s Bandbreite kodiert (entspricht der ITU-Empfehlung G.728) erzielt beispielsweise den Wert 4,1, mit dem neuen CS-ACELP auf 8 Kbit/s komprimiert (entspricht der ITU-Empfehlung G.729) sogar den Wert 4,2.

Gute Perspektiven

CS-ACELP gehört als leistungsfähigstes Kodierungsverfahren zur Funktionalität der Sprachmodule verschiedener Hersteller. Durch das Verfahren auf 8 Kbit/s komprimiert, finden gleichzeitig acht Gespräche auf einer 64-kbit/s-Verbindung Platz. Alternativ kann der Anwender beispielsweise viermal Sprache plus Daten über diese Verbindung abwickeln. Es ist auch möglich, mit Routern auf das ADPCM-Verfahren zur Kodierung des analogen Sprachstroms zurückzugreifen. Echounterdrückung und eine effiziente Verwaltung der Verzögerungen zwischen den Sprachpaketen sorgen zusätzlich für eine respektable Sprachausgabequalität. Darüber hinaus werden über das neue, von Cisco entwickelte Sprachmodul VAD (Voice Activitiy Detection) Pausenblöcke unterdrückt, um so den Bandbreitenbedarf der Sprachübertragung weiter zu reduzieren.

Die weiteren Schritte auf dem Weg zum Durchbruch von Sprache über IP sind bereits abzusehen. Als nächstes kommen digitale Verbindungen zwischen der Nebenstellenanlage und dem Router. Damit können die Teilnehmer im IP-Netz nach und nach über eine komfortable Telefonie inklusive ISDN-Leistungsmerkmalen verfügen. Auch Least-Cost-Routing wird so möglich, um Telefonate auf dem kostengünstigsten Weg durchs IP-Netz zu lenken. Damit wäre die Funktionalität heutiger Corporate Networks über IP erreicht. Ebenso ist die Tür zur Computer Telephony Integration mittels G.723.1 (Interoperable Voice over IP Audio Codes) aufgestoßen. Mit der Unterstützung der H.323-Spezifikation, sie wurde bereits von der ITU als Standard verabschiedet, rückt zudem die zusätzliche Integration von Video im IP-Netz näher. Dann können via IP und Router beispielsweise Video-Konferenzen durchgeführt werden. So sieht der Analyst Frost & Sullivan den Multimedia-Markt in Europa von 11,82 Milliarden Dollar im Jahr 1996 auf 38,34 Milliarden Dollar im Jahr 2003 auf nahezu das Vierfache anwachsen.

* Carsten Queißer ist Produkt-Marketing-Manager bei der Cisco Systems GmbH in München.

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