Multimedia-Home-Geschäftsführer: Privatmarkt nicht den Retailern überlassen

26.11.1998

OSNABRÜCK: Jan Nintemann ist überzeugt davon, daß der PC-Fachhandel mit Ladengeschäft eine gute Chance auch im Privatkundensegment hat, wenn er es nur richtig anstellt. Im Gespräch mit ComputerPartner-Chefredakteur Damian Sicking erläutert der Geschäftsführer der Multimedia-home Dienstleistungs-Kooperation GmbH & Co. KG, welche Voraussetzungen der PC-Fachhandel erfüllen muß, um in diesem schwierigen Marktsegment zu bestehen.

Herr Nintemann, wenn sich ein so großer Player wie Schadt im PC-Markt nicht mehr behaupten kann, hat dann der kleine Fachhändler überhaupt noch eine Chance?

NINTEMANN: Der durchschnittliche PC-Fachhändler mit Ladengeschäft wird sich sicherlich eine Chance ausbauen können, wenn er bestimmte Dinge entwickelt, die für das Privatkundengeschäft von entscheidender Bedeutung sind, wobei der Betriebstyp des PC-Ladens auch nicht ohne weiteres vergleichbar ist mit einer Schadt-Filiale.

Welche Dinge sind das?

NINTEMANN: Ich meine hier in erster Linie ein privatkundengerechtes Verhalten. Die Mehrheit der Bevölkerung, die begonnen hat, sich zu Hause mit PCs zu beschäftigen, sieht sich mit einem Produkt konfrontiert, das technisch hoch komplex ist. Diese Verbraucher haben weniger das Problem, die "Kiste" zu kaufen. Sie haben das Problem, mit dem PC umzugehen. Für diese Personen ist der PC-Fachhändler mit Ladengeschäft der ideale Betriebstyp.

Ein wesentlicher Aspekt ist die richtige Kundenansprache. Haben die PC-Händler mit Ladengeschäft hier schon ausgelernt?

NINTEMANN: Ich glaube, daß wir gerade erst am Beginn dieser Entwicklung stehen, daß der PC-Fachhändler, der ein Ladengeschäft führt, zunehmend mit diesem Privatkunden konfrontiert wird. Diese Erfahrung hatte er vor zwei, drei Jahren noch nicht. Es gibt eben doch nicht nur die Schnäppchenkunden, die beim Aldi kaufen wollen, weil der PC billig ist, oder bei Vobis, weil sie dort auch über die technischen Konfigurationsmöglichkeiten diskutieren wollen. Die Mehrheit der Bevölkerung orientiert sich im Konsumverhalten anders. Von ihnen leben rund 8.000 Radio- und Fernseh-Einzelhändler in Deutschland, die in puncto Verkaufs-Know-how und consumerfreundliches Ladengeschäft den PC-Händlern sicherlich einiges voraus haben.

Meine Erfahrung in der Kommunikation mit hunderten von PC-Fachhändlern, die alle ein Ladengeschäft haben, ist die, daß ein Teil dieser Fachhändler gar nicht den Fokus auf Privatkunden legt und dies auch künftig nicht beabsichtigt. Die Mehrheit der PC-Ladengeschäfte jedoch ist vom Know-how und auch von der Positionierung des Ladenlokals her sehr wohl in der Lage, diese Privatkunden aktiv anzusprechen. Bisher haben sich die meisten PC-Händler allerdings nur reaktiv verhalten. Indem sie die Probleme des Kunden gelöst haben, die er sich über den Kauf des PCs in den Märkten ins Haus geholt hat.

Nun ist meines Erachtens die Zeit gekommen, auch zur besseren Wertschöpfung, daß die Händler mit einem aktiven eigenen Konzept lokal auf die Verkaufsplattform treten, damit sie für die Privatkunden auch deutlicher sichtbar werden und eine gute Alternative zum Retailer darstellen. Denn die meisten Händler sind in der Lage, ebenfalls ein gutes Pricing anzubieten, und darüber hinaus gibt es bei ihnen ein Service- und Beratungs-Know-how, das Sie in keinem Markt finden werden. Von daher ist dieser Betriebstyp des PC-Fachhändlers mit Ladengeschäft eigentlich genau auf die Bedürfnisse der PC-unerfahrenen Verbraucher zugeschnitten.

Nur müssen sich diese PC-Läden auch dem Privatkunden nähern, sie müssen lernen, für diese PC-Unkundigen eine Sprache zu finden, die sich von der rein technischen unterscheidet. Hier geht es nicht darum, den PC anhand einer Bauteileliste technisch zu verargumentieren, sondern es geht darum, den Kunden aufzuklären, was eigentlich mit dem PC-Kauf auf diesen Kunden zukommt. Denn die Folgekosten eines PC-Kaufs und die Zeit, die der Kunde hierfür einsetzen muß, sind die eigentlichen erheblichen Kosten, die im Grunde nur der Fachhändler beeinflussen kann, und zwar positiv im Sinne des Kunden.

Das alles setzt aber voraus, daß der Kunde zunächst einmal überhaupt beim Fachhändler im Laden aufschlägt. Was muß ich aus Sicht des Händlers tun, um diesen Kunden überhaupt auf mich aufmerksam zu machen und dazu zu bewegen, zu mir in den Laden zu kommen? Oder muß ich vielleicht sogar zum Kunden selber hingehen?

NINTEMANN: Das zweite würde ich grundsätzlich nach dem Kauf nicht ausschließen. Denken Sie mal 20, 30, 40 Jahre zurück. Da haben sich die Menschen ihren neuen Fernseher auch nach Hause bringen lassen, wo er von den Experten aufgestellt, die Antenne gerichtet, die Kanäle eingestellt wurden und so weiter. Aber am Anfang steht, daß sich die Händler in Form einer qualifizierten Werbung draußen zeigen. Schwarzweiß-Kopien mit deutlich besseren Preisen als beim Filialisten sind sicher nicht geeignet. Sondern hier geht es darum, die richtigen Kunden anzusprechen, und zwar auf eine Art und Weise, die diese Kunden auch verstehen. Wichtige Faktoren sind qualifizierte Sortimentsdarstellung, die Unterstützung des Images des Händlers über Markennamen, weil im Consumerbereich die Marken eine ganz andere Bedeutung haben als innerhalb der Technikszene.

Das Problem für den einzelnen Händler aber ist, daß ihm in der Regel nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, um mit einer wirklich professionellen Werbung an den Markt zu gehen. In anderen Branchen ist dieses Problem dadurch gelöst, daß fast jeder Händler irgendeiner Verbundgruppe angehört, die für ihre Mitglieder Werbung zum Beispiel in Form von Prospekten organisiert. Hier setzen wir von Multimedia-home an. Wir haben unter Einbindung der vorhandenen Marktteilnehmer ein Konzept entwickelt, bei dem diese Marketing-Dienstleistungen im Vordergrund stehen. Wir bieten nicht allein Prospekte zum besseren Werbeauftritt, sondern auch andere wichtige Dinge wie Verkaufsargumente, wie zukünftig auch Händlerbetreuung mit Außendienst, die dazu führen sollen, daß der Verkauf qualifiziert wird, daß der Laden professioneller ausgestaltet wird in einem für den Händler erträglichen wirtschaftlichen Maß.

Wenn man sich die Landschaft im PC-Handel so anschaut, dann kann man ja durchaus den Eindruck gewinnen, daß sich viele mit einer gewissen Phantasielosigkeit zum Kunden hin darstellen. Der Preis dominiert bei den meisten den gesamten Auftritt. Das kann doch nicht gutgehen?

NINTEMANN: Hier hat der Markt sich selber erzogen, und zwar mit einer solchen Hartnäckigkeit, daß der Preis des PCs eindeutig überbewertet wird. Es hat sich eingebürgert, daß der Kunde den Vergleich von Preis und technischen Daten anstrebt. Über 80 Computerzeitschriften bieten hier ausführliches Informationsmaterial. Nur: Der wirkliche Otto-Normalverbraucher, der zu 70 Prozent noch nicht mal die Lust hat, die Bedienungsanleitung der fernprogrammierbaren Bedienung des Videorecorders zu lesen und sie infolgedessen auch nicht benutzt, dem kann man nicht zumuten, daß er sich ein halbes Jahr lang durch die komplizierte Materie innerhalb der Literatur oder der Computerzeitschriften wühlt. Hier liegt die eigentliche Legitimation des Fachhändlers. Der Fachhändler muß sicherstellen, daß der Kunde mit der Technik möglichst wenig zu tun hat, daß er sich hundertprozentig auf die Anwendung, auf das, was er mit dem PC tun will, konzentrieren kann. Für den Rest, die Technik, ist der Händler da. Die Aufgabe des Händlers in diesem Kundenumfeld besteht nicht zuletzt darin, den Kunden vor der Technik zu schützen, statt ihn mit Technik zu erschlagen. Dafür sind diese Kunden bereit zu bezahlen.

Müßten nicht auch in der Ansprache der Kunden noch neue, innovative Wege gefunden werden, im dem Sinne, daß man den Kunden dort abholt, wo er sich befindet? Ich denke zum Beispiel an besondere Aktionen etwa in einem Golfclub, wo normalerweise etwas besser betuchte Menschen angesiedelt sind, die durchaus auch Interesse haben an einem PC - Stichwort www.golf.de -, aber gar nicht so genau wissen, an wen sie sich wenden sollen. Musikschulen wären auch ein Ort,

an dem man mal einen Informationsabend veranstaltet zum Thema Musik und Computer.

NINTEMANN: Ich sehe das ganz genauso. Allerdings ist hier ein Defizit festzustellen. Der PC-Händler muß hier die gleiche Vermarktungsintelligenz und Verkaufsintelligenz entwickeln wie in anderen klassischen Branchen längst etabliert. Quer durch alle Gesellschaftsschichten werden die Kunden anfangen, sich für den Home-PC zu interessieren, oder tun es bereits, und sie finden den Fachhändler nicht. Der Fachhändler muß Zielgruppen definieren, muß zielgruppenspezifische Aktivitäten entfalten.

Ich weiß nicht, wieviel Fotoapparate in jedem Haushalt stehen, es sind aber sehr viele. Jetzt kommt das Thema digitale Fotografie hoch. Die Kernproblematik der digitalen Fotografie steckt nicht in der Kamera, sondern im PC. Und derjenige, der den PC kennt, ist der PC-Händler. 95 Prozent aller Fotoläden werden nicht in der Lage sein, PCs zu verkaufen oder zu supporten. Das bedeutet, der PC-Fachhändler sollte sich von der Anwendungsseite zielgruppenspezifisch die Kunden suchen und ansprechen.

Oder nehmen sie die Senioren. Ich habe es schon erlebt, daß sich in einer norddeutschen Stadt plötzlich eine Internetszene etabliert hat, die komplett aus Senioren bestand. Also es gibt da eine Bandbreite der Gestaltungsmöglichkeiten. Nur: Der PC-Fachhändler braucht hierfür Mitarbeiter, die auch in Richtung Akquisition und Verkaufsstrategie Ambition haben. Und da hapert es meiner Meinung nach ganz gewaltig. Ich behaupte, daß 80 bis 90 Prozent aller PC-Händler noch nicht mal einen ganz normalen Verkäufer im Laden beschäftigen. Sondern nur Techniker. Und die laufen Gefahr, die Kunden falsch anzusprechen.

Welche zusätzlichen Möglichkeiten hat der Händler noch, um den Kunden für sich zu gewinnen und eventuell über weitere Dienstleistungs-angebote den Kunden an sich zu binden und Wertschöpfung zu generieren?

NINTEMANN: Man kennt ja das Problem, daß der Kunde am Tag nach dem Kauf des PCs wieder beim Händler im Laden steht und behauptet:

"Das Ding ist kaputt." Meistens steckt ein Bedienerfehler dahinter. Der Kunde mogelt seine PC-Unkenntnis in eine Garantieleistung des Händlers hinein. Und das Ladenlokal ist auch kein Schulungsraum. Das läßt sich vermeiden. Warum bietet der Händler zum Beispiel nicht mit Kauf eines PCs einen Gutschein für eine kostenlose erste Trainingsstunde an? Diese könnte von einem freiberuflichen Mitarbeiter beim Kunden zu Hause durchgeführt werden. Wenn der Kunde weitere Stunden buchen will, kann er dies tun, zu einem privatkundengerechten Preis von vielleicht 25 Mark die Stunde.

Der Händler hat den Vorteil, daß er 80 bis 90 Prozent der Reklamationen nach Kauf eines PCs gefiltert hat, muß seine Zeit also nicht mühselig verschwenden, und der Kunde ist zufriedengestellt. Diese PC-Trainer können Studenten sein, Arbeitslose oder Nebenbeschäftigte, die sich ein Zubrot verdienen wollen. Es gibt inzwischen genügend Menschen, die ausreichende PC-Kenntnisse haben, um über einen Nebenjob solchen Ratsuchenden zu helfen. Hier müßte ein ganz schlichter Kooperationsvertrag gezeichnet werden, damit der Student nicht anfängt, selber PCs zu verkaufen. Der PC-Trainer profitiert von den Kundenzuweisungen des PC-Fachhändlers, und der PC-Fachhändler profitiert davon, daß der PC-Trainer ihm den Kunden wieder in den Laden schickt, wenn Erweiterungen und dergleichen Dinge anstehen.

Mit Multimedia-home haben Sie ja im Frühjahr letzten Jahres ein Konzept entwickelt, das den PC-Fachhandel bei dieser Aufstellung zum Kunden hin unterstützen soll. Die Resonanz ist bisher noch nicht so, wie Sie sich das vorgestellt haben. Woran liegt das?

NINTEMANN: Ich denke, daß viele Händler noch immer glauben, Multimedia-home sei eine Fachhandelskooperation mit Zentralregulierung. Das sind wir aber nicht. Daher stehen wir auch nicht im Wettbewerb zu diesen Organisationen. Der andere Punkt ist, daß es eine gewisse Zeit braucht, bis sich die Hersteller, Distributoren, Kooperationen, aber auch die Fachhändler auf dieses Profil ausgerichtet haben. Die Dinge sind inzwischen kommuniziert. Die Multimedia-home hat eine Reihe namhafter Hersteller für diese Idee gewinnen können, und wir haben uns ein gewisses Image im Markt aufgebaut.

Das andere Problem, warum Fachhändler nicht in einer größeren Anzahl als Partner der Multimedia-home sich etabliert haben, sehe ich darin, daß das Bewußtsein der PC-Fachhändler mit Ladengeschäft, einen aktiven Verkaufsauftritt bewerkstelligen und sich insgesamt kundenorientiert verhalten zu müssen, meines Erachtens noch unterentwickelt ist. Hier muß die gesamte PC-Branche aufpassen, daß mangels Qualifizierung der PC-Fachhändler mit Ladengeschäft das ganze Geschäft nicht nur von den Retailern, sondern nach und nach auch von den UEHändlern übernommen wird. Ich würde das sehr bedauern, weil vorhandenes Know-how nicht verwertet wird.

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