MVC-Chef Kula: "Wir reiten den Bullen, solange es geht"

22.11.2001
Das Thema ist nach dem Terroranschlag in den USA plötzlich populär geworden: Videokonferenzen als Alternative zu Geschäftsreisen. Aber MVC-Chef Tony Kula hebt trotz steigender Nachfrage nicht ab, sondern bleibt auf dem Boden, nämlich auf dem der Tatsachen.

Die Geschäfte haben im dritten Quartal nach dem Terroranschlag in den USA zwar kräftig angezogen. Ob dies aber ein nachhaltiger Trend ist, weiß auch Tony Kula nicht. "Das Thema Videokonferenzen ist zwar jetzt aus dem Dornröschenschlaf erwacht, und wir registrieren ein stark gestiegenes Interesse. Aber gleichzeitig wird diese positive Entwicklung von der schwachen Konjunktur und der geringen Investitionsneigung kompensiert", sagt der Vorstandsvorsitzende der MVC Videocommunication AG in Frankfurt, nach eigenen Angaben Deutschlands größter Anbieter von Videokonferenzstudios und -dienstleistungen, der auch als Distributor für entsprechende Produkte auftritt.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Kula geglaubt, dass der "lang angekündigte Durchbruch wirklich bevorsteht" (siehe ComputerPartner 35/00, Seite 66). Zwar wuchsen die Bäume in den ersten drei Quartalen 2001 nicht in den Himmel, aber mit einer Umsatzsteigerung gegenüber der Vorjahresperiode um 15 Prozent ist Kula durchaus zufrieden. Für das laufende Quartal erwartet er einen Zuwachs um 40 Prozent. "Wir hatten einen sehr starken Start im November", freut sich der Frankfurter.

Die gestiegene Nachfrage bezieht sich weniger auf die Anschaffung neuer Produkte - hier beginnen die Investitionskosten für eine vernünftige Anlage bei 20.000 Mark, für die Gegenstelle ist noch einmal derselbe Betrag fällig -, sondern vor allem auf das Mieten von entsprechenden Studios.

Den Vorgang muss man sich so vorstellen, dass man ein entsprechendes Studio in erreichbarer Nähe mietet (stehen in den Gelben Seiten und kosten rund 300 Mark pro Stunde) und sich für diese Zeit mit seinem Gegenüber in einer anderen Stadt verabredet. In recht guter Sprach- und Bildqualität lassen sich Präsentationen ausstauschen und auch Dokumente gemeinsam bearbeiten. MVC ist auf diesem Gebiet über die Tochtergesellschaft MVC Teleconferencing GmbH in Köln vertreten.

Im Produktvertrieb arbeiten die Frankfurter mit Herstellern wie Polyspan, Picturetel, Tandberg und Radvision zusammen. Rund 60 Prozent des Geschäfts macht MVC über Partner. Von den etwa 220 gelisteten Händlern sorgen 15 bis 20 für regelmäßige Umsätze. Aus dem IT-Systemhausbereich sind zum Beispiel M+S und Pandacom mit im Boot. Weitere Vertriebsschienen sind Audio/Video-Händler sowie TK-Hersteller wie beispielsweise Siemens oder Alcatel.

Kula geht davon aus, dass die Rolle der IT-Systemhäuser in diesem Marktsegment zunehmen wird. "Es wird immer wichtiger, auf ein tiefes Know-how im Netzwerkbereich und auch auf dem Gebiet der Internettechnologie zugreifen zu können, da haben die Systemhäuser natürlich einen Vorteil", sagt Kula. Allerdings haben auch hier die Götter vor den Sieg den Schweiß gesetzt. "Wer überlegt, in dieses Segment einzusteigen, und auch größere Projekte realisieren will, dem kann ich nur sagen: entweder ganz oder gar nicht. Ein bisschen schwanger geht nicht", sagt der MVC-Chef.

Zwei Wochen intensive Schulung sind das Mindeste. Dafür wird man auf der anderen Seite mit eben diesen relativ hohen Markteintrittsbarrieren dergestalt belohnt, dass die es Nachahmern schwer machen. Man hat überdies ein Differenzierungsmerkmal zum Wettbewerber, und auch der Konkurrenzdruck ist nicht übermäßig groß.

Allerdings: Die Entscheidungsfindung bei den Kunden dauert lange, und dann gibt oft wieder mal der günstigste Preis den Ausschlag, wie Stephan Schmidtpeter berichtet. Er ist Produktmanager beim Münchener MVC-Partner CG-Media GmbH, der neben dem Produktvertrieb auch Videokonferenzstudios vermietet.

Noch am Anfang stehen die so genannten Desktop-Videokonferenzlösungen, also kleine Kameras auf den PC-Monitoren auf ISDN- und Windows-Basis. "Das Thema ist noch nicht ausgereift", sagt Kula. Erst in zwei bis drei Jahren, so seine Erwartung, wird Videokommunikation auf Desktop-Ebene in einer vernünftigen Qualität möglich sein.

Das gesamte Marktvolumen im Bereich Hardware schätzt Kula für den deutschen Markt auf etwa 120 Millionen Mark. Derzeit sind erst 20 Prozent dieses Potenzials abgeschöpft. Der MVC-Chef rechnet mit Wachstumsraten von 30 bis 35 Prozent in den kommenden Jahren. Zurzeit nutzen die Frankfurter jedenfalls die Aufgeschlossenheit der Unternehmen für das Thema Videokommunikation nach Kräften aus. Als Frankfurter im Schatten der Börse bringt es MVC-Chef Kula auf den Punkt: "Wir reiten den Bullen, solange es geht."

www.mvc-ag.com

www.cg-media.de

ComputerPartner-Meinung:

Die überschäumenden Prognosen einiger Marktforscher zum gewaltigen Wachstum des Marktes für Videokonferenzsysteme ringen MVC-Chef Kula nur ein Lächeln ab. Seine Erwartungen sind wesentlich bescheidener, bodenständiger. Videokommunikationslösungen werden ein Nischenmarkt bleiben, aber ein durchaus interessanter Nischenmarkt auch für spezialisierte Systemhäuser. Dass einem auch hier nicht die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, ist klar. (sic)

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