"Smart" ist was anderes

Nahverkehr hat großen Nachholbedarf bei IT-Lösungen

18.02.2014
Der Fahrscheinkauf für Busse und Bahnen ist meist alles andere als "smart". In jeder Stadt gibt es andere Systeme. Die elektronischen Angebote sind nicht weniger verwirrend. Neue Wege will jetzt die Karlsruher Fachmesse IT-Trans aufzeigen.

Rund 130 Fahrten hat jeder Mensch in Deutschland im vergangenen Jahr im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zurückgelegt. Wie groß der Ärger über komplizierten Fahrkartenkauf oder fehlende Informationen bei Störungen ist, erfasst keine Statistik. Was Digitaltechnik tun kann, um Busse und Bahnen attraktiver zu machen, zeigt bis Donnerstag die Fachmesse IT-Trans.

Einer der rund 170 Aussteller auf dem Karlsruher Messegelände in Rheinstetten ist der internationale Technologie-Dienstleister Accenture mit Sitz in der irischen Hauptstadt Dublin. Das Unternehmen ist der größte Projektpartner für das System "Touch&Travel", das derzeit rund 65.000 Kunden von 13 Verkehrsverbünden sowie der Deutschen Bahn nutzen. Hier kann man sich zu Beginn einer Fahrt mit einer Smartphone-App anmelden, wobei die Ortsbestimmung des Handys den jeweiligen Standort erfasst. Am Ende der Fahrt wird der Fahrpreis berechnet, abgerechnet wird über das Lastschriftverfahren.

So kann man etwa mit "Touch&Travel" vom Universitätsplatz in der Heidelberger Altstadt bis Berlin Alexanderplatz fahren - ohne sich um das Ticket oder den günstigsten Tarif Gedanken zu machen. "Für die Kunden wäre es wünschenswert, wenn das E-Ticketing mal in eine Richtung gehen würde", sagt Accenture-Managerin Nicole Goebel. Da die Verbreitung von Smartphones immer weiter zunehme, sei das Handy die ideale Plattform für digitale Nahverkehrslösungen. Goebel hofft, dass sich das "Touch&Travel"-Modell als De-Facto-Standard etabliert und über die wachsende Nachfrage von weiteren Verkehrsverbünden übernommen wird.

"Wir sehen schon einen Trend in Richtung Smartphone-Lösungen", sagt die Siemens-Managerin Simone Köhler am Vortag der Messe-Eröffnung. Aber auch einfachere Lösungen wie Plastikkarten mit einem Chip sind populär: "Die Smartcard hat nach wie vor Vorteile wie die Diskriminierungsfreiheit." Jeder kann eine Smartcard als Fahrkarte bekommen - dies kommt vielfach in Nordrhein-Westfalen oder auch für die Londoner U-Bahn zum Einsatz. Ein weiterer Vorteil: Es können keine unnötigen persönlichen Daten gespeichert werden, die in Form eines Bewegungsprofils aus dem "smarten Reisenden" einen gläsernen machen.

Bei den IT-Lösungen im ÖPNV werden drei große Bereiche unterschieden: Verkehrsleitsysteme mit Echtzeitinformationen, der elektronische Fahrkartenkauf (E-Ticketing) und Sicherheitstechnik. Der Umsatz der Branche beläuft sich in Deutschland auf jährlich etwa 300 Millionen Euro, schätzt Jürgen Greschner vom Vorstand des Karlsruher Unternehmens innovation in traffic systems (INIT). Weltweit seien es rund zehn Milliarden Euro. Die Investitionen der Verkehrsbetriebe in IT-Lösungen seien in Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich ähnlich hoch wie 2013.

"Wir haben im öffentlichen Nahverkehr einen digitalen Nachholbedarf", räumt Lars Wagner vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ein. "Die regional sehr unterschiedlich gewachsenen Angebote lassen sich nicht so schnell einfach auflösen." Das Rennen zwischen elektronischen Kartensystemen und dem Smartphone sei noch offen, auch wenn die Lösungen für das Handy in den Vordergrund drängten (in München etwa kann man mittlerweile per App für iOS oder Android sein "HandyTicket" kaufen). "Wichtig ist nicht so sehr das Endmedium, sondern die gleiche technische Basis", erklärt Wagner mit Blick auf die vom VDV betriebene Standardisierung für die Datenübertragung im ÖPNV.

Der Nahverkehrsexperte Martin Randelhoff, Betreiber des Branchenblogs "Zukunft Mobilität", wirft den Verkehrsbetrieben vor, nicht selbstbewusst genug aufzutreten. Dabei werde der ÖPNV weiter an Bedeutung gewinnen. "In Großstädten wie Berlin, Frankfurt oder München verzichten junge Familien zunehmend ganz aufs Auto", sagte Randelhoff am Montag in Rheinstetten. "In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird im Nahverkehr eine kleine Revolution einsetzen." (dpa/tc)

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